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Ukraine-Invasion, Tag 1178: Wie die Ukraine Hunderte Millionen US-Dollar bei Waffendeals verloren hat
Was über die Gespräche in Istanbul bisher bekannt ist. Warum der Flop Washington als Lektion dienen sollte. Der Nachrichtenüberblick am Abend.
Stand:
in den Wochen nach Beginn von Russlands Angriffskrieg stellte die Regierung in Kiew fest, dass die Ukraine nur Munition für zwei Monate Krieg besaß. Europa produzierte längst nicht genug Artilleriegranaten für die sowjetischen Waffen der Ukraine. Also setzte die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj die üblichen Regeln für den Ankauf von Waffen aus und schickte Beamte an, auch außerhalb der Nato nach Munition zu suchen.
Seitdem hat die Ukraine 770 Millionen US-Dollar für Waffen und Munition bezahlt, die niemals geliefert wurden. Das schreibt die „Financial Times“ unter Berufung auf interne Dokumente der ukrainischen Regierung und Dutzende Interviews (Quelle hier).
Die Ukraine habe bei ihrer Suche nach Waffen auf internationale Broker gesetzt, an die sie vor dem Krieg Waffen aus heimischer Produktion verkauft hatte. Dies lieferte das Land den Launen des internationalen Waffenmarktes aus, schreibt die „FT“. „In mehreren Fällen zahlte Kiew große Summen im Voraus an wenig bekannte Unternehmen für Material, das bis heute nicht eingetroffen ist. In anderen Fällen sagten Beamte, dass Waffen, die zu stark überhöhten Preisen verkauft wurden, als die weltweite Nachfrage in die Höhe schoss, (…) in einem unbrauchbaren Zustand ankamen.“
Mehrere ehemalige ukrainische Beamte, die in den ersten drei Kriegsjahren für die Beschaffung von Waffen zuständig waren, verteidigten in Interviews mit der „FT“ den Einsatz ausländischer Broker. Diese hätten dazu beigetragen, dem Land große Mengen an Munition aus Ländern zu beschaffen, die aus geopolitischen Gründen keine Waffen direkt an die Ukraine verkaufen wollten.
Ein Beispiel: Von der „FT“ eingesehene Gerichtsdokumente zeigten, dass der staatliche ukrainische Waffenvermittler Ukrspetsexport im April 2022 Mörser aus dem Sudan bezog – von Verkäufern, bei denen sich später herausstellte, dass sie enge Verbindungen zum russischen Sicherheitsdienst FSB sowie zur Wagner-Gruppe von Jewgeni Prigoschin hatten.
„Waffenhändler sind Händler des Todes“, zitiert die „FT“ den früheren ukrainischen Verteidigungsminister Oleksiy Reznikov. „Sie sind absolut pragmatisch und zynisch. Sie haben keine Vorstellung von Gerechtigkeit. Das sind keine Begriffe, die in ihrer Welt existieren. Sie sagen: ‘Ich habe es in meinem Lager. Wenn ihr es wollt, kauft es. Wenn du es nicht willst, verkaufe ich es an deinen Feind.’“
Doch Teile der finanziellen Verluste scheinen selbst verschuldet zu sein. Vertreter ausländischer Rüstungsunternehmen sagten gegenüber der „FT“, dass sie Opfer von Machtkämpfen und Korruption durch ukrainische Beamte und staatliche Waffenvermittler geworden seien, was für einen Teil der fehlenden Millionen verantwortlich sein könnte.
Die „FT“ schreibt, dass die Regierung in Kiew nun versucht, Ordnung in die Prozesse zu bringen. Mehrere ehemalige ukrainische Beamte, die an diesen Geschäften beteiligt waren, seien von Selenskyjs Regierung entlassen und einige wegen Korruption angeklagt worden. Dutzende von Waffenverträgen würden derzeit von den Strafverfolgungsbehörden des Landes untersucht. Andere Deals würden in quälend langsamen Schiedsgerichtsverfahren in London und Genf verhandelt.
