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Tausende Palästinenser feierten am Mittwoch die Nachricht vom Waffenstillstand, hier in Chan Junis im südlichen Gazastreifen.

© AFP/Bashar Taleb

Update

Sechswöchige Waffenruhe, Freilassung von 33 Geiseln: Israel und Hamas einigen sich auf Feuerpause in Gaza

Israel und die Hamas haben laut Katar eine vorläufige Einstellung der Kampfhandlungen vereinbart. Ab Sonntag sollen die Waffen in Gaza zunächst für sechs Wochen ruhen.

Stand:

Israel und die radikal-islamische Palästinenser-Organisation Hamas haben nach Angaben Katars am Mittwoch eine Vereinbarung für eine Feuerpause im Gaza-Konflikt und die Freilassung weiterer Geiseln erzielt.

Die Feuerpause soll am Sonntag beginnen, wie Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani nach Gesprächen in Doha mitteilte. Die USA, Katar und Ägypten werden die Waffenruhe überwachen. Zuvor berichtete unter anderem die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf eine mit dem Vorgang vertraute Person.

Am Mittwochabend deutscher Zeit gab zunächst der designierte US-Präsident Donald Trump eine Einigung zu den „Geiseln in Nahost“ bekannt. „Sie werden bald freigelassen werden“, teilte er mit. In seinem Onlinedienst Truth Social reklamierte er die Vereinbarung als seinen Erfolg. „Diese epische Waffenruhe-Vereinbarung konnte nur als Ergebnis unseres historischen Siegs im November zustande kommen“, schrieb Trump.

Später bestätigte auch Joe Biden die Vereinbarung. Der scheidende US-Präsident zeigte sich „begeistert“. „Dieser Deal wird die Kämpfe im Gazastreifen stoppen, stark benötigte humanitäre Hilfe für palästinensische Zivilisten anschwellen lassen und die Geiseln nach mehr als 15 Monaten Gefangenschaft mit ihren Familien vereinen“, erklärte Biden. Seine Regierung hatte sich in den vergangenen Wochen intensiv um das Abkommen im Gaza-Krieg bemüht.

Geisel-Deal: Netanjahu will noch Details klären

Offiziell verkündet wurde die Einigung noch nicht. Aus Israel hieß es, dass noch einzelne Punkte geklärt werden müssten, dies aber hoffentlich in der Nacht zu Donnerstag der Fall sei. „Mehrere Klauseln des Rahmens sind noch offen“, erklärte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwoch.

Netanjahu will erst nach abschließender Klärung von Details eine Erklärung zu der von Katar zuvor verkündeten Waffenruhe im Gazastreifen abgeben.

Dem scheidenden US-Präsidenten Joe Biden wie auch dessen designiertem Nachfolger Donald Trump sprach er aber jetzt schon seinen Dank für ihre Unterstützung beim Aushandeln eines Abkommens mit der Hamas aus. Er habe Trump für seine Unterstützung beim Vorantreiben des Gaza-Abkommens gedankt, teilte Netanjahus Büro mit. Der israelische Ministerpräsident lobte demnach auch Trumps Versprechen, dass die USA mit Israel sicherstellen wollten, dass der Gazastreifen niemals zum Zufluchtsort für Terroristen werde. Beide wollten sich „demnächst“ in Washington treffen.

Es gibt keine größere Verpflichtung, als unsere Söhne und Töchter zu uns zurückzubringen – sei es, um sich zu Hause zu erholen, oder um beigesetzt zu werden.

Israels Präsident Isaac Herzog

Der israelische Präsident Isaac Herzog begrüßte dann am Abend die Einigung auf eine Waffenruhe im Gazastreifen. „Als Präsident des Staates Israel sage ich in aller Deutlichkeit: Dies ist der richtige Schritt“, betonte Herzog am Mittwochabend in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache.

„Es gibt keine größere moralische, menschliche, jüdische oder israelische Verpflichtung, als unsere Söhne und Töchter zu uns zurückzubringen – sei es, um sich zu Hause zu erholen, oder um beigesetzt zu werden“, fügte Herzog, der als israelischer Präsident eine überwiegend repräsentative Rolle hat, hinzu.

