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Israels Premier Netanjahu

© REUTERS/Eduardo Munoz

Wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen: Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehle gegen Netanjahu und Hamas-Anführer

Vor Monaten hatte Chefankläger Khan die Haftbefehle beantragt. Nun hat der Internationale Strafgerichtshof eine Entscheidung getroffen. Betroffen ist auch Israels Ex-Verteidigungsminister Gallant.

Stand:

Der Internationale Strafgerichtshof erlässt wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Haftbefehle wurden ebenfalls gegen den Anführer der radikal-islamischen Hamas, Al-Masri, Hamas-Militärchef Mohammed Deif und den früheren israelischen Verteidigungsminister Joaw Gallant erlassen, wie das Gericht am Donnerstag mitteilte.

Zu den vorgeworfenen Verbrechen gehören Mord, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen, heißt es in der Mitteilung. Netanjahu und Gallant werde auch der Einsatz von Hunger als Kriegsmittel vorgeworfen. Das Gericht sieht ausreichende Gründe für die Annahme, dass Netanjahu und Gallant „absichtlich und wissentlich der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wesentliche Dinge für ihr Überleben einschließlich Nahrung, Wasser sowie Medikamente und medizinische Hilfsmittel sowie Brennstoffe und Strom vorenthalten haben.“

Die mutmaßlichen Kriegsverbrechen beziehen sich demnach auf den Zeitraum vom 8. Oktober 2023 bis mindestens zum 20. Mai 2024. Die Richter in Den Haag stimmten einem Antrag vom Mai zu.

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Der Chefankläger des Gerichts, Karim Khan, hatte am 20. Mai wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mutmaßlicher Kriegsverbrechen Haftbefehle gegen Netanjahu, seinen damaligen Verteidigungsminister Gallant sowie gegen drei Anführer der Hamas beantragt. Israel hatte Beschwerde gegen die Beantragung der Haftbefehle eingereicht. Diese wiesen die Richter zurück. Deif ist der letzte mutmaßlich lebende Hamas-Vertreter, für den Khan einen Haftbefehl beantragte. Nach israelischen Angaben von Mitte Juli wurde auch er bei einem Luftangriff im Gazastreifen getötet worden. Die Hamas bestätigte Deifs Tod nicht.

29.08.2024

Der Chefankläger hatte ursprünglich auch Haftbefehle für die beiden Hamas-Anführer Ismail Hanijeh und Jahja Sinwar erlassen. Nach der Bestätigung ihres Todes wurden sie inzwischen aber zurückgenommen. Sie wurden in den vergangenen Monaten von Israel getötet. Zwar hatte Israel auch erklärt, Al-Masri bei einem Luftangriff getötet zu haben, doch die Hamas hat dies weder bestätigt noch dementiert. Deshalb will die Anklage nach Angaben des Gerichts noch bis zur endgültigen Bestätigung des Todes warten.

Netanjahu wirft IStGH Antisemitismus vor – Gallant sieht gefährlichen Präzedenzfall

Das Büro Netanjahus bezeichnete die Haftbefehle am Donnerstag erneut als „antisemitisch“. Sie sei von „voreingenommenen Richtern getrieben von antisemitischem Hass gegen Israel“ getroffen worden, stand in einer Erklärung seines Büros.

Auch Israels Ex-Verteidigungsminister Joaw Gallant hat die internationalen Haftbefehle gegen sich und Netanjahu heftig kritisiert. Die Entscheidung schaffe „einen gefährlichen Präzedenzfall gegen das Recht auf Selbstverteidigung“, schrieb Galant auf X. Sie stelle zudem den Staat Israel und die Anführer der Hamas auf eine Stufe und legitimiere die Taten der Islamistenorganisation, darunter deren Vergewaltigungen und Entführungen am 7. Oktober in Israel.

Auch der israelische Präsident Isaac Herzog nannte die Entscheidung in einer ersten Reaktion eine absurde, skandalöse und in böser Absicht getroffene Entscheidung. „Dies ist ein dunkler Tag für die Justiz. Ein dunkler Tag für die Menschheit“, so Herzog auf X. Der IStGH habe jegliche Legitimation verloren, schrieb Außenminister Gideon Saar ebenfalls auf X.

Haftbefehl könnte Reisen Netanjahus erschweren

Das Weltstrafgericht kennt keine Immunität von Staats- oder Regierungschefs. Bereits 2023 erließ es einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Der IStGH hat keine eigene Polizei, um seine Haftbefehle durchzusetzen, und ist deshalb auf die Kooperation der 124 Mitgliedstaaten angewiesen. Sie sind theoretisch verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen, sobald sie sich in ihrem Staatsgebiet aufhalten.

Dies könnte Reisen von Netanjahu und Gallant etwa in die EU erschweren. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat alle Mitgliedsländer aufgerufen, die internationalen Haftbefehle zu achten. Die Entscheidung des IStGH sei rechtsverbindlich, sagte Borrell am Donnerstag in der jordanischen Hauptstadt Ammann. Alle EU-Staaten seien als Vertragsparteien „verpflichtet, die Gerichtsentscheidung umzusetzen“.

Frankreich will sich nach Angaben eines Sprechers des Außenministeriums am Donnerstagnachmittag noch nicht festlegen, ob sie den israelischen Ministerpräsidenten festnehmen würden. Die Frage sei rechtlich kompliziert. Er wolle sich dazu noch nicht äußern.

Israel selbst erkennt den IStGH nicht an. Der wichtigste Verbündete, die USA, sind ebenfalls kein Mitglied des IStGH, müssen die Haftbefehle also nicht vollstrecken. Doch die palästinensischen Gebiete sind Vertragsstaat. Bereits 2021 hatte das Gericht festgestellt, dass es auch für Gebiete zuständig sei, die seit 1967 von Israel besetzt sind.

Schon der Antrag des Chefanklägers auf die Haftbefehle löste international Schockwellen aus. Zahlreiche Staaten hatten juristische Stellungnahme zu dieser Frage dem Gericht übergeben. Diese hatten die Richter bei ihrer Entscheidung über den Antrag mitberücksichtigt.

Im Mai hatte Netanjahu den Ankläger Khan einen „der großen Antisemiten der Moderne“ genannt. Auch Israels wichtigster Verbündeter, die USA, hatten sich gegen die Haftbefehle ausgesprochen. Andere Länder wie etwa Frankreich stärkten dem Strafgerichtshof dagegen den Rücken.

Die Ermittlungen des Weltstrafgerichts sind unabhängig von laufenden Verfahren zu der Gewalt im Gazastreifen vor dem Internationalen Gerichtshof. Dieses höchste UN-Gericht ebenfalls mit Sitz in Den Haag will Streitfälle zwischen Staaten lösen. Südafrika hatte Israel wegen Völkermordes vor diesem Gericht verklagt. (Reuters, dpa, AFP, fki)

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