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Der russische Präsident Wladimir Putin.

© Maxim Shemetov/Pool Reuters/AP

Ukraine-Invasion Tag 954: Will Russland überhaupt Verhandlungen?

Ukrainische Behörden warnen vor Problemen bei der Wasserversorgung in der Region Donezk, Brände in zwei russischen Tanklagern. Der Nachrichtenüberblick am Nachmittag.

Stand:

In Deutschland werden die Stimmen derzeit wieder lauter, die mehr Anstrengungen für einen Friedensprozess zwischen Russland und der Ukraine fordern. Am Donnerstag demonstrierten in Berlin laut Polizeiangaben knapp 10.000 Menschen für einen Waffenstillstand, zu den Rednern gehörte auch die BSW-Politikerin Sahra Wagenknecht.

Auch die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), sowie der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt fordern in einem aktuellen Gastbeitrag „Verhandlungen“ im Ukraine-Krieg (nachzulesen in unseren Nachrichten des Tages). Nur: Will Russland das überhaupt?

Moskau hatte im Juni nicht am Friedensgipfel in der Schweiz teilgenommen. Auch zu einem zweiten Gipfel, der im November stattfinden soll, will Russland offenbar nicht kommen. Ein Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz lehnte der russische Präsident Wladimir Putin zuletzt ab. Es gebe derzeit nichts zu besprechen, hieß es aus dem Kreml. Und auch in Russland selbst rechnen die Wenigsten damit, dass der Krieg zeitnah durch einen Friedensschluss beendet werden kann.

Das schreiben die beiden für gewöhnlich gut informierten Journalisten Farida Rustamova und Maxim Tovkaylo (unter anderem arbeiteten sie für die BBC und das Investigativportal Meduza) in ihrem aktuellen Newsletter (Quelle hier). Für ihre Recherche haben sie mit zahlreichen Vertretern der Moskauer politischen Elite gesprochen.

Einer sagte ihnen: „Diejenigen, die in der russischen Elite Friedensgespräche mit der Ukraine befürworten, sind jetzt in der Minderheit.“ Vor dem Angriff auf die Region Kursk sei die Unterstützung für Verhandlungen größer gewesen, sagte ein Beamter, der unter westlichen Sanktionen steht. „Jetzt ist es schwierig, die Idee des Friedens auch nur zu erwähnen – jeder, der so etwas sagt, wird zum Schweigen gebracht“, fügt er hinzu.

Das ist durchaus paradox, denn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte seine Truppen unter anderem deshalb auf russisches Territorium in Kursk geschickt, um Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen und bei Verhandlungen eine bessere Position zu haben. Er will besetzte russische Gebiete gegen ukrainische tauschen. Nach Angaben eines russischen Offiziellen, der laut Rustamova und Tovkaylo regelmäßig mit dem russischen Präsidenten in Kontakt steht, würde ein Einsatz von westlichen Raketen gegen Ziele in Russland Putins Bereitschaft für Friedensgespräche noch weiter senken. „Das wäre eine ziemliche Eskalation“, erklärt er.

Laut dem Report der beiden Journalisten habe es bei den russischen Eliten im Sommer durchaus noch Hoffnung auf Friedensgespräche gegeben. Demnach hatten die Ukraine und Russland durch den Austausch von Gefangenen Vertrauen aufgebaut. Die beiden Armeen waren wohl auch kurz davor, ein Abkommen zu schließen, nicht mehr gegenseitig die Energieinfrastruktur anzugreifen und auf Schläge tief im Landesinneren zu verzichten.

Auch die „Washington Post“ berichtete im August über die Gespräche (mehr hier). Diese seien aber nach der ukrainischen Kursk-Offensive abgebrochen worden. Offiziell wurden die Verhandlungen weder aus Kiew noch Moskau bestätigt. Stattdessen, so heißt es jetzt aus Moskau, bereite sich der Kreml vor, den Krieg noch lange weiterzuführen. Das Ziel, schreiben Rustamova und Tovkaylo: „Die Ukraine als Staat zu zerstören.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Das BSW lobt den gemeinsamen Appell der Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), sowie des Thüringer CDU-Vorsitzenden Mario Voigt zur Ukraine-Politik, in dem sie nach „Verhandlungen“ rufen. „Das ist mutig, fast revolutionär und stimmt hoffnungsvoll“, sagte Klaus Ernst, Vize-Vorsitzender des BSW im Bundestag, dem Tagesspiegel. Mehr hier.
  • Auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht lobte den Appell. „Ein kluger und differenzierter Beitrag“ sei deren gemeinsamer Aufruf gewesen, sagte Wagenknecht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Mehr hier.
  • Ukrainische Behörden haben vor Problemen bei der Wasserversorgung in der östlichen Region Donezk infolge heftiger russischer Angriffe gewarnt. 260.000 Menschen könnten von Wasserknappheit betroffen sein, erklärte der Gouverneur der Region, Wadim Filaschkin, im Online-Dienst Telegram. Mehr in unserem Newsblog.
  • US-Militärexperten erwarten eine baldige Abschwächung der Bodenoffensive russischer Truppen im Osten der Ukraine. „Die gegenwärtige Sommeroffensive wird absehbar ihren Höhepunkt in den kommenden Wochen oder Monaten erreichen“, schrieb das Institut für Kriegsstudien (ISW) in seinem jüngsten Bericht.
  • Ein Verantwortlicher des von Russland besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja ist bei einem Anschlag mit einer Autobombe ums Leben gekommen. Der ukrainische Geheimdienst veröffentlichte ein Video, das die Explosion eines Autos zeigte und erklärte dazu, dass der „Sicherheitschef“ des Akw, Andrij Korotky, getötet worden sei. 
  • In zwei russischen Tanklagern sind in der Nacht Brände ausgebrochen. Gouverneur Alexander Gussew nannte einen ukrainischen Drohnenangriff als Ursache. Teile einer abgefangenen Kampfdrohne seien in das Lager gefallen und hätten eine leere Zisterne in Brand gesetzt, schrieb er auf Telegram. 
  • Die Ukraine ist nach Angaben ihrer Luftwaffe auch in der Nacht zum Freitag mit russischen Drohnen angegriffen worden. Ziel sei kritische Infrastruktur gewesen. Von 19 Drohnen habe man neun abschießen und sieben weitere durch elektronische Störsignale beeinträchtigen können. 
  • Die Nato wird über der Ukraine keine Raketen und Drohnen abfangen, wie sie es über Israel tut, weil es sich um „zwei sehr unterschiedliche Landschaften und Schlachtfelder“ handele. Dies erklärte die stellvertretende Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh laut „Ukrainska Pravda“ bei einem Briefing.
  • Seit dem Beginn der umfassenden Invasion am 22. Februar 2022 sind mindestens 177 ukrainische Kriegsgefangene in russischen Lagern ums Leben gekommen. Das berichtet Politico unter Berufung auf Daten des ukrainischen Verteidigungsministeriums.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Besuch von Nato-Generalsekretär Mark Rutte in Kiew nur zwei Tage nach dessen Amtsantritt als „richtungsweisend“ gewürdigt. „Jetzt geht es darum, diese Priorität mit Entscheidungen zu füllen“, sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache.
  • Der Befehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, General Oleksandr Syrskyj, ordnet die Verstärkung der Verteidigungsanlagen in der östlichen Region Donezk an. Die russischen Truppen rücken in verschiedenen Sektoren in der Ostukraine immer weiter vor. 

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