Herzog rief das Sicherheitskabinett und die Regierung seines Landes dazu auf, die Waffenruhe-Vereinbarung mit der Hamas zu billigen. „Wir befinden uns in einem äußerst entscheidenden Moment“, sagte Herzog nach Angaben seines Büros.

„Dieser Deal wird die Kämpfe im Gazastreifen stoppen“, sagte der scheidende US-Präsident Joe Biden am Mittwoch, hier bei seinem Statement flankiert von Vizepräsidentin Kamala Harris und Außenminister Antony Blinken.

© REUTERS/Evelyn Hockstein

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) reagierte zunächst mit vorsichtigem Optimismus. „In diesen Stunden gibt es Hoffnung, dass die Geiseln endlich freikommen und das Sterben in Gaza ein Ende findet“, erklärte Baerbock am Mittwochabend im Onlinedienst Bluesky. „Alle, die Verantwortung tragen, sollten jetzt dafür sorgen, dass diese Chance genutzt wird“, appellierte die Ministerin.

Der Waffenstillstand bietet die Chance für ein dauerhaftes Kriegsende.

Bundeskanzler Olaf Scholz

Bundeskanzler Olaf Scholz hält die Einigung für eine Chance auf ein dauerhaftes Kriegsende. „Es ist gut, dass eine Einigung über einen Waffenstillstand und die Freilassung von Geiseln – auch deutschen – in Gaza erreicht scheint! Jetzt muss die Einigung konsequent umgesetzt werden“, schrieb Scholz auf der Plattform X.

Alle Geiseln müssten nun freigelassen werden und die sterblichen Überreste toter Geiseln den Familien für einen würdevollen Abschied übergeben werden. „Der Waffenstillstand bietet die Chance für ein dauerhaftes Kriegsende und die Verbesserung der schlechten humanitären Lage im Gazastreifen. Dafür setzen wir uns weiter ein“, schrieb der SPD-Politiker.

Hamas soll alle festgehaltenen Frauen, Kinder und Männer über 50 freilassen

Die Vereinbarung sieht einem Insider zufolge eine anfängliche sechswöchige Waffenruhe vor. Zudem sollen zunächst 33 israelische Geiseln aus der Gewalt der Hamas freikommen, sagt der mit den Verhandlungen vertraute Insider der Nachrichtenagentur Reuters. Darunter seien alle festgehaltenen Frauen, Kinder und Männer über 50. Die Hamas werde zuerst weibliche Geiseln – Zivilistinnen und Soldatinnen – und Minderjährige unter 19 Jahren freilassen, danach Männer über 50 Jahren.

Im Gegenzug werde Israel für jede zivile Geisel 30 palästinensische Gefangene aus israelischer Haft entlassen. Für jede israelische Soldatin, die in der Gewalt der Hamas sei, würden 50 palästinensische Gefangene freikommen. Insgesamt halten die Extremisten rund 100 Geiseln im Gazastreifen fest. Das israelische Militär solle sich schrittweise aus dem Gazastreifen zurückziehen.

Pro Tag sollen zudem wohl 600 Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gebracht werden. 300 Lkw seien für den Norden des Gazastreifens vorgesehen. Auch Treibstoff soll in den weitgehend zerstörten Küstenstreifen gebracht werden.

Grenzübergang Rafah soll Donnerstagmorgen geöffnet werden

Ägyptischen Medienberichten zufolge soll der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und Gaza zeitnah für Hilfslieferungen in das Palästinensergebiet geöffnet werden. Es sei eine Koordination im Gange, um „den Grenzübergang Rafah zu öffnen, damit internationale Hilfslieferungen eintreffen können“, berichteten Staatsmedien am Mittwoch unter Berufung auf eine ägyptische Sicherheitsquelle. Ägypten bereite sich darauf vor, „so viel Hilfe wie möglich in den Gazastreifen zu bringen“, hieß es der Zeitung „Al-Ahram“.

