
© dpa/Michael Kappeler
Aufforderung zu „Verhandlungen mit der Ukraine“: Scholz und Putin haben heute telefoniert – Kritik aus Kiew
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind auf einem Tiefpunkt. Doch nun hat der Bundeskanzler wieder mit dem russischen Präsidenten gesprochen – das erste Mal seit fast zwei Jahren.
Stand:
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der russische Präsident Wladimir Putin haben miteinander telefoniert, das Gespräch hat nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine Stunde gedauert. Die Ukraine kritisierte das Telefonat.
Scholz hat Putin „zu Verhandlungen mit der Ukraine“ aufgefordert. Diese müssten das Ziel „eines gerechten und dauerhaften Friedens“ haben, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit nach dem Telefonat.
Der Kanzler verurteilte dabei demnach erneut „den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und forderte Präsident Putin auf, diesen zu beenden und Truppen zurückzuziehen“.
Scholz betonte in dem Gespräch weiter „die unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression so lange wie nötig zu unterstützen“, teilte Hebestreit mit.
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Ausdrücklich verurteilt habe Scholz gegenüber Putin „die russischen Luftangriffe gegen zivile Infrastruktur in der Ukraine“, hieß es aus Regierungskreisen weiter. Er machte demnach auch deutlich, dass mit der Entsendung nordkoreanischer Soldaten nach Russland für Kampfeinsätze gegen die Ukraine „eine gravierende Eskalation und Ausweitung des Konflikts verbunden“ sei.
Der Kanzler habe deutlich gemacht, dass keines der russischen Kriegsziele erreicht wurde. Scholz und Putin vereinbarten nach Angaben aus Regierungskreisen, „in Kontakt zu bleiben“, hieß es aus Regierungskreisen weiter. Die Bundesregierung wird demnach die Unterrichtung von Verbündeten und Partner sowie der Spitzen von EU und Nato sicherstellen.
Russland nennt seine Bedingungen
Der Kreml teilte seinerseits mit, Putin habe erklärt, dass der Krieg beendet werden könne, wenn Kiew auf eine Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis Nato verzichte und vier Regionen vollständig aufgebe, die Russland für sich beansprucht. Die Ukraine hat diese Bedingungen stets als gleichbedeutend mit einer Kapitulation zurückgewiesen.
Putin habe dem Kanzler erneut Energiegeschäfte mit seinem Land angeboten. Dabei ging es um die Nutzung der teils zerstörten und teils stillgelegten Nord Stream-Gaspipeline durch die Ostsee. Scholz ging auf den Vorschlag nicht ein. In der Erklärung der russischen Regierung heißt es weiter, dass es tiefe Differenzen gegeben habe, aber das Telefonat an sich ein positives Signal sei.
Fast zwei Jahre Funkstille
Es handelt sich um die erste direkte Kommunikation zwischen beiden Politikern innerhalb von fast zwei Jahren. Wegen des völkerrechtswidrigen Angriffs Moskaus auf die Ukraine und den folgenden, westlichen Sanktionen sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland tief gestört.
Scholz hatte bei seiner jüngsten Rede im Bundestag die Unterstützung der Ukraine bekräftigt. Gleichzeitig sagte er erneut, dass keine weit reichenden Waffen an Kiew geliefert werden sollen und begründete das mit der Sorge vor Eskalation.
Zuletzt hatten Scholz und Putin am 2. Dezember 2022 eine Stunde lang telefoniert. Der Kanzler bemüht sich aktuell um eine zweite Ukraine-Friedenskonferenz nach einem Gipfel in der Schweiz im vergangenen Sommer, an dem dann auch Russland teilnehmen könnte. Bisher ist dafür aber kein Termin in Sicht.
Scholz: „Ich mache das nicht im Alleingang“
Scholz hatte in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt, dass er zu einem neuen Gespräch mit Putin bereit sei. Er wolle nur den richtigen Zeitpunkt finden. In der ARD erklärte der Kanzler am Sonntag, dass dieser Zeitpunkt „demnächst“ gekommen sein könnte. „Ja, ich habe mir vorgenommen, mit dem russischen Präsidenten zur richtigen Zeit zu sprechen. Aber ich bin ein verantwortlicher Politiker, ich mache das nicht im Alleingang.“ Ein Gespräch mit Putin setze viele Kontakte und Gespräche mit sehr vielen anderen voraus.
G20-Gipfel dürfte Anlass des Gesprächs sein
Der Zeitpunkt des Gesprächs dürfte mit dem bevorstehenden G20-Gipfel im brasilianischen Rio de Janeiro zusammenhängen, zu dem Scholz am Sonntag aufbricht. Dort wird auch der russischen Außenminister Sergej Lawrow erwartet.