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
- In Istanbul haben am Nachmittag russische und ukrainische Delegationen das erste Mal seit drei Jahren wieder direkt miteinander gesprochen. Was über die Gespräche bisher bekannt ist. Mehr dazu hier.
- Zum Auftakt ihrer direkten Gespräche über ein mögliches Kriegsende haben Russland und die Ukraine einen großen Austausch von jeweils 1000 Kriegsgefangenen vereinbart. Das bestätigten Russlands Chefunterhändler Wladimir Medinski und der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Mehr dazu im Newsblog.
- Die Ukraine hat Russland vorgeworfen, bei den Verhandlungen beider Länder in Istanbul „inakzeptable Forderungen“ erhoben zu haben, um die Gespräche scheitern zu lassen. Ein ukrainischer Regierungsvertreter sagte am Freitag der Nachrichtenagentur AFP, Moskau verlange von Kiew die Aufgabe ukrainisch kontrollierter Gebiete als Vorbedingung für eine Waffenruhe.
- In Tirana haben Polens Premier Tusk, der ukrainische Präsident Selenskyj, Frankreichs Präsident Macron, der britischer Premier Starmer und Kanzler Merz mit Donald Trump telefoniert. Über den Inhalt des Gesprächs ist bisher nichts bekannt.
- Der Kreml hat Erwartungen an ein baldiges Treffen zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem US-Präsidenten Donald Trump gedämpft. So ein Treffen sei zweifellos nötig, stimmte Kremlsprecher Dmitri Peskow dem von Trump bei seiner Nahostreise geäußerten Wunsch nach einer Begegnung russischen Agenturen zufolge zu. „Doch ein Treffen auf höchster Ebene muss vorbereitet und resultativ sein“, schränkte er zugleich ein.
- Kurz vor dem Beginn der Gespräche lieferten sich Moskau und Kiew eine öffentliche Schlammschlacht. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums bezeichnete Selenskyj als „Clown“, die Ukrainer reagierten mit „Lachnummer“. Mehr dazu hier.
- Ein schwedischer Diplomat, der vergangene Woche unter Spionageverdacht festgenommen wurde, ist nach seiner Freilassung aus der Untersuchungshaft tot aufgefunden worden. Mehr dazu hier.
- Die Bundeswehr ist mit Soldaten an einem Nato-Kampfverband in Litauen beteiligt und wird dabei offenbar von Russland genau beobachtet. Mitte vergangener Woche wurde während der gemeinsamen Übung „Iron Wolf“ ein russisches Spionageflugzeug im angrenzenden Luftraum von Belarus geortet, berichtet der „Spiegel“. Mehr dazu hier.
- EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angesichts des russischen Kurses in den Verhandlungen über ein Ende des Krieges gegen die Ukraine einen Vorschlag für ein neues EU-Sanktionspaket angekündigt. „Dieses Paket wird zum Beispiel Sanktionen gegen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 beinhalten“, sagte von der Leyen bei einem Treffen europäischer Staats- und Regierungschefs in der albanischen Hauptstadt Tirana. Mehr dazu im Newsblog.
- Ein Australier, der sich den ukrainischen Streitkräften angeschlossen hatte, ist laut pro-russischen Behörden zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Der 33-jährige Oscar Jenkins aus Melbourne habe als „Söldner in einem bewaffneten Konflikt“ gekämpft und sei darum zu 13 Jahren „Strafkolonie unter strenger Führung“ verurteilt worden, erklärte die Staatsanwaltschaft der von Russland besetzten ostukrainischen Region Luhansk am Freitag im Onlinedienst Telegram.
- Die Ukraine hat eigenen Angaben zufolge einen F-16 Kampfjet verloren. Es habe eine ungewöhnliche Situation an Bord gegeben, teilt die ukrainische Luftwaffe mit.
Hintergrund und Analyse
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