Die humanitäre Situation in Gaza hat sich in letzter Zeit mangels Hilfslieferungen zunehmend verschlechtert, hier eine Szene vor einer Wohltätigkeitsküche in Rafah.

© dpa/Abed Rahim Khatib

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi erklärte am Abend, es sei nun dringend notwendig, die Einfuhr humanitärer Hilfe nach Gaza zu beschleunigen, um die katastrophale Lage vor Ort zu lindern. Langfristig müsse ein nachhaltiger Frieden durch eine Zweistaatenlösung angestrebt werden.

Der wichtige Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen soll Sicherheitskreisen zufolge bereits am Donnerstagmorgen wieder eröffnet werden. Entsprechende Anweisungen seien eingegangen, bestätigte ein Sicherheitsbeamter am Grenzübergang der Deutschen Presse-Agentur.

Jubel im Gazastreifen

Die Nachricht über eine Einigung zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas hat in Gaza Jubel ausgelöst. Tausende Menschen im Gazastreifen versammelten sich in Gruppen auf den Straßen um zu feiern, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP aus Deir al-Balah im Zentrum des Palästinensergebietes und anderen Gegenden berichteten. Die Menschen tanzten, umarmten einander und fotografierten sich, um den besonderen Moment festzuhalten.

In Deir Al-Balah feiern zahlreiche Palästinenserinnen und Palästinenser die Nachricht über ein Waffenstillstandsabkommen mit Israel.

© REUTERS

Die Hamas feiert die Einigung mit Israel auf eine Feuerpause im Gaza-Krieg als ihren Erfolg. „Das Waffenruheabkommen ist das Ergebnis der legendären Widerstandskraft unseres großartigen palästinensischen Volkes und unseres tapferen Widerstands im Gazastreifen seit mehr als 15 Monaten“, teilte die Islamistenorganisation mit.

Hamas-Vize: Triumph über Israel

Der Vizechef der islamistischen Hamas hat das Abkommen über eine Waffenruhe mit Israel im Gazastreifen als Triumph über Israel dargestellt. Es handle sich um einen „historischen Moment“, sagte der stellvertretende Chef des Hamas-Politbüros, Chalil al-Haja nach Verkündung des Abkommens.

„Unser Volk hat die erklärten und verborgenen Ziele der Besatzung vereitelt. Wir beweisen heute, dass die Besatzung unser Volk und seinen Widerstand niemals besiegen wird“, so al-Haja weiter.

Die Massaker an Israelis vom 7. Oktober 2023 bezeichnete er als Wendepunkt in der Geschichte der palästinensischen Sache, bei denen Israel ins Mark getroffen worden sei. Die Hamas werde sich weiterhin daran ausrichten, Jerusalem und die Al-Aksa-Moschee Israel zu entreißen, sagte al-Haja. Er fügte hinzu: „Unser Feind wird von uns niemals einen Moment der Schwäche sehen.“

Jubel bei propalästinensischer Kundgebung in Berlin

Auch in Berlin-Neukölln haben sich kurz nach Berichten über die Einigung spontan Dutzende Menschen versammelt. Die kurzfristig angemeldete Kundgebung am Hermannplatz habe „Jubelcharakter“, sagte ein Polizeisprecher. Zunächst waren demnach weniger als 100 propalästinensische Teilnehmer vor Ort. Bislang verlaufe die Kundgebung friedlich, die Stimmung sei positiv. Es wurden Bonbons und Baklava verteilt.

Zahlreiche Menschen feierten am Mittwochabend die vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas auf dem Hermannplatz in Berlin-Neukölln.

© dpa/Jörg Carstensen

UN-Generalsekretär António Guterres hat den erwarteten Waffenstillstand derweil als ermutigend bezeichnet. Ein Abkommen könne zu einem vorsichtigen Optimismus für 2025 beitragen, sagte Guterres am Mittwoch in New York.

