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Wladimir Putin bei Stapellauf des russischen Atom-U-Boots „Perm“ in Murmansk.

© imago/ITAR-TASS/IMAGO/Sergei Karpukhin

Russlands Taktik: Putin spielt im Konflikt mit der Ukraine auf Zeit

Wladimir Putin will den Konflikt mit der Ukraine nicht ernsthaft lösen. Aber er hält die Friedensverhandlungen am Laufen, weil sie ihm drei wichtige Vorteile bringen, analysiert Mikhail Polianskii.

Ein Gastbeitrag von Mikhail Polianskii

Stand:

Wladimir Putin hält die Verhandlungen mit den USA und dem Westen in Riad geschickt am Laufen.

Während Kritiker behaupten, der Kreml habe kein ernsthaftes Interesse an den Verhandlungen, zeigt sich bei näherer Betrachtung ein nuanciertes Bild: Der Kremlchef nutzt die Gespräche strategisch. Er gewinnt damit vor allem Zeit und kann seine Position sowohl international als auch innenpolitisch stärken.

Ein Kernstück von Putins Verhandlungsstrategie ist der Versuch, die Einigkeit des Westens zu untergraben. Bei den Gesprächen im saudischen Riad fordert Moskau von den USA beispielsweise die Wiederaufnahme russischer Banken in das in Europa ansässige Zahlungssystem Swift, um den Export von russischen Agrarprodukten durch das Schwarze Meer zu erleichtern.

Solche unrealistischen Forderungen vor dem Inkrafttreten des Waffenstillstands zielen darauf ab, Spannungen zwischen den USA und Europa zu schüren.

Prominente Kreml-Propagandisten wie Wladimir Solowjow verstärken diese Narrative, indem sie behaupten, dass Entscheidungen in Riad für Russland von Nutzen seien, da sie „zu einer großen Spaltung innerhalb der Nato-Länder führen könnten“ und „die Interessen der USA und Europas entgegensetzen“.

Verhandlungen stärken Russlands Ansehen im Globalen Süden

Die Fortsetzung der Verhandlungen dient auch dazu, Russlands Ansehen in den Ländern des Globalen Südens zu stärken. Viele dieser Staaten bewerten den russischen Krieg gegen die Ukraine nicht so eindeutig negativ wie der Westen.

Durch die weitere Teilnahme an den Gesprächen in Riad positioniert sich Russland als verantwortungsvoller Akteur, der Dialogbereitschaft zeigt.

Militärisch verfolgt Russland in Riad das Ziel, Zeit zu gewinnen, um an der Front voranzukommen und möglichst viel Territorium zu sichern, bevor eine Grenze eingefroren werden könnte.

Mikhail Polianskii, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung

Dies hilft, die wirtschaftliche und politische Isolation zu durchbrechen. Zugleich werden die Ukraine und Europa im Blick des Globalen Südens als Kriegstreiber dargestellt, was Moskaus diplomatische Spielräume erweitert.

Militärisch verfolgt Russland in Riad das Ziel, Zeit zu gewinnen, um an der Front voranzukommen und möglichst viel Territorium zu sichern, bevor eine Grenze eingefroren werden könnte.

Russen und Amerikaner vor einigen Tagen bei einem Treffen in Saudi-Arabien

© REUTERS/Evelyn Hockstein

Sogar ein Waffenstillstand, sollte er vereinbart werden, würde dem Kreml die Möglichkeit geben, die Truppen zu reorganisieren und neue Offensiven – in der Ukraine oder anderswo – vorzubereiten.

Die Ankündigung eines Rekrutierungsdekrets im April, das die Zahl der Wehrpflichtigen auf 160.000 erhöht, zeigt, dass der personelle Druck in den Streitkräften größer ist als bisher angenommen.

160.000
Wehrpflichtige werden von Russland einberufen.

Eine längere Pause auf dem Schlachtfeld könnte den russischen Truppen Erholung verschaffen und sie für künftige Operationen stärken.

Putin weiß, dass eine solche Gelegenheit zum Dialog selten ist, und nutzt sie, um das Terrain sowohl an der Front als auch auf der internationalen Bühne neu zu vermessen.

Putin inszeniert sich innenpolitisch als Friedensstifter

Letztendlich nutzt Putin die Verhandlungen, um sich innenpolitisch als Friedensstifter zu inszenieren. Nach drei Jahren Krieg wächst in der russischen Bevölkerung, insbesondere in den Gebieten Kursk und Belgorod, das Bedürfnis nach Frieden.

Solange der Präsident den Dialog mit dem Westen aufrechterhält, kann er den Druck im eigenen Land mildern und seine Autorität festigen.

Diese Strategie ist umso wichtiger, als die Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung spürbar zunimmt. Die Verhandlungen bieten somit nicht nur internationale Vorteile, sondern auch einen Mechanismus, um die Stabilität im Inland zu sichern.

Trump ist unzufrieden mit der Verhandlungsbereitschaft Russlands.

© REUTERS/Evelyn Hockstein

Die Signale aus den USA – etwa Trumps Bereitschaft, bei ausbleibendem Fortschritt sekundäre Sanktionen anzudrohen (auch wenn die schwer umsetzbar wären) – verdeutlichen, dass es für Russland strategisch günstiger ist, mit minimalen Zugeständnissen den Verhandlungsprozess am Leben zu halten, als den Konflikt weiter eskalieren zu lassen.

Dieser taktische Zug erlaubt es dem Kreml, flexibel zu bleiben und zugleich die eigenen Interessen zu wahren.

Es mag sein, dass Putin in früheren Sondierungen die Bereitschaft der Amerikaner überschätzt hat, die ukrainischen Interessen zu vernachlässigen. Man sollte aber davon ausgehen, dass er die Verhandlungsstrategie etwas anpassen wird.

Russlands Strategie in Riad ist kein ernsthafter Versuch, den Ukraine-Konflikt zu lösen, sondern ein ausgeklügeltes Zeitspiel: Der Kreml kombiniert minimale Zugeständnisse mit gezielten Provokationen, um den Westen zu spalten, sein Image im Globalen Süden zu polieren, militärische Vorteile zu sichern und die innenpolitische Lage zu stabilisieren.

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