zum Hauptinhalt
Ekrem Imamoğlu gilt als vielleicht wichtigster Gegenspieler von Staatschef Erdogan in der Türkei. (Archivbild)

© Oliver Berg/dpa

Update

Seine Partei ruft zu landesweiten Protesten auf: Türkische Justiz verhaftet Erdoğan-Kontrahenten Imamoğlu

Den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu will die Opposition gegen Erdoğan ins Rennen schicken. Nun wurde er verhaftet. Zudem wurde eine Nachrichtensperre und ein Demonstrationsverbot verhängt.

Stand:

In der Türkei hat die Polizei den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu festgenommen. Dem wichtigsten politischen Konkurrenten von Präsident Recep Tayyip Erdoğan werde die Führung einer kriminellen Vereinigung, Bestechung, Manipulation von Ausschreibungen und die Unterstützung einer terroristischen Organisation vorgeworfen, teilten die Behörden am Mittwoch mit.

In der Millionenmetropole Istanbul sind dazu mehrere Straßen gesperrt worden. Vier Tage lang bleiben laut dem Gouverneursamt in der Innenstadt ausgewählte Straßen gesperrt, zudem werden mehrere Bahnstationen geschlossen. Auch seien alle Arten von Versammlungen und Demonstrationen bis zum 23. März verboten, „um die öffentliche Ordnung in der gesamten Provinz aufrechtzuerhalten und mögliche Provokationen zu verhindern“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Imamoğlu erklärte auf der Online-Plattform X, dass er nicht aufgeben und trotz des Drucks standhaft bleiben werde. Die Republikanische Volkspartei (CHP) wollte ihn in einigen Tagen zum Herausforderer von Erdoğan bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl küren.

Türkische Opposition prangert „Putschversuch“ an

Die CHP sprach von einem versuchten Staatsstreich. Die Türkei erlebe gerade „einen Putschversuch gegen den nächsten potenziellen Präsidenten“, sagte der CHP-Chef, Özgür Özel, im Fernsehen. Staatschef Recep Tayyip Erdoğan wisse, dass Imamoğlu ihn bei den nächsten Wahlen besiegen könne. Özel forderte Erdoğan und seine Partei auf, seine Rolle in dem versuchten Staatsstreich offenzulegen.

Die Staatsanwaltschaft Istanbul teilte mit, dass es bei den Ermittlungen gegen Imamoğlu um zwei Verfahren gehe. Zum einen handele es sich um den Vorwurf krimineller Aktivitäten im Zusammenhang mit Ausschreibungen der Stadtverwaltung, in die 100 Personen verwickelt seien. Darunter seien Journalisten und Geschäftsleute.

Im zweiten Fall werde Imamoğlu und sechs weiteren Personen vorgeworfen, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, die von der Türkei als Terrororganisation eingestuft wird, unterstützt zu haben.

Partei Imamoglus ruft Türken zu landesweiten Protesten auf

Nach seiner Festnahme hat seine Partei zu landesweiten Protesten aufgerufen. Menschen sollten um 12 Uhr MEZ (Ortszeit 14 Uhr) vor Einrichtungen der sozialdemokratischen CHP im ganzen Land zusammenkommen, teilte die Partei mit. Für Istanbul gelte das nicht, sagte der CHP-Politiker Özgür Celik. Das Gouverneursamt hatte zuvor ein mehrtägiges Demonstrationsverbot für die Metropole verhängt.

Online-Medien eingeschränkt

Nach der Festnahme meldete die Internetbeobachtungsorganisation NetBlocks, dass der Zugang zu mehreren Online-Plattformen in der Türkei eingeschränkt worden sei. Dazu zählten X, YouTube, Instagram und TikTok. Viele Türkinnen und Türken beschrieben Drosselungen und Beschränkungen unter anderem auf X, Youtube, Instagram, Tiktok, Whatsapp, Signal, Telegram und weitere Diensten.

