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„Nun steht Putin vor einer schwierigen Wahl“: Was ukrainische Experten vom Waffenruhe-Vorschlag halten
30 Tage lang soll in der Ukraine nicht gekämpft werden, wenn es nach Washington und Kiew geht. Politische Beobachter aus dem überfallenen Land reagieren vorsichtig optimistisch. Doch nicht alle glauben, dass der Waffenstillstand kommt.
Stand:
Washington und Kiew haben sich in Saudi-Arabien auf einen Vorschlag geeinigt: 30 Tage lang soll in der Ukraine nicht mehr gekämpft werden. Es wäre der erste Waffenstillstand, seit Russland unter Führung von Wladimir Putin im Februar 2022 völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschiert ist. Nun wird auf eine Antwort von Putin gewartet. Was halten ukrainische Experten von dem Vorschlag?
Serhiy Taran, Direktor des International Institute for Democracy
Die wichtigste Frage ist jetzt die Reaktion Russlands. Wird der Waffenruhe-Vorschlag akzeptiert? Ich denke, der Kreml wird sich nach dem wahrscheinlichen Treffen zwischen dem US-Sonderbeauftragten Steve Witkoff und Putin entscheiden. Erst bei diesem Treffen werden alle Karten auf den Tisch gelegt, wie Trump sagen würde.
Ich denke, man wird Putin Investitionsprojekte, eine Rückkehr in den Klub der respektablen Länder, eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen und die inoffizielle Anerkennung der besetzten Gebiete anbieten. Es gibt noch viele Unklarheiten, zum Beispiel, wie ein Waffenstillstand abgesichert werden sollte.
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Wolodymyr Fesenko, Direktor des Penta-Zentrums für politische Studien
Die Gespräche in Saudi-Arabien können als Erfolg für die ukrainische Seite gewertet werden: Die beunruhigenden Erwartungen, dass die Amerikaner uns zu einem Frieden zu den Bedingungen Russlands überreden könnten, haben sich zumindest im Moment nicht bestätigt. Und nun steht Putin vor einer schwierigen Wahl.
Ich denke, dass er auf den Waffenruhe-Vorschlag der USA und der Ukraine keine klare Antwort geben wird, weder positiv noch negativ. Der Kreml wird sicherlich eine Reihe von Gegenforderungen an die Ukraine stellen, um sowohl ein Waffenstillstandsabkommen zu schließen als auch gleichzeitig auf die Aufnahme von Friedensgesprächen über ein großes Friedensabkommen zu drängen.
In jedem Fall wird es zu einer deutlichen Intensivierung des Verhandlungsprozesses kommen. In den kommenden Tagen werden es die Gespräche zwischen den USA und Russland sein, und dann werden vielleicht direkte Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland unter Vermittlung der USA beginnen. Es scheint, dass Trump versuchen wird, noch vor den Osterfeiertagen einen Waffenstillstand zu erreichen und dies zur wichtigsten Errungenschaft der ersten 100 Tage seiner Präsidentschaft zu machen.
Leonid Shvets, Journalist
Die Nachrichten aus Saudi-Arabien klingen für die Ukraine durchaus ermutigend. Nicht, weil auf die Gesprächsrunde in Jeddah ein Waffenstillstand folgen wird, denn damit ist nicht zu rechnen. Doch drei wichtige Dinge sind erreicht worden:
Erstens kann die Situation der akuten gegenseitigen Irritation, die bei dem historischen Treffen im Oval Office am 28. Februar ausgebrochen war, als überwunden gelten.
Der zweite wichtige Punkt ist, dass die ausgesetzten Waffen- und Munitionslieferungen sowie die Lieferung von nachrichtendienstlichen Informationen an die ukrainischen Streitkräfte wieder aufgenommen wurden.
Und der dritte Punkt ist natürlich das, was Selenskyj bei dem Treffen im Weißen Haus zu vermitteln versuchte, aber nicht schaffte: Die Ukraine wird jederzeit einem Waffenstillstand zustimmen, wenn Russland dies tut, aber Russland ist nicht verhandlungsbereit und nicht vertrauenswürdig. Kiew hat dies auf die harte Tour gelernt. Jetzt können die USA ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit den Russen sammeln.
Maksym Rozumnyi, Chefredakteur der Zeitschrift „Country“
Das Team von Donald Trump setzt den Plan für eine friedliche Beilegung des Konflikts nach dem klassischen Schema um: abwechselnd Druck auf die Konfliktparteien ausüben und von ihnen bestimmte Zugeständnisse verlangen. Das heißt, im Vorfeld haben die Amerikaner der Ukraine erhebliche Zugeständnisse abgetrotzt. Jetzt ist es an der Zeit, Druck auf Russland auszuüben.
Olexander Kotschetkow, Politologe
Ein Waffenstillstand ist für Russland nicht vorteilhaft. Derzeit rückt die russische Armee vor, wenn auch langsam. Andererseits ist es riskant, ungezügelte Aggressivität zu demonstrieren. Sollte Trump sich von Russland beleidigt fühlen, wird er sich der Ukraine gegenüber öffnen und unsere Finanzen und Waffen aufstocken.
Die wichtigste Errungenschaft dieser Verhandlungen ist, dass es der Ukraine gelungen ist, das Stigma eines „Kriegsbefürworters“ loszuwerden. Dieses Stigma kann nun demjenigen angeheftet werden, der es verdient: dem aggressiven Russland.
Oleksiy Kopytko, Militäranalyst
Wenn die Russen Trump jetzt eine Absage erteilen würden, sähe das seltsam aus. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die Ergebnisse des Treffens zwischen den USA und der Ukraine so einhellig sind und der Ball nun nach Russland fliegt. Außerdem bezweifle ich, dass ein 30-tägiger Waffenstillstand ohne vorherige Erprobung in Moskau vorgebracht wurde.
Meines Erachtens wird irgendeine Form von Vereinbarung öffentlich bekanntgegeben werden. Parallel dazu werden die russischen Truppen ihre Offensive so lange wie möglich fortsetzen – unter dem Vorwand, sich auf technische Details einigen zu müssen. Womöglich wird sich Russland auf einen Waffenstillstand einlassen. Dabei wird Moskau aber nach Vorwänden suchen, um die Verhandlungen zu stören oder unmögliche Bedingungen zu stellen. (mit TMA)
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