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Nathalie Frank ist in der Reihe mit mehreren Beiträgen vertreten, hier ihr Gespräch mit dem jüdischen Berliner Benji.

© Nathalie Frank / Avant

60 Gespräche über Folgen der Gewalt in Nahost: Ein Comic-Projekt würdigt die Kunst des Zuhörens

Die Comic-Reihe „Wie geht es Dir?“ hat Maßstäbe für die künstlerische Auseinandersetzung mit den Folgen von Terror und Krieg gesetzt. Jetzt gibt es die gesammelten Beiträge als Buch.

Stand:

Zuhören statt verurteilen, Mitgefühl statt Parteinahme – darum geht es bei dem außergewöhnlichen Comic-Projekt „Wie geht es Dir?“. Gestartet wurde die Online-Reihe Anfang 2024 von einer Gruppe namhafter deutscher Zeichnerinnen und Zeichner als Reaktion auf die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten.

Jetzt gibt es die zwischen Januar und November 2024 auf einer vom Internationalen Comicsalon Erlangen betreuten Plattform veröffentlichten und dort nach wie vor einsehbaren 60 Beiträge auch in Buchform. Es ist ein imposantes Gemeinschaftswerk, das Maßstäbe für die künstlerische Auseinandersetzung mit den Folgen von Krieg und Gewalt setzt.

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der darauffolgende Gazakrieg haben auch in Deutschland viele Menschen erschüttert und die Gesellschaft polarisiert. Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und andere Formen der Diskriminierung haben zugenommen, ebenso die Angst vor der wachsenden Gewalt auch hierzulande.

Der Berliner Zeichner Aike Arndt hat für „Wie geht es Dir?“ einen palästinensischen Musiker interviewt, der zu seinem Schutz das Pseudonym Nazim gewählt hat.

© Aike Arndt / Avant

Mit ihrem Projekt „Wie geht es dir? Zeichner*innen gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus“ haben Hannah Brinkmann, Nathalie Frank, Michael Jordan, Moritz Stetter, Birgit Weyhe und Barbara Yelin vor gut einem Jahr ein zeichnerisches Forum eröffnet, um Betroffenen eine Stimme zu geben und zum Dialog beizutragen. Fachlich begleitet und unterstützt wurde die Initiative durch die Medienwissenschaftlerin Véronique Sina.

Die meisten Beiträge haben die Form gezeichneter Interviews. In der Regel ist es die auf einer Seite zusammengefasste Quintessenz eines Gesprächs, das eine Zeichnerin oder ein Zeichner mit Menschen geführt hat, deren Leben durch die aktuellen Entwicklungen stark beeinflusst wurde.

Wir sollten unseren sogenannten Anführern die Nachricht senden, dass wir ihren Weg des Hasses nicht gehen werden.

Aus dem Gespräch von Karolina Chyżewska mit dem Berliner Performance-Duo Judy LaDivina und The Darvish

Das Spektrum der Befragten ist groß: jüdische und muslimische Menschen mit familiären Wurzeln in Israel oder Gaza; Aktivisten, die sich für den Dialog zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen einsetzen; Holocaust-Überlebende, Lokalpolitikerinnen, Vertreter muslimischer und jüdischer Organisationen, Eingewanderte aus unterschiedlichen Ländern, Aktivisten, Wissenschaftlerinnen und Künstler.

Einer der Beiträge von Birgit Weyhe, die einige Jahre lang auch für den Tagesspiegel gearbeitet hat.

© Birgit Weyhe / Avant

Prominente wie die Rechtsanwältin Seyran Ateş, der Pädagoge und Publizist Meron Mendel oder die Autorin Lea Streisand finden sich hier ebenso wie Freunde und Bekannte der Zeichnerinnen und Zeichner, die aus ihrem Alltag berichten.

Die Bandbreite der Beiträge ist nicht nur durch die biografische Vielfalt der Befragten beeindruckend. Sondern auch, weil man jedem einzelnen Werk anmerkt, wie wichtig es den Beteiligten war, nuanciert unterschiedliche Wahrnehmungen herauszuarbeiten, statt immer gleich Position für die eine oder andere Seite zu beziehen.

Ein „Who’s Who“ der deutschsprachigen Comicszene

Neben den Initiatorinnen und Initiatoren haben gut 40 weitere Künstlerinnen und Künstler ehrenamtlich Beiträge geliefert. Ihre Liste liest sich wie ein „Who’s who“ der deutschsprachigen Comicszene. Es umfasst unter anderem Aike Arndt, Julia Bernhard, Tobi DahmenHamed Eshrat, FlixBernd KisselReinhard Kleist, Thomas von Kummant, Felix Pestemer, Greta von Richthofen, Lika Nüssli, Mia OberländerSimon Schwartz, Büke Schwarz, Roya Soraya und Olivia Vieweg.

Die Ausstellung „Wie geht es Dir?“ hatte im Sommer 2024 Premiere auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen, seitdem ist sie als Wanderausstellung unterwegs.

© Erich Malter

Da die meisten Arbeiten Gesprächssituationen wiedergeben, ist die formale Vielfalt überschaubar. Dennoch beeindruckt der stilistische Reichtum, mit dem die Beteiligten auf hohem handwerklichem Niveau nicht nur die Schilderungen der Befragten wiedergeben und Schlüsselszenen aus ihrem Alltag visualisieren, sondern oft auch deren Gedanken und Gefühle anschaulich vermitteln.

Die Antwort auf die Eskalation der Gewalt am 7. Oktober und in der Folgezeit – das ist eine der Botschaften dieses Bandes – kann auch für in Deutschland lebende und vom Konflikt direkt oder indirekt betroffene Menschen nicht darin liegen, einander zu verurteilen und den Hass weiter zu schüren.

Stattdessen geht es darum, das macht jeder dieser 60 Beiträge deutlich, einander zuzuhören, den Schmerz und das Leid der anderen Seite zuzulassen, Widersprüche auszuhalten und gemeinsam für Menschlichkeit zu kämpfen.

„Wir sollten unseren sogenannten Anführern die Nachricht senden, dass wir ihren Weg des Hasses nicht gehen werden“, zitiert die Berliner Comiczeichnerin Karolina Chyżewska in ihrem Beitrag das queere Performance-Duo Judy LaDivina (Israel) und The Darvish (Syrien), das für ein Miteinander von Muslimen und Juden wirbt. „Hoffnung ist das Einzige, was wir jetzt haben, um eine bessere Zukunft zu schaffen – ohne Hoffnung gewinnt das Böse.“

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