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Japans Premierminister ist auf der Suche nach Verbündeten.

© Afp

Nervosität wegen China-Russland-Pakt: Wie Japan weltweit nach Partnern sucht

In einer Woche hat Japans Premierminister so viele wichtige Kontakte gepflegt wie sonst in Jahren nicht. Hintergrund sind die Treueschwüre von Xi und Putin in Moskau.

Südkorea, Deutschland, Indien, Ukraine: Fumio Kishida hat höchst produktive Tage hinter sich. Als der japanische Premierminister Anfang am vergangenen Montag in Neu-Delhi landete, um sich mit dem indischen Premier Narendra Modi zu auszutauschen, war es schon das dritte hochkarätige Treffen binnen einer halben Woche. Und es scheint für ihn nach Plan zu laufen.

Japan und Indien, jeweils die drittgrößte Volkswirtschaft und der bevölkerungsreichste Staat der Welt, wollen künftig auf diversen Ebenen enger zusammenrücken: Handelspolitisch, diplomatisch, militärisch. Das versicherten sich die Regierungsoberhäupter gegenseitig.

Für die beiden asiatischen Großmächte ist dies von enormer Bedeutung. Die Welt stehe „an einer historischen Weggabelung“, betonte Fumio Kishida auch diese Woche, wie er es seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor einem guten Jahr schon bei mehreren Gelegenheiten gesagt hat.

Veränderte Sicherheitsstrategie seit dem russischen Angriffskrieg

Denn nicht nur in Europa hat der Ukraine-Krieg durch neue Kriegsängste und enorme militärische Unterstützungen für Kiew große Umwälzungen gebracht. Die regelbasierte Weltordnung stehe auf dem Spiel. Und damit auch das Selbstverständnis von Staaten wie Japan.

In dem ostasiatischen Land, wo Artikel 9 der Verfassung jede kriegerische Aktivität verbietet, sind die Auswirkungen besonders deutlich zu spüren. Vom Pazifismusdogma, das über Jahrzehnte die wohl wichtigste Trennlinie zwischen Konservativen und Progressiven war, hat sich Japan kurzerhand praktisch verabschiedet.

Eine zu Ende des vergangenen Jahres beschlossene Sicherheitsstrategie sieht eine Ausweitung der Befugnisse für das Militär vor sowie eine Verdopplung dessen Etats. Streit besteht seither weniger über die Richtigkeit dieses Schritts, eher über dessen Finanzierung.

Die Welt steht an einer historischen Weggabelung.

Fumio Kishida, Premierminister Japans

Denn auch in Japan hat die Unsicherheit über die Stabilität einer weitgehend friedlichen und geordneten Welt enorm zugenommen. Dieses Gefühl erhärtet sich, da sich Chinas Regierungschef Xi Jinping diese Tage mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen hat und sich einmal mehr zu dessen Freund erklärte.

China, das seit Jahren ebenfalls aufrüstet und wiederholt eine Invasion des demokratisch regierten Inselstaats Taiwan angedeutet hat, sehen viele Länder in der Region als potenziellen Aggressor. Mit Japan und diversen südostasiatischen Staaten bestehen Territorialkonflikte.

Zwischen Indien und China sind die Beziehungen besonders wegen Grenzstreitigkeiten angespannt. Konkret geht es um das Ladakh-Gebirge im Norden, das an China, aber auch an Pakistan und die umstrittene Kaschmir-Region grenzt. Peking und Islamabad arbeiten hier gemeinsam gegen Delhi.

Auch in Indiens übriger Nachbarschaft zeigt China mehr und mehr Präsenz. So sorgt schon lange ein mit chinesischen Krediten erbauter Hafen im Nachbarland Sri Lanka für Missfallen. Sri Lanka konnte die Schulden nicht bedienen, weshalb der Hafen nun laut Vertrag für 99 Jahre in Chinas Händen liegt.

Japan und Indien intensivieren ihre Beziehungen

Als im August dann ein chinesisches Überwachungsschiff, das zur Verfolgung von Satelliten- und Interkontinentalraketen dient, in Sri Lanka anlegte, fühlten sich diejenigen in Indien, die Pekings friedliche Absichten anzweifeln, nur bestätigt.

So liegt eine intensivierte Allianz zwischen Japan und Indien – zwei demokratische Staaten, die Chinas steigende Ansprüche zurückdrängen wollen – auf der Hand. Für Kishida, der bei seinem Besuch in Neu-Delhi zudem niedrigverzinste Kredite für Bauprojekte in Milliardenhöhe anbot, ist sie aber kein Selbstläufer.

Japans Premierminister Fumio Kishida traf sich am Montag mit seinem indischen Amtskollegen Narendra Modi, um über gemeinsame Bedenken im Hinblick auf China zu sprechen.
Japans Premierminister Fumio Kishida traf sich am Montag mit seinem indischen Amtskollegen Narendra Modi, um über gemeinsame Bedenken im Hinblick auf China zu sprechen.

© AFP/Indian Press Information Bureau

Während Japan die westlichen Sanktionen gegenüber Russland weitgehend mitträgt, hält sich Indien zurück. Das Land hängt in großem Ausmaß von russischen Rohstoffen und Militärlieferungen ab. Dennoch: Tokio und Neu-Delhi wollen mehr an einem Strang ziehen, heißt es.

