zum Hauptinhalt
Kunst von Patienten und Patientinnen ist an den Klinikwänden ausgestellt. Hier ein Bild von 2024.

© privat

48 Stunden Neukölln: Das Festival zeigt Kunst in der Psychiatrie

Über Wahrheit, Wahn und die Realität dazwischen. Die psychiatrische Tagesklinik Neukölln zeigt bei 48 Stunden Neukölln Kunst von Patienten. Ein Blick hinter die Kulissen.

Stand:

Eine bodentiefe Doppeltür führt in den Therapieraum der psychiatrischen Tagesklinik in der Emser Straße 31, unweit des Neuköllner S-Bahnhofs Hermannstraße. Unter der Woche finden in dem gelben Wohnhaus von morgens bis nachmittags verschiedene Therapieangebote für psychisch erkrankte Menschen statt. Es wird gesprochen, gemeinsam Mittagessen gekocht, musiziert und Kunst gemacht – auf der Suche nach einem Weg zurück in den Alltag.

Am letzten Juniwochenende verwandelt sich die Tagesklinik in eine Galerie. Vom 27. bis 29. Juni stellen Patient*innen der Psychiatrie des Vivantes Klinikums im Rahmen des Kunstfestivals „48 Stunden Neukölln“ ihre Kunstwerke aus – passend zum diesjährigen Festivalmotto: „What The Fact? – Zwischen Wahrnehmung und Realität“.

Andere Wahrnehmungen akzeptieren

„Besser hätte das Festivalmotto in diesem Jahr nicht passen können“, sagt Isabel Schönle. Sie arbeitet als Psychologin im Haupthaus der Psychiatrie des Vivantes Klinikums und organisiert die Ausstellung in der Tagesklinik seit der erstmaligen Teilnahme im Jahr 2021 mit. „Es bewegt mich immer wieder, wenn Menschen mit psychischen Krisen oder Erkrankungen so mutig sind, sich mit ihrem Erleben und ihren Krisen künstlerisch auseinanderzusetzen“, sagt sie.

Viele ihrer Patient*innen erleben eine Verunsicherung ihrer eigenen Wahrnehmung – durch sich selbst oder durch die Umwelt. In der Therapie gehe es auch darum, zu erkennen, dass es nicht die eine richtige Wahrnehmung gibt – und dass im Abgleich verschiedener Perspektiven etwas Neues entstehen kann. „Sobald es möglich ist zu sagen: Deine Wahrnehmung kann ich auch irgendwie gelten lassen und wir bleiben im Gespräch, ist ein Schritt in Richtung therapeutischer Beziehung geschafft“, sagt Schönle.

Neben ihr sitzt Marie Horzetzky, Ärztin in der Tagesklinik und ebenfalls von Beginn an Teil des Organisationsteams der Ausstellung. „Ich sehe psychische Erkrankung nicht als etwas, das wegmuss, sondern als etwas, das verstanden und in die eigene Biografie integriert werden will“, sagt sie. Kunst könne dabei eine wichtige Rolle spielen: „Gerade wenn Worte fehlen, kann sie eine Form des Ausdrucks sein.“

Zitate aus „Der kleine Prinz“ in einer Arbeit.

© Masha Slawinski

Man braucht Mut, um sich zu zeigen

Die ausgestellten Werke entstanden in der Ergotherapie – darunter Skulpturen, Malereien, Textcollagen und Videobeiträge. Eine Patientin nimmt in einer Collage ihre eigene Wahrnehmung unter die Lupe. Auf einer anderen bunt bemalten Leinwand mit einer weißen Rose verbergen sich handgeschriebene Zitate aus „Der kleine Prinz“, der berühmten Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry. Einige Patient*innen werden am Ausstellungswochenende anwesend sein und ihre Arbeiten vorstellen, andere möchten anonym bleiben.

Für viele Patient*innen ist die Tagesklinik nach einem stationären Aufenthalt ein erster Schritt zurück ins eigene Leben. Der Unterschied zur stationären Behandlung: Patient*innen nehmen hier von Montag bis Freitag tagsüber an Therapien teil – um 15 Uhr kehren sie in ihr Zuhause zurück.

Das Vivantes-Klinikums verfolgt einen sozialpsychiatrischen Ansatz – mit vielfältigen Therapieangeboten, die an den Stärken der Patient*innen ansetzen und den Austausch mit dem Bezirk und den Gemeinden fördern. Gerade dieser Dialog sei wichtig, um Verständnis und Mitgefühl zu stärken, erklärt Hozetzky.

Die Ausstellung gibt Patient*innen eine Stimme – anstatt dass über sie gesprochen oder geurteilt wird. „Wir wollen das Thema psychische Erkrankungen, das ja doch noch ziemlich mit Stigma und Tabus behaftet ist, ein bisschen nahbarer machen“, sagt sie. Die Teilnahme an 48 Stunden Neukölln ist dafür ein wichtiger Schritt. Für ein Wochenende öffnet sich jene Doppeltür – zwischen Innen und Außen, zwischen Klinik und Kiez.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })