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Schwedens neuer Regierungschef Ulf Kristersson

© Foto: Imago/Vesa Moilanen

Update

Schweden übernimmt EU-Ratspräsidentschaft: Wer regiert jetzt in Brüssel?

Inmitten zahlreicher Krisen übernimmt Schweden den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Zum Antrittsbesuch ging es für Regierungschef Ulf Kristersson am Dienstag nach Paris. Kann er dort europäische Bedenken entkräften?

Es klang kaum wie ein Willkommensgruß an die Europäische Union. Jimmie Åkesson, Parteichef der rechten Schwedendemokraten (SD), zeigte sich Mitte November bei einer parlamentarischen Debatte im Stockholmer Reichstag wütend über „Brüssels Bürokraten“.

Schweden müsse sich, so Åkesson, endlich von der „wahnwitzigen Vorstellung“ verabschieden, dass Brüssel sich allzu häufig in die Politik einzelner Mitgliedsstaaten einmische.

Jetzt, sechs Wochen später, ist es ausgerechnet Stockholms Aufgabe, diese Politik entscheidend mitzubestimmen. Seit dem Jahreswechsel steht das größte Land Skandinaviens dem Rat der Europäischen Union vor.

Ratspräsidentschaft in Krisenzeiten

Gleich am Dienstag reiste Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson dafür nach Paris. Bei einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron verdeutlichte der Schwede, welche Themen er künftig auf die Tagesordnung setzen will.

„Die russische Invasion in der Ukraine ist natürlich das Schlimmste, aber wir müssen uns auch mit der Energiekrise, der Klimakrise und der steigenden Inflation auseinandersetzen.“

Schweden übernimmt damit erneut in einer von Krisen geprägten Zeit das europäische Zepter. Als es 2009 über die Union waltete, befand sich der Kontinent inmitten einer globalen Finanzkrise. 14 Jahre später muss das Land europäische Lösungen auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, die Klimakrise, die Energiekrise finden.

In Stockholm ist man sich dessen bewusst. Schweden habe eine „ungeheuer verantwortungsvolle Aufgabe“ vor sich, sagte die schwedische EU-Ministerin Jessika Roswall im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Wir müssen die Europäische Union zusammenhalten.“

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Die Ministerin ist noch keine drei Monate im Amt, erst im Herbst kam es in Stockholm zum Regierungswechsel. Vier Schwerpunkte hat sich ihre Mitte-Rechts-Regierung für den EU-Ratsvorsitz gesetzt: Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, grüne Energiewende und Rechtsstaatlichkeit.

Das ist ohnehin bereits europäische Agenda, meint Marcus Johansson vom Schwedischen Institut für Europäische Politikstudien (Sieps) gegenüber dem Tagesspiegel.

„Das Signal der Regierung ist klar: Man nimmt die unparteiische Rolle des Vorsitzes ernst und wird aktuelle Fragen vorantreiben.“ Zugleich müsse die europäische Maschine „am Laufen gehalten werden“.

Einfluss rechter Kräfte in Schweden auf die EU

Doch insbesondere Schweden selbst kann durch die EU-Aufgaben ins Straucheln geraten. Expert:innen gehen davon aus, dass innenpolitische Themen in den kommenden Monaten durchs Raster fallen, auch der Einfluss von Åkessons Partei auf die schwedische EU-Politik wird kritisch beäugt.

Denn der rechte Jimmie Åkesson ist Königsmacher der aktuellen Minderheitsregierung. Will der konservative Ministerpräsident Ulf Kristersson Mehrheiten finden, muss er zuerst mit Åkesson verhandeln. Dessen Partei wirkt heute gemäßigter, hat ihre Wurzeln aber in der strammen Neonazi-Szene der 90er-Jahre, warb früher mit der Parole „Schweden den Schweden“ und nach dem Erfolg des Brexits für einen „Swexit“.

Klar ist, dass wir eine ehrgeizige Umwelt- und Klimapolitik machen wollen.

Jessika Roswall, schwedische EU-Ministerin

Wird er als Mehrheitsbeschaffer Kristerssons Regierung nun in EU-Fragen vor sich hertreiben? Insbesondere bei den Kerngebieten Klimawandel und Rechtsstaatlichkeit gibt es Meinungsverschiedenheiten.

Erst im Oktober hat die Schwedendemokratin Elsa Widding im Reichstag verkündet, dass sie „keine wissenschaftliche Beweise für eine Klimakrise“ sehe. Åkesson hat diese Haltung im Koalitionsvertrag quasi festschreiben lassen. Stockholm setzt fortan auf billiges Benzin und schraubt die Subventionen für Erneuerbare Energien erheblich runter.

In Brüssel will Schweden die hoch gesteckten Klimaziele dennoch erreichen. „Klar ist, dass wir eine ehrgeizige Umwelt- und Klimapolitik machen wollen“, sagt Jessika Roswall. Auch mit Blick auf die Ukraine sei es wichtig, sich vom russischen Gas und Öl unabhängig machen. „Das wird in den kommenden Monaten eine Herausforderung für uns alle werden.“

Herausfordernd könnte auch der Umgang mit Ungarn sein. Die Schwedendemokraten stehen Viktor Orbán eher freundlich gegenüber. Bei einer Entscheidung zwischen Angela Merkel und dem ungarischen Regierungschef, sagte Parteichef Åkesson einst, würde er Orbán vorziehen. Der sei konservativer und wie er gegen die weitere Föderalisierung der EU.

Der ehemalige SD-Generalsekretär Richard Jomshof lobte in einem internen Briefwechsel 2016 die eingeschränkte Pressefreiheit in Ungarn und beklagte, dass Schweden noch nicht Ungarn sei.

Doch wie groß der Einfluss der Rechten auf den schwedischen EU-Ratsvorsitz sein wird, müsse sich erst noch zeigen, meint Politikwissenschaftler Johansson aus Göteborg. „Als vorsitzendes Land kann man in einigen Fragen zurückhaltender sein, SD hier möglicherweise etwas bremsen. Doch einzelne Themen völlig von der Tagesordnung zu streichen, das geht nicht.“

Das Rechtsstaatsverfahren gegen Budapest bleibt zumindest für Jessika Roswall auf der schwedischen Agenda: „Wie genau wir damit arbeiten, muss sich zeigen.“

Zeigen muss sich auch, wie einig man sich in Stockholm wirklich ist. Zumindest die EU-Ministerin gibt sich zuversichtlich. Mit Blick auf gemeinsame europäische Werte gebe es „keine unterschiedlichen Auffassungen“ mit dem rechten Kooperationspartner.

Hinsichtlich des gemeinsamen EU-Verständnisses kann das zumindest bezweifelt werden. Während Ministerpräsident Ulf Kristersson versichert, dass er einer „proeuropäischen Regierung“ vorstehe, klingt das bei Jimmie Åkesson anders.

Im schwedischen Reichstag verkündete er, dass die größte Bedrohung der europäischen Zusammenarbeit die „föderalistischen Supermachtambitionen“ der EU seien. Orbán nannte er da nicht.

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