Auch zu anderen großen demokratischen Volkswirtschaften sucht Fumio Kishida diese Tage besondere Nähe. So war am vergangenen Wochenende Deutschlands Kanzler Olaf Scholz mit sechs Regierungsmitgliedern zu Gast in Tokio.

Man gelobte, nicht nur in Sachen Lieferkettenresilienz und strategischer Güter wie seltenen Erden und Mikrochips enger zu kooperieren, sondern auch militärisch zusammenzurücken. Nachdem Japan im Januar schon mit Indien gemeinsame Militärübungen durchführte, könnten im kommenden Jahr auch solche mit Deutschland folgen.

Kurz-Besuch in Kiew

Nach der Reise nach Delhi am Montag reiste Fumio tags darauf überraschend nach Kiew, um sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auszutauschen.

„Solidarität und unerschütterliche Unterstützung“ verspricht Japans Premier Fumio Kishida dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
„Solidarität und unerschütterliche Unterstützung“ verspricht Japans Premier Fumio Kishida dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

© IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Pool /Ukrainian Presidentia

Es markiert den ersten Besuch des japanischen Regierungsoberhaupts in der Ukraine seit Beginn der Invasion durch Russland im vergangenen Jahr. Bisher war Japan das einzige Mitglied der G7, das dem osteuropäischen Land bisher keinen Solidaritätsbesuch abgestattet hatte. 

Annäherung an den Rivalen Südkorea

Allerdings offenbart sich die gesteigerte Nervosität in Japan durch kein Gipfeltreffen so deutlich wie jenes mit Yoon Suk-yeol, dem Präsidenten von Südkorea. Die zwei ostasiatischen Staaten verbindet eine Hassliebe: Popkulturell und touristisch ist der Austausch enorm. Aber die Kriegsvergangenheit – Japan kolonisierte Südkorea ab 1910 und missbrauchte Hunderttausende Menschen dort als Sexsklavinnen und Zwangsarbeiter – hat die Beziehungen immer wieder verschlechtert.

Seit 2018, als Japan Entschädigungsforderungen eines koreanischen Gerichts nicht anerkennen wollte, sind die Beziehungen besonders schlecht gewesen: Zu Handelssanktionen kam die Aussetzung sicherheitspolitischer Zusammenarbeit.

Nun aber, inmitten geopolitischer Spannungen, die auch die wiederholten Raketentests des mit China befreundeten Nordkorea einschließt, bewegen sich die beiden Staaten aufeinander zu. Ende letzter Woche erklärten Yoon und Kishida in Tokio, sie wollten die Geschichte schnellstmöglich Vergangenheit sein lassen und nach vorne blicken.

Plötzlich Freunde: Premier Kishida (rechts) und Südkoreas Präsident Yoon treffen sich in Tokio.
Plötzlich Freunde: Premier Kishida (rechts) und Südkoreas Präsident Yoon treffen sich in Tokio.

© Reuters/Kyodo

Fortan sollen handels- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit wieder aufblühen, heißt es. Und auch wenn die Kolonialvergangenheit noch nicht vergessen sei und konkrete Beschlüsse noch ausstehen, ereigne sich gerade Bedeutendes, beteuerte diese Tage Hideki Okuzono.

Yoon scheint hier viel politisches Kapital einzusetzen.

Park Won-gon, Politikprofessor an der Ewha Woman’s University in Seoul

Der Politikprofessor der Universität Shizuoka sagte: „Schon der Fakt, dass Präsident Yoon Japan besucht hat und sich die zwei Länder bilateral getroffen haben anstatt am Rande eines internationalen Forums, sollte als mögliche Wende gesehen werden.“

Ein Fonds aus freiwilligen Zuwendungen soll Entschädigungen südkoreanischer Überlebender ermöglichen – was in Südkorea aber kontrovers ist, da es kaum wie ein Schuldeingeständnis von japanischer Seite aussieht. „Yoon scheint hier viel politisches Kapital einzusetzen“, sagte Park Won-gon, Politikprofessor von der Ewha Woman’s University in Seoul gegenüber der Nachrichtenagentur Yonhap. Aber der internationale Druck sei eben groß.

Denn auch die USA, die mit den beiden demokratisch regierten Staaten eng verbündet sind und auf den jeweiligen Territorien große Militärbasen unterhalten, drängen seit Jahren auf verbesserte Beziehungen zwischen Japan und Südkorea.

G7-Gipfel im Mai in Hiroshima

Der größte Gewinner einer Annäherung – sofern sie nun auch erfolgt –könnte aber Fumio Kishida sein: Als Angehöriger der japanischen Konservativen will er sein Land auch mittel- und langfristig als Hegemon in Asien etablieren, wozu es gegenüber einem bevölkerungsmäßig zehnmal so großen China aber die Kooperation gleichgesinnter Staaten braucht.

Wenn Japan im Mai den G7-Gipfel in Hiroshima veranstaltet, begrüßt Gastgeber Fumio Kishida daher nicht nur die regulären Mitglieder USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada. Als besondere Gäste hat der japanische Premier neben Australien, das sich ebenfalls im Zwist mit China befindet, unter anderem auch Südkorea und Indien eingeladen.

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