Putin selbst hatte am 18. Oktober seine Teilnahme am Gipfel abgesagt, um nicht „die normale Arbeit des Forums zu stören“, das andere Themen habe. Gegen Putin liegt ein internationaler Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag vor wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Er würde in Brasilien eine Festnahme riskieren.
Die G20 der führenden Wirtschaftsmächte aller Kontinente ist das einzige Gesprächsformat, in dem Russland und die Nato-Staaten noch hochrangig an einem Tisch sitzen. Scholz plant dort kein Gespräch mit Lawrow. Nach Angaben aus seinem Umfeld wird er aber mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über den Ukraine-Krieg sprechen, der als wichtigster Verbündeter Putins gilt.
Scholz telefonierte vorher auch mit Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist nicht zum G20-Gipfel eingeladen. Scholz telefonierte am Mittwochabend mit ihm, um über die militärische und humanitäre Lage in der Ukraine zu sprechen. Gut möglich, dass der Kanzler Selenskyj in dem Gespräch auf das Telefonat mit Putin vorbereitet hat.
„Der Bundeskanzler bekräftigte die anhaltende und unverbrüchliche Solidarität mit der Ukraine angesichts der seit nunmehr fast 1.000 Tagen anhaltenden Aggression Russlands“, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit anschließend mit. „Er versicherte, dass Deutschland die Unterstützung für die Ukraine auch im militärischen Bereich in enger Abstimmung mit europäischen und internationalen Partnern fortführen werde.“
Kiew kritisiert das Telefonat
Selenskyj zeigte sich dennoch alarmiert. Mit dem Telefonat öffne der Kanzler eine Büchse der Pandora. Bemühungen, Putin international zu isolieren, würden untergraben. „Jetzt könnte es weitere Gespräche, weitere Anrufe geben. Einfach viele Worte. Und genau das hat Putin schon lange gewollt: Es ist für ihn äußerst wichtig, sich aus seiner Isolation zu lösen“, sagte Selenskyj in seiner regelmäßigen abendlichen Ansprache.
Er erklärte, ein neues Minsker Abkommen werde es nicht geben. Das 2015 mit deutscher Vermittlung zustande gekommene Abkommen sollte den damals auf den Osten der Ukraine beschränkten Krieg zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischer Armee beenden. Die Kämpfe wurden jedoch fortgesetzt.
„Gespräche mit dem russischen Diktator allein bringen keinen Mehrwert für einen gerechten Frieden“, teilte das ukrainische Außenministerium am Freitag mit. Putin könne stattdessen Hoffnung schöpfen, seine internationale Isolation zu verringern. Nötig seien aber „konkrete und starke Aktionen, die ihn zum Frieden zwingen, und nicht Überzeugungsarbeit und Appeasement-Versuche, die er als Zeichen der Schwäche sieht und zu seinem Vorteil nutzt“.
Als „Appeasement“ wird eine Politik der Besänftigung demokratischer Staaten gegenüber aggressiven, autoritär regierten Nationen bezeichnet. Der Ausdruck geht auf die gescheiterte Politik des britischen Regierungschefs Neville Chamberlain gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg zurück.
Kreml sieht Nervosität im Westen nach Trumps Sieg
Russland hatte nach dem Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl erneut grundsätzliche Bereitschaft zum Dialog über die Ukraine signalisiert - auch mit Scholz. Moskau sieht im Westen Nervosität mit Blick auf die Ukraine. Es sei voreilig, nun über Veränderungen der Positionen bei den Europäern zu sprechen, hieß es. „Aber es gibt offizielle Erklärungen von europäischen Vertretern, die von der Fortsetzung ihrer allgemeinen Linie sprechen, alle Arten von Unterstützung zu leisten. Und auf Russisch heißt das, Waffen in die Ukraine zu pumpen, um diesen Krieg bis zum Ende fortzusetzen“, sagte Peskow.
Trump hatte im Wahlkampf angekündigt, er werde den Ukraine-Krieg binnen kürzester Zeit durch einen Deal mit Russland beenden. Details nannte er nicht. Putin gratulierte Trump vorige Woche zum Wahlsieg und zeigte sich nach außen hin offen für einen Dialog. Zugleich betonte er, dass Trump unberechenbar sei und daher abzuwarten bleibe, was auf seine Ankündigungen folgt.
Moskau dementierte Gespräch zwischen Putin und Trump
Am Montag wies Kemlsprecher Peskow einen Bericht der „Washington Post“ zurück, nach dem Putin und Trump nach der US-Wahl telefoniert haben sollen. „Es gab kein Gespräch“, sagte Peskow. „Es ist reine Fiktion, es sind einfach falsche Informationen.“ Russland sei weiter offen für Gespräche. Putin wollte aber nicht als Erster anrufen, weil nicht Russland, sondern der Westen den Kontakt abgebrochen habe. (Tsp/dpa/AFP/Reuters)
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