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Anselm Kiefer (links) neben Regisseur Wim Wenders bei der Cannes-Premiere des Films „Anselm - Das Rauschen der Zeit“.

© AFP/VALERY HACHE

3D-Film über Anselm Kiefer: Die Wenders-Festspiele von Cannes

Wim Wenders trifft Anselm Kiefer. Der deutsche Regisseur ist dieses Jahr gleich mit zwei Filmen an der Croisette vertreten, die sein breites künstlerisches Spektrum abdecken.

Von Andreas Busche

Um das Fundament des Kinos gegenüber den immateriellen Datenströmen der Streamingportale abzugrenzen, ist Cannes-Chef Thierry Frémaux in diesem Jahr in Interviews dazu übergegangen, von Filmen auch als „Kino-Objekten“ zu sprechen. Ganz im Gegensatz übrigens zum diesjährigen Jury-Präsidenten Ruben Östlund, der auf der Eröffnungsgala am Dienstag bereits vom „Content“ der Bilder redete. Frémaux wiederum hat sich mit Wim Wenders vielleicht den eloquentesten Kronzeugen für seine Vorstellung von Kino an die Croisette eingeladen, auch wenn dessen Dokumentarfilm „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ nur außer Konkurrenz gezeigt wird.

Wim Wenders hat einen 3D-Dokumentarfilm über den deutschen Großkünstler Anselm Kiefer gemacht, wobei das „Groß-“ im Fall von Kiefer nicht nur seinem Wert am heißgelaufenen Kunstmarkt entspricht, sondern gewissermaßen auch figurativ zu verstehen ist. Vor dreißig Jahren, um die Zeit seiner Blockbuster-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, kaufte sich Kiefer auf dem Zenit seines Schaffens eine Werkshallen-Ruine mitsamt Wäldchen in Frankreich, die er in Atelierräume verwandelte. In dieser Halle sieht man Kiefer in „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ nun mit dem Fahrrad seine Kreise drehen, umgeben von massiven, ausgebrannten und mit Kränen gehängten „Landschaften“, die Kiefer mit Stahlkocher und Flammenwerfer malträtiert.

Wenders bringt Kiefers massive Skulpturen ins Schweben

Wim Wenders’ unendliche Neugier auf die Kunst und an neuen Weltbildern hat eines der schönsten Œuvres im Kino hervorgebracht, mit Filmen über den Buena Vista Social Club, den Mythos Amerika und (indirekt) die deutschen Seelenlandschaften, durch die man sich nach dem Nullpunkt der Geschichte erst wieder einen Weg über der Besinnung auf eine essentialistische Menschlichkeit bahnen musste. In letzterem Punkt könnten Wenders’ Filme, besonders die aus den 1970ern, gar nicht weiter vom Werk Kiefers entfernt sein, der sich früh an deutschen Mythen und deren Spuren in der Welt abarbeitete.

Drehen am Rad der Zeit. Anselm Kiefer radelt durch seine Atelierräume in Frankreich.
Drehen am Rad der Zeit. Anselm Kiefer radelt durch seine Atelierräume in Frankreich.

© Road Movies

Wenders und Kiefer sind also ein gutes Match, gerade weil ihre Arbeiten – anders etwa als im Fall der Fotografie Sebastião Salgados – so wenig Berührungspunkte haben. Das Deutsche, das bei Kiefer so massiv im Zentrum allen Denkens steht, ist bei Wenders ein negativer Raum. Dieses Mächtige, was dann – auch das eine Erkenntnis von „Anselm“ – in den eigenen Worten des Künstlers wie ein Soufflé in sich zusammenfällt, bringt Wenders in seinen hochaufgelösten 3D-Bildern geradezu ins Schweben. Er ist neben James Cameron der letzte Regisseur, der noch an die erzählerische Kraft stereoskopischer Bilder glaubt.

