
© IMAGO/SNA/Sergey Bobylev
Nordkorea ist Russlands wichtigster Waffenlieferant: „Ohne diese Unterstützung wäre Putin wahrscheinlich gescheitert“
Russland kämpft seinen Krieg gegen die Ukraine mit Millionen nordkoreanischer Granaten – die Pjöngjang wiederum Öl und Militärtechnologie einbringen. Eine neue Recherche zeigt das Ausmaß der Partnerschaft.
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Nordkoreanische Soldaten haben Russland geholfen, die ukrainische Offensive in der russischen Region Kursk abzuwehren. Doch noch wichtiger für Russlands Zermürbungskrieg könnten Pjöngjangs Waffenlieferungen sein.
In den vergangenen 20 Monaten hat das Regime in Pjöngjang unter anderem mehrere Millionen Artilleriegranaten an Russland geliefert – und dafür Erdöl und Raketentechnologie erhalten. Das geht aus einer Recherche der Nachrichtenagentur Reuters und der britischen Denkfabrik Open Source Centre (OSC) hervor.
Analysten des OSC verfolgten 64 Transporte mit insgesamt rund 16.000 Containern, die zwischen September 2023 und März 2025 von Nordkorea bis in Lagerhäuser nahe der ukrainischen Grenze gesendet wurden. Im nordkoreanischen Hafen Rajin wurden die Container auf vier unter russischer Flagge fahrende Schiffe verladen und unter anderem zu dem russischen Hafen Wostotschny verschifft. Von dort ging es per Schiene weiter an die ukrainische Grenze. Die Container enthielten neben den Granaten auch andere Artilleriemunition, Munition für Mehrfachraketenwerfer, Panzerfäuste und sogar ballistische Raketen, berichtet Reuters.
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Nach Schätzungen des ukrainischen Militärnachrichtendienstes hat Nordkorea in den letzten zwei Kriegsjahren bis zu sechs Millionen 122-mm- und 152-mm-Artilleriegranaten an die russische Armee geliefert. Der ukrainische Militärexperte Oleksij Hetman sagte dem Tagesspiegel, dass Russland zu Beginn der Invasion über 15 bis 20 Millionen Granaten verschiedener Kaliber verfügte. In den drei Kriegsjahren habe die russische Armee etwa 13 Millionen Granaten verschossen – zu Spitzenzeiten zwischen 60.000 und 70.000 pro Tag.
Gegenwärtig habe Russland noch rund drei Millionen Granaten übrig, sagt Hetman. Die russische Rüstungsindustrie produziere bis zu zwei Millionen Granaten pro Jahr – weit nicht genug, um den Bedarf der Armee zu decken. Er selbst schätzt den russischen Verbrauch höher ein als der Geheimdienst, auf etwa sechs Millionen Granaten pro Jahr. Die Lieferungen aus Nordkorea dürften etwa 66 Prozent des Bedarfs der russischen Armee decken. Reuters schreibt, russische Einheiten seien zeitweise komplett von nordkoreanischen Granaten abhängig.
Nordkoreas Waffen sind „strategisch entscheidend“
Ein anderer Analyst kommt zu einem ähnlichen Schluss: Nur dank der Lieferung von Waffen und Munition aus Nordkorea sei es Russland gelungen, seine Offensive im Donbass fortzusetzen und die ukrainischen Streitkräfte praktisch aus der Region Kursk zu verdrängen, so Hugh Griffiths, Senior Research Fellow am Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI).
„Die Demokratische Volksrepublik Korea hat nicht zugelassen, dass Russland diesen Krieg verliert, ihre Unterstützung war strategisch entscheidend“, sagte Griffiths dem von den USA finanzierten russischsprachigen TV-Sender Current Time. „Artilleriegranaten aus Nordkorea sind zu einer entscheidenden Ressource geworden. Ohne diese Unterstützung wäre Putins Aggression gegen die Ukraine höchstwahrscheinlich gescheitert.“
Der unabhängige Militäranalyst Jurij Fjodorow sagte dem Tagesspiegel, Nordkorea sei das einzige Land der Welt, das Russland ausreichend mit Munition versorgen könnte. Trotz massiver Investitionen und Hunderttausender neuer Mitarbeiter sei der russische militärisch-industrielle Komplex nicht einmal in der Lage, grundlegende Aufgaben zu bewältigen.