In der EU-Kommission zeigte man sich ebenfalls erleichtert. „Ich begrüße die Waffenruhe-Vereinbarung und die Einigung über die Geiseln zwischen Israel und der Hamas“, erklärte die für die Mittelmeerregion zuständige EU-Kommissarin Dubravka Suica am Mittwochabend im Onlinedienst X. Der britische Premierminister Keir Starmer spracht von einer überfälligen Nachricht.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßt die Vereinbarung über die Waffenruhe ebenfalls. „Das bringt Hoffnung für eine ganze Region, in der die Menschen schon viel zu lange unermessliches Leid ertragen haben“, schrieb von der Leyen auf der Plattform X. Sie forderte Israel und die Hamas auf, das Abkommen vollständig umsetzen.

Gedämpfte Stimmung bei israelischen Geisel-Angehörigen

Angehörige israelischer Geiseln im Gazastreifen nahmen die Aussicht auf die Freilassung von 33 der Entführten mit gemischten Gefühlen auf. „Für mich ist es erst vorbei, wenn es vorbei ist“, sagte Jimmy Miller, Cousin der Geisel Schiri Bibas, mit ernstem Gesicht auf dem „Platz der Geiseln“ vor dem Kunstmuseum im Zentrum von Tel Aviv. Der Platz war am Abend ungewöhnlich leer, niemand erschien in Feierstimmung.

Bibas war am 7. Oktober 2023 gemeinsam mit ihren beiden Söhnen, Baby Kfir und Kleinkind Ariel, sowie ihrem Ehemann Jarden in den Gazastreifen verschleppt worden. Das Schicksal der beiden Kinder hatte direkt nach ihrer Verschleppung durch ein Video für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt. Sie und die Mutter haben neben der israelischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Verwandte und Freunde von Menschen, die von der Hamas getötet oder entführt und nach Gaza gebracht wurden, am Mittwoch bei einer Demonstration in Tel Aviv.

© dpa/Ohad Zwigenberg

Hamas hatte über Tod der Familie berichtet

Die islamistische Hamas hatte während des Krieges mitgeteilt, die Mutter und beide Kinder seien bei israelischen Bombardements getötet worden. Aus israelischer Sicht gibt es jedoch für ihren Tod keine abschließende Bestätigung. Mutter und Kinder stehen nach Medienberichten auf der Liste der 33 Geiseln, die in der ersten Phase freikommen sollen.

„Ich werde es erst glauben, wenn ich sehe, wie unsere Geiseln aus dem Gazastreifen die Grenze nach Israel überqueren“, sagte Miller der Deutschen Presse-Agentur. „Das wird mir die Hoffnung und den Glauben geben, dass dieser Deal an einem bestimmten Punkt beginnen und enden wird.“ Es sei entscheidend, dass alle 98 Geiseln wieder nach Israel gebracht werden, betonte Miller. „Das wird noch dauern, aber hoffentlich nicht wieder ein Jahr und drei Monate - so wie diesmal.“

Das Baby Kfir sei bei der Entführung erst acht Monate alt gewesen, sagte Miller. „Er konnte noch nicht laufen, noch keine feste Nahrung aufnehmen, er konnte noch nicht einmal „Mama“ sagen, als er verschleppt wurde.“ Sein älterer Bruder Ariel habe damals noch an Superhelden geglaubt. Im Kindergarten habe er ein Bild von Batman gemalt, der Kinder aus einem Brunnen rettet. „Am Ende ist er es selbst, der in einem Loch festsitzt – wir hoffen sehr, dass es ein gutes Ende geben wird.“

Die Einigung wurde nach langen Verhandlungen unter Vermittlung der USA, Katars und Ägyptens erzielt. Zuletzt wurde Trumps bevorstehender Amtsantritt am 20. Januar als Frist für eine Vereinbarung gesehen. Der Republikaner hatte mit schweren Konsequenzen gedroht, wenn die Geiseln nicht vorher freigelassen werden.

Der Krieg begann mit dem Überraschungsangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Dabei wurden nach israelischen Angaben 1200 Menschen getötet und mehr als 250 Geiseln verschleppt. In der Folge drang Israels Militär in den Gazastreifen ein. Dabei wurden palästinensischen Gesundheitsbehörden zufolge inzwischen mehr als 46.000 Menschen getötet und weite Teile der Enklave verwüstet. (Reuters, AFP, dpa, Tsp)

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