Hier ploppt nichts aus der Kinoleinwand heraus, Wenders spürt vielmehr in die Bilder hinein. Kiefers Skulpturen stehen fast beweglich wie Mobilés im Raum, das Kino wird selbst plötzlich skulptural. „Anselm“ bezeugt nicht nur, wie weit die 3D-Technologie jenseits von Marvel-Schlachtentableus inzwischen ist; sondern auch, was Wenders mit seinen 77 Jahren und Kraft seiner schieren Neugier immer noch zu leisten fähig ist. Denn letztlich ist 3D als filmisches Mittel im Jahr 2023 natürlich ebenso ein Anachronismus wie die Kunst von Anselm Kiefer und seine früher mal umstrittene Großkünstler-Haltung zur Bewältigung der deutschen Geschichte.

Pedro Almodóvars Gastgeschenk ist ein schwuler Western

Aber Bilderpolitik wird in Cannes sowieso meist zweitrangig behandelt, darum unterliegt die Kunst Kiefers an diesem Ort auch keiner neuen Betrachtung. Hier treffen lediglich zwei deutsche Künstler aufeinander. Wenders ist schon lange Stammgast in Cannes, wo er 1984 mit „Paris Texas“ die Goldene Palme gewann.

Auch in diesem Jahr ist er wieder im Wettbewerb dabei: Wim Wenders hat – wie sein chinesischer Kollege Wang Bing – zwei Filme mit an die Croisette gebracht, die an den gegenüberliegenden Enden seines Œuvres firmieren. „Perfect Days“, der nächste Woche läuft, erzählt auf lakonisch-komische Weise die Geschichte eines schweigsamen Toilettenreinigers in Tokio. Und ist gleichzeitig eine staunende, wie auch erstaunliche Typologie von japanischen Toiletten-Designs. Ein echter Wenders eben.

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Ein anderer Stammgast – und ebenfalls ehemaliger Jury-Präsident – ist Pedro Almodóvar, der am zweiten Tag die Fans gleich vor eine schwere Wahl stellt. Denn parallel zu Wenders präsentiert der spanische Regisseur seinen schwulen, dreißigminütigen Euro-Western „Strange Way of Life“ mit Pedro Pascal, Ethan Hawke und einem halben Dutzend schmolllippiger Hardbodys: eine queere Verneigung vor seinem Lieblingsgenre, wie Almodóvar im anschließenden Publikumsgespräch erzählt, das immer schon von seinen homoerotischen Begierden angetrieben war.

In „Strange Way of Life“ wird einmal kurz Pascals nackter Hintern wie die Felsen des Monument Valley inszeniert, es gibt auch eine hitzige Orgie im Weinkeller. Almodóvar mit seinem Hang für durchaus seriös gemeinten Camp erhält für sein Gastspiel stehende Ovationen. Für solche kleinen Momenten lebt Cannes – gerade zu Beginn des Festivals, um schnell auf Touren zu kommen.

Auch die Reihe Un Certain Regard eröffnet mit einem großen Wurf, Thomas Cailleys Familien- und Fantasyfilm „Le règne animal“. In einer Welt, in der sich die Evolution von Mensch und Tier wieder annähert, stellt sich nicht nur die Frage nach der friedlichen Koexistenz zwischen den Spezies. Die Mutationen stellen auch die Familie vor eine Herausforderung – wenn Mutter und Sohn plötzlich ein Fell wächst.

Cailley, der sich mit seinem Debüt „Liebe auf den ersten Schlag“ vor einigen Jahren schon als französischer Filmemacher ins Spiel brachte, den man im Blick haben sollte, liefert mit dieser Mischung aus „Teen Wolf“ und „Jurassic Park“ die perfekte Einstimmung für den kleinen Wettbewerb, in dessen Jury neben John C. Reilly auch Paula Bär sitzt. An diesem zweiten, verregneten Cannes-Tag gab es wahrlich keinen besseren Ort als den Kinosaal.

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