„Es werden Milliarden Rubel ausgegeben, aber es gibt fast kein Ergebnis“, so Fjodorow. „Daher setzt das Aggressorland seine Hoffnungen auf externe Lieferungen. Andernfalls wird es nicht in der Lage sein, die Taktik der Feuerwelle anzuwenden und die administrativen Grenzen der Region Donetsk vor Beginn der Friedensgespräche zu erreichen.“
Experten uneins über die Qualität der Granaten
Gleichzeitig stellt Fjodorow die Qualität der nordkoreanischen Granaten infrage und beruft sich dabei auf die russische Propaganda und die Telegram-Kanäle der Kreml-Blogger. Es gebe mehrere große Probleme mit der nordkoreanischen Munition: Fehlfunktionen der Zünder, große Streuung und sogar in den Geschützrohren explodierte Granaten. „Ein großer Teil des Vorrats besteht immer noch aus Geschossen, die in den 70er und 80er Jahren hergestellt wurden. Nur 40 Prozent davon funktionieren noch“, betont der Militäranalyst.
Andriy Chernyak, ein Vertreter des ukrainischen Militärnachrichtendienstes, vertritt einen etwas anderen Standpunkt. In einem Interview mit dem japanischen Fernsehsender NHK stellt er fest, dass die von den Russen in der Ukraine eingesetzten nordkoreanischen Granaten heute viel präziser sind als früher. „Ursprünglich waren die nordkoreanischen Granaten nicht so genau und landeten mehr als 100 Meter von ihrem Ziel entfernt. Jetzt sind sie viel zielsicherer“, so Tschernjak.
Nordkorea will Liefermengen erhöhen
Die Unterstützung Russlands hat dem nordkoreanischen Regime rund 20 Milliarden US-Dollar eingebracht, schreibt die Fachzeitschrift NK News, die sich auf einen Bericht der südkoreanischen Denkfabrik KIDA beruft. Weitere 630 Millionen US-Dollar habe Pjöngjang für Technologietransfers und 280 Millionen für Arbeitsleistungen erhalten.
Die KIDA-Analysten vermuten, dass Nordkorea einen erheblichen Teil der Entschädigung für seine Unterstützung durch den Kreml in Form von Tauschgeschäften oder Sachleistungen erhält. So erhalte Nordkorea von Russland etwa eine Million Barrel Öl für die Lieferung von Raketen – doppelt so viel, wie die Sanktionen gegen das Land im Jahr erlauben. Die Priorität Pjöngjangs könnte darin bestehen, fortschrittliche Militärtechnologien und strategische Waffen zu erwerben.
Um weiterhin davon zu profitieren, steigert Nordkorea seine Waffenverkäufe an Russland. Nach Angaben von 38 North, einer Publikation, die die Lage in Nordkorea analysiert, könnten etwa 20 Fabriken an der Herstellung von Munition für Russland beteiligt sein. Drei Unternehmen gelten als die Hauptlieferanten von Granaten und Raketen: das Werk Nr. 125 in Pjöngjang, das Werk Nr. 26 in der Provinz Chagando und einer der ältesten Hersteller von Mittelstreckenraketen, das Taesong-Maschinenwerk, dessen unterirdische Werkstätten 2023 und 2024 erheblich modernisiert und ausgebaut wurden.
Vermutlich zur Verbesserung der Logistik von Militärgütern planen Russland und die DVRK den Bau einer Straßenbrücke über den Fluss Tumanna in der Region Primorski. Wie der russische Botschafter in Pjöngjang, Alexander Matsegor, gegenüber RIA Novosti erklärte, haben die Bauarbeiten noch nicht begonnen, aber „es wird nicht mehr lange dauern“. Der Botschafter wies darauf hin, dass es weitere „große und kleine“ vielversprechende bilaterale Projekte gebe.
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