Klingbeil: Festnahme Angriff auf Demokratie in der Türkei

SPD-Chef Lars Klingbeil bezeichnet die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu als „schweren Angriff“ auf die Demokratie in der Türkei. Klingbeil sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Bereits gestern wurde ihm sein Universitätsabschluss aberkannt. Der Versuch, ihn aus dem politischen Wettbewerb auszuschalten, ist unübersehbar. Die türkische Regierung zeigt damit, dass sie keine fairen Wahlen und keinen unabhängigen Rechtsstaat mehr will. Das Vorgehen ist unverhältnismäßig und zerstört Vertrauen und Glaubwürdigkeit mit dramatischen Folgen für das ganze Land.“

Klingbeil sagte weiter, seine Solidarität und die der gesamten SPD gelte Imamoglu, der Schwesterpartei CHP und allen heute Festgenommenen. „Sie müssen sofort freigelassen werden. Politische Willkür darf nicht die Zukunft der Türkei bestimmen.“

Bundesregierung: Festnahme Imamoglus „schwerer Rückschlag“ für Demokratie

Die Bundesregierung hat die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters ebenfalls scharf kritisiert. Der Schritt sei „ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in dem Land am Bosporus“, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts, Sebastian Fischer, am Mittwoch in Berlin. Die Festnahme reihe sich ein „in eine Serie erhöhten juristischen Drucks gegen den Istanbuler Oberbürgermeister“. Für die Bundesregierung sei „die Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien Grundbedingung für eine funktionierende Demokratie“.

Konkrete Schritte, etwa die Einbestellung des türkischen Botschafters in Berlin, kündigte Außenamtssprecher Fischer nicht an. Man sei „in einem ständigen Austausch“ mit Vertreterinnen und Vertretern der türkischen Regierung sowohl in Berlin als auch in Ankara. Er sei sicher, dass das Vorgehen „in angemessener Weise“ in diesen Kontakten adressiert werde. „Auch die öffentliche Äußerung hier wird sicherlich in die Türkei transportiert werden und dort wahrgenommen werden“, sagte Fischer in der Regierungspressekonferenz.

Generell stelle man eine Häufung von Verfahren gegen Imamoglu fest, sagte Fischer weiter. Die Verhaftung sei nun „eine neue Qualität“. Wichtig sei, „dass der Wille der Wählerinnen und Wähler in der Türkei respektiert wird“. Dies gelte für alle Demokratien. Die Festnahme werfe „ein zutiefst beunruhigendes Licht auf die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundprinzipien in der Türkei“. Zu diesen Grundprinzipien habe sich das Land als EU-Beitrittskandidat und Mitglied des Europarats verpflichtet

Finanzmärkte erschüttert

Die Vorgänge in der Türkei schlugen sich auch auf den Finanzmärkten nieder. Zwischenzeitlich mussten mehr als 40 Lira für einen Dollar gezahlt werden. An der Börse in Istanbul brach der Leitindex Borsa Instanbul 100 um fast 7 Prozent ein. Zuletzt stand noch ein Minus von 4,6 Prozent zu Buche. Auch am Anleihenmarkt gingen die Kurse auf Talfahrt.

„Türkische Vermögenswerte stehen unter starkem Verkaufsdruck“, sagte Piotr Matys, Währungs-Analyst bei In Touch Capital Markets. Einigen Anlegern werde nun erneut in Erinnerung gerufen, dass Präsident Erdoğan seine Macht noch mehr festigen will.

Besser als erwartet ausgefallene Inflationswerte im Februar, eine Leitzinssenkung und die Hoffnung auf engere Beziehungen zur Europäischen Union hatten dazu beigetragen, dass türkische Aktien Anfang des Monats noch stark gestiegen waren. Durch den Kursrutsch am Mittwoch ist dieses Kursplus jetzt deutlich geschrumpft.

Am Dienstag hatte die Universität Istanbul den Hochschulabschluss von Imamoğlu aufgrund von Unregelmäßigkeiten annulliert. Damit könnte der Erdoğan-Rivale von der kommenden Präsidentschaftswahl ausgeschlossen werden. Imamoğlu hatte die Entscheidung der Universität als unrechtmäßig bezeichnet und rechtliche Schritte angekündigt. (dpa, Reuters)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })