
© ARD
ARD-Serie „Marzahn, Mon Amour“ : Hornhaut hobeln im Plattenbau
Katja Oskamps Roman über ihre Erfahrungen als Fußpflegerin in Marzahn ist jetzt als Miniserie verfilmt worden. Die wirft neues Licht auf einen klischeebeladenen Bezirk.
Stand:
Taucht Marzahn in den Schlagzeilen auf, bedeutet das selten gute News. Wie zuletzt nach der Bundestagswahl: Erstmals gewann in Berlin ein AfD-Politiker ein Direktmandat, mit 29,5 Prozent der Stimmen, in Marzahn-Hellersdorf.
Nazis, Plattenbau, Tristesse, vielleicht noch Cindy aus Marzahn, das ist wahrscheinlich alles, was vielen Bewohnern der Innenstadt Berlins zu dem Bezirk am östlichen Rand einfällt. Hin kommt man ohnehin nie, höchstens mal in die Gärten der Welt, ein bisschen Seilbahn fahren.
Das Bild von Marzahn ist klischeebeladen, und wie es mit Klischees so ist: Irgendwas ist sicher dran. Aber eine einzige Erzählung ist selten die ganze Wahrheit, und sie raubt den Menschen, die in ihr vorkommen, oft die Würde.
Von der Schriftstellerin zur Fußpflegerin
Katja Oskamp hat in ihrem autofiktionalen Roman „Marzahn, Mon Amour“, der 2019 zum Überraschungserfolg wurde, eine andere Geschichte erzählt. Ihre eigene, die einer erfolglosen Schriftstellerin in der Midlife-Crisis, die zur Fußpflegerin umschulte, aber vor allem die ihrer Kunden und Kundinnen in Marzahn, oft hochbetagte Menschen, die ihr von ihrem Leben berichten, während sie ihnen die Füße macht. Oskamp schrieb diese mal lustigen, mal tragischen Geschichten auf, ohne zu werten.

© ARD
Für die ARD haben Leona Stahlmann und Niklas Hoffmann den Roman jetzt als sechsteilige Miniserie adaptiert, Regie führte Clara Zoë My-Linh von Arnim, die für die ARD-Produktion „Die Zweiflers“ 2024 in Cannes den Preis für die beste Serie gewann.
Hauptfigur ist Kathi Grabowski (Jördis Triebel), die mit Oskamps Worten in die Serie einführt: „Ich trug etwas Bitteres vor mir her und machte damit die Unsichtbarkeit, die Frauen jenseits der vierzig befällt, vollkommen.“ Ihr Mann hat sie verlassen und Wasserkocher und Schuhregal gleich mitgenommen. Ihre Teenie-Tochter Lily (Maja Bons) zieht es in die große, weite Welt.
Jede Folge erzählt von einem anderen Kunden
Kathis Vorstellungsgespräch in der „Beauty Oase Marzahn“ ist kurz und berlinerisch. Jenny (Yvonne Yung Hee Bormann), die resolute Chefin, guckt skeptisch. „Habt ihr in der Ausbildung mal einen Holznagel behandelt?“ „Klar.“ „Einjewachsene Zehennäjel?“, will Lulu (Deborah Kaufmann), die Nagel-Queen und gute Seele des Salons, wissen. „Auch.“ Und Hautpilz? „Die schickt man zum Arzt, dit is nich unser Aufjabenjebiet“, weiß Kathi. Nachdem auch noch geklärt ist, dass sie vom Sternzeichen Widder ist, kann sie anfangen.
Jede Folge erzählt die Geschichte einer anderen Kundin oder eines Kunden. Da ist Herr Schimke (Hermann Beyer), einstiger SED-Funktionär, der heute akribisch die Wanderausflüge seiner Turn-Gruppe plant, oder die hochbetagte Frau Nocke (Monika Lennartz), die von ihrer Tochter Doris (Katrin Heller) betreut wird.
Ein bisschen zu viel Happy End
Das Gros der Handlung spielt sich in der Beauty Oase ab, wo Kathis Fußbehandlungen oft in Nahaufnahme zu sehen sind. Fast schon ein bisschen Körperhorror, wie sie da an vergilbten Zehennägeln rumschnippelt, Hornhaut weghobelt und Hühneraugen unter die Lupe nimmt. Auf jeden Fall nichts für Podophobe.
Kameramann Falko Lachmund fängt zwischendurch auch Szenen aus Marzahn ein: von einer vietnamesischen Familie, die ein Picknick im Park macht, oder Jugendlichen, die für ein TikTok-Video tanzen.
Die Serienadaption bewahrt sich viel von der menschlichen Wärme der Romanvorlage, wirkt allerdings manchmal etwas zu gefällig. Die harten Geschichten, etwa über eine Frau, die sich aus dem Plattenbau stürzt, oder über einen alkoholkranken Sozialhilfe-Empfänger, der sich nicht helfen lassen will, werden ausgelassen.

© ARD
Andere Stories wurden mit Happy End versehen. Der einstige Parteibonze hat eigentlich doch ein Herz aus Gold, und Doris Nocke darf erklären, warum das Verhältnis zu ihrer pflegebedürftigen Mutter so schwierig ist. So wirkt das Ganze oft ein wenig zu Feel-Good, um noch realistisch zu sein. Was bei Katja Oskamp unkommentiert stehenblieb, hat fürs Fernsehen eine Schleife verliehen bekommen.
Ein Arsenal an Schauspiellegenden
Trotzdem ist „Marzahn, Mon Amour“ sehenswert. Das liegt an den tollen Performances, allen voran von Jördis Triebel, die mit ihren Rollen in „Dark“ und „Babylon Berlin“ längst im deutschen Serien-Olymp angekommen ist, und Kathi mit viel menschlicher Wärme und Ost-Berliner Charme spielt. Und als Kundschaft des Salons läuft ein Arsenal (ost-)deutscher Schauspiellegenden auf.
„Marzahn, Mon Amour“ wirft Licht auf viele Gruppen, die sonst kaum im Fernsehen vorkommen: Frauen über vierzig, Senioren und Seniorinnen, Menschen aus der ehemaligen DDR, oder solche, die in unglamourösen Service-Berufen arbeiten. Menschen, die nicht viel haben. Und natürlich auf Marzahn, diesen Bezirk, der mehr als ein Klischee verdient hat.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false