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Kämpfer der Rebellenarmee in Syrien.

© AFP/AAREF WATAD

Update

Nun ist auch in Syrien wieder Krieg: Was der überraschend erfolgreiche Vorstoß der Rebellen bedeutet

In Syrien führen Aufständische die größte Offensive seit Jahren durch. Das Assad-Regime ist überrumpelt, der Partner Russland überfordert. Der Konflikt kurz und übersichtlich erklärt.

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Es ist eine überraschende Offensive und sie ist überraschend erfolgreich: Dschihadisten und mit ihnen verbündete Kämpfer haben innerhalb weniger Tage nach Angaben von Aktivisten dutzende Städte und Dörfer im von der Regierung kontrollierten Norden und Nordwesten Syriens erobert.

Bricht in Syrien nun erneut ein großer Krieg aus? Können die Rebellen Assad gefährlich werden? Und wer kämpft da überhaupt und wer unterstützt wen? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

1 Wer kämpft da gerade gegen wen?

Lange sah es so aus, als wäre der Krieg in Syrien eingefroren. Bis auf Scharmützel gab es in den vergangenen Jahren keine großen Kampfhandlungen. Nach dem verheerenden Bürgerkrieg, der 2011 nach Protesten gegen den Diktator Baschar Al-Assad begann, ist das Land gespalten. Assad kontrolliert inzwischen wieder zwei Drittel des Landes.

Im Nordwesten Syriens grenzt die großteils von der Regierung kontrollierte Provinz Aleppo an die letzte große Rebellen- und Dschihadisten-Hochburg Idlib. Auch andere Teile des Nordwestens und Nordostens Syriens sind teilweise unter Kontrolle von Oppositionskräften.

Kämpfer der Oppositionsarmee im Nordwesten Syriens.

© AFP/AAREF WATAD

Diese Oppositionskräfte haben am Mittwoch die Offensive gestartet. Dazu gehören die radikalen Islamisten der Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und unter anderem auch die Syrische Nationalarmee (SNA), die eher moderat islamisch geprägt ist. Ob die einst größte Rebellenarmee, die Freie Syrische Armee (FSA) auch beteiligt ist, ist derzeit unklar. Nach dem Motto „dein Feind ist auch mein Feind“ haben sich unterschiedliche Oppositionsgruppen gegen Assad verbündet, obwohl sie weltanschaulich wenig verbindet.

Die Dschihadistengruppe HTS kontrolliert aktuell Teile mehrerer syrischer Provinzen, darunter die Provinz Aleppo, aber nicht die Stadt, und die Stadt Idlib. Die Gruppe ist ein syrischer Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Die FSA war zu Beginn des Bürgerkriegs die wahrscheinlich größte Oppositionsarmee und bestand vor allem aus übergelaufenen Soldaten der Regime-Truppen. Die SNA gehört aktuell zu den größten Oppositionsgruppen.

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Schon im Bürgerkrieg, aber auch in den Folgejahren, bekämpften sich die Truppen der Regimegegner. Die Konkurrenz unter den Anti-Assad-Kämpfern verhinderte, dass sie wirklich zu einer schlagkräftigen Armee werden konnten.

2. Was hat die aktuellen Kämpfe ausgelöst?

Rauchsäulen steigen nach Kämpfen in Nordsyrien auf.

© AFP/OMAR HAJ KADOUR

In der Region Idlib gilt seit 2020 ein von der Türkei und Russland vermittelter Waffenstillstand, der zwar immer wieder gebrochen wurde, aber bisher weitgehend stabil blieb.

Laut den Oppositionskräften soll die syrische Armee nun zurückgedrängt werden, um Angriffe auf von der Opposition kontrollierte Gebiete zu verhindern. Dazu gehören Artilleriebeschuss, Luftangriffe, aber auch Überfälle von Milizen, die unter anderem vom Iran unterstützt werden. Außerdem geht es um die Kontrolle wichtiger Versorgungswege. Einer der Kommandeure der Oppositionstruppen erklärte: „Es ist klar geworden, dass die Milizen des Regimes und ihre Verbündeten, inklusive der iranischen Milizen, dem syrischen Volk den Krieg erklärt haben.“ Laut Informationen des „Spiegel“ sollen sich die Rebellen aber seit rund einem halben Jahr auf die Offensive vorbereiten.

3. Wer unterstützt wen – welche Rollen spielen Russland und die Türkei?

Ein zerstörter Panzer der syrischen Armee steht im Dorf Anjara am westlichen Stadtrand von Aleppo.

© dpa/Omar Albam

Russland: Der Kreml griff im Jahr 2015 direkt in den syrischen Bürgerkrieg ein, vor allem um zu zeigen, dass man international noch eine Großmacht mit Einfluss ist. Damals kontrollierte die Regierung in Damaskus nur noch einen kleinen Teil des Landes. Vor allem die russische Luftwaffe half Assad, große Teile des Landes zurückzuerobern – und von der Opposition kontrollierte Städte weitgehend zu zerstören. Wegen des Ukrainekrieges hat Russland größere Teile seiner Truppen aus Syrien abgezogen. Auch die Söldner der Wagner-Gruppe spielen keine große Rolle mehr und sind inzwischen vor allem in Afrika aktiv.

Mehr als Appelle scheinen Moskau derzeit nicht zu bleiben: Die Behörden müssten „im umkämpften Gebiet so schnell wie möglich Ordnung schaffen und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Peskow verurteilte die Offensive der Dschihadisten als „Angriff auf die Souveränität Syriens“. Zuvor musste Russland laut Medienberichten einen Luftwaffenstützpunkt vor dem Ansturm der Rebellen räumen.

Iran: Teheran und Damaskus sind seit dem Krieg zwischen dem Irak und Iran Anfang der 80er-Jahre verbündet. Damals unterstützte Syrien den Iran gegen Saddam Hussein. Der Iran unterstützte wiederum Assad im Bürgerkrieg mit Ausrüstung, Militärberatern und Kommandeuren der Revolutionsgarden. Letztere befehligten Milizen mit teilweise mehreren tausend Kämpfern.

Auch die vom Iran unterstützte libanesische Terrororganisation Hisbollah kämpfte aufseiten Assads. Wenig überraschend ist deshalb, dass bei den am Mittwoch begonnenen Kämpfen auch ein General der iranischen Revolutionsgarden getötet wurde. General Kjumars Purhaschemi war laut Teheran einer der „höchstrangigen iranischen Berater in Aleppo“.

Türkei: Istanbul ist vor allem daran interessiert, die Kurden in der Grenzregion zur Türkei militärisch schwach zu halten. Dabei half die Freie Syrische Armee im Jahr 2018 wohl mit mehreren tausend Kämpfern. Seitdem gilt die FSA als türkeinah. Wie der „Spiegel“ schreibt, wusste die Türkei von der geplanten Offensive. Die Türkei ist selbst mit Soldaten auf syrischem Territorium vertreten.

USA: Den Nordosten Syriens kontrollieren kurdische Kämpfer, die von den USA unterstützt werden. Sie halfen auch bei den Kämpfen gegen radikale Islamisten, als sie große Teile Syriens und des Irak kontrollierten. Auch die FSA wurde von den USA unterstützt.

Israel: Das Land ist zwar nicht direkt an dem Konflikt beteiligt, hat aber in den vergangenen Wochen immer wieder Angriffe in Syrien geflogen, die sich gegen iranische Militärs und gegen Waffenlieferungen aus dem Iran an die libanesische Hisbollah richteten.

4. Was bedeuten die Kämpfe für die Zivilbevölkerung?

Tausende Zivilisten haben die Kampfzone inzwischen verlassen.

© AFP/OMAR HAJ KADOUR

Wegen der intensiven Gefechte im Nordwesten Syriens sind nach Angaben der Vereinten Nationen seit Mittwoch rund 14.000 Menschen in der Umgebung von Idlib und westlich von Aleppo vertrieben worden.

Wir erhalten Berichte über Kinder mit mehreren Verletzungen durch Schrapnelle.

David Carden, stellvertretender regionaler UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien

Die Lage verschlechtere sich insbesondere für die Zivilbevölkerung, sagte David Carden, stellvertretender regionaler UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, der Deutschen Presse-Agentur. „Wir erhalten Berichte über Kinder mit mehreren Verletzungen durch Schrapnelle“, sagte er.

Die Zivilbevölkerung in den umkämpften Provinzen in Syrien ist leidgeplagt. Die Städte sind zu großen Teilen zerstört, weitere Verheerungen richtete ein großes Erdbeben im Norden Syriens im Frühjahr 2023 an. Internationale Hilfe erreicht die Betroffenen kaum. Die Frage ist auch, was die Rebellen in den eroberten Orten vorhaben. Ein streng islamisches Regime, wie es die HTS anstrebt, wird die Lebensumstände kaum verbessern.

„Zum ersten Mal seit fast fünf Jahren hören wir ständig Raketen und Artilleriegranaten, manchmal auch Flugzeuge“, sagte ein 51-jähriger Bewohner von Aleppo der Nachrichtenagentur AFP am Telefon. Die Menschen hätten Angst, „dass sich das Kriegsszenario wiederholt und wir gezwungen sein werden, aus unserer Heimat zu fliehen“.

5. Wie geht es nun weiter?

Völlig unklar ist derzeit, wie weit die Rebellen noch vorstoßen können und ob es wirklich zu Kämpfen um die Millionenstadt Aleppo kommt. Videos vom Freitagmorgen zeigen Soldaten der Rebellen in der Stadt. Offiziell bestätigt ist das bisher nicht.

Fakt ist: Russland wird wegen des Krieges in der Ukraine keine große Unterstützung schicken können und auch der Iran ist wegen des Konflikts mit Israel militärisch gebunden. Das Problem für Assad: Verliert er die Kontrolle über das wirtschaftlich wichtige Aleppo, wäre das ein herber Schlag für das Regime und würde ihn schwach aussehen lassen – und seine Gegner im Land beflügeln. Seine Soldaten hatten Aleppo 2016 nach schweren Kämpfen von den Oppositionellen zurückerobert.

Alles wird davon abhängen, wie viele Kämpfer und Gerät die Rebellen für ihren Vormarsch aufbieten können. Rund 20.000 Mann soll die Oppositionsarmee stark sein. Assads Armee wiederum ist derzeit dabei, Verstärkung in Richtung Aleppo zu entsenden. Das Überraschungsmoment der vergangenen Tage haben die Rebellen dabei nicht mehr auf ihrer Seite. Strategisch scheinen sie vor allem wegen des Einsatzes von Überwachungs- und Kamikazedrohnen derzeit noch überlegen. (mit Agenturen)

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