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Ausstellung zum Hamas-Massaker beim Nova Music Festival: „Dieser Horror ist die Wahrheit“
Die Ausstellung im Tempelhofer Flughafen führt ganz nah an das Massaker vom 7. Oktober heran und macht die Besucher zu Zeugen des Schreckens.
Stand:
6.29 Uhr morgens. Die Uhrzeit ist wichtig bei dieser Ausstellung. Während die Besucher des Nova Music Festivals am 7. Oktober 2023 im Süden Israels dem Sonnenaufgang entgegen tanzen, beginnt der Angriff der Hamas. Raketen fliegen, bald wird auch geschossen. Chaos bricht aus. Menschen rennen um ihr Leben. 411 werden sterben.
Eine Ausstellung mit dem Titel „October 7, 06:29 AM – The Moment Music Stood Still“ rekonstruiert, was an diesem Tag geschah. Nach Stationen in Tel Aviv, New York, Miami und anderen Städten in den USA, ist die Schau, die von den Gründern des Festivals initiiert wurde, erstmals in Europa zu sehen. In der Abflughalle im ehemaligen Flughafen Tempelhof wurde das Festivalgelände nachgebaut, man sieht Bäume und Sand, im Zentrum steht eine Bühne mit dem Original-Baldachin.
Handy-Videos vom Tatort
Man startet mit einem Film, der die friedvollen Werte der Nova-Community mit schicken Werbebildern beschreibt, dann beginnt der Schrecken. Zwischen Original-Zelten der Festivalbesucher, ausgebrannten Autowracks, Tresen und Dixiklos stehen und liegen Screens auf dem Boden. Sie zeigen Handy-Aufnahmen des Massakers: Terroristen mit grünen Hamas-Stirnbändern, die mit Waffen Festivalbesucher jagen und „Gott ist groß“ rufen.

© imago/Stefan Zeitz/IMAGO/Stefan Zeitz Photography
Das fürchterliche Video der getöteten Shani Louk auf dem Pick-Up Truck der Terroristen. Soldaten der israelischen Armee, die zwischen Coca-Cola-Kühlschränken zahllose Leichen entdecken. Man hört die Stimme einer verzweifelten Mutter, die versucht, ihre Tochter zu beruhigen, die gerade in den Gaza-Streifen verschleppt wird. „Alles wird gut“, sagt die Mutter. Die Tochter ist ganz still: „Yes“, kommt nur ab und an von ihr.
Die Handyvideos liegen kreuz und quer, sie laufen in Dauerschleife, kein Anfang, kein Ende. Man verliert schnell den Überblick, Betroffene und Situationen verschwimmen. Das Chaos, das in der Realität geherrscht haben muss, der allgegenwärtige Horror, die Orientierungslosigkeit transportieren sich über diese Inszenierung. Zusätzlich zu den Videoaufnahmen gibt es Videointerviews: Eine Frau erzählt, wie sie in einem Müllcontainer vielfach angeschossen wurde, sich unter Leichen versteckte.
Man kann die grauen Schutzbunker betreten, in die sich viele Festivalbesucher flüchteten und die für sie zur tödlichen Falle wurden. Zwei Schwestern berichten, wie ihr Vater Anweisungen gab: „Stellt euch links an die Wand, in die Richtung werden sie nicht als Erstes schießen.“ Viel starben zusammengedrängt auf diesen wenigen Bunker-Quadratmetern durch Handgranaten oder Schüsse. Ein abgetrennter Raum, in rotes Licht getaucht, ist voller grauenhafter Details über Vergewaltigungen und verstümmelte Geschlechtsteile. Ein Helfer, der die Leichen entgegennahm, erzählt.
Wachstum statt Zerstörung
„Es ist notwendig, den Horror zu zeigen, weil es die Wahrheit ist“, sagt der Überlebende Roey Dery. Manche Videosequenzen seien ohnehin so geschnitten, dass sie das Schlimmste nicht zeigten. Dery und sein Bruder, die mit mehreren Freunden, das Festival besuchten, konnten sich per Auto und zu Fuß retten, drei Freunde schafften es nicht. Ein Freund flüchtete sich in die gelben Dixitoiletten, die jetzt in Berlin ausgestellt sind, und wurde durch Schüsse durch die Türen ermordet.

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An einer Wand sind die Fotos der ermordeten Festivalteilnehmer aufgehängt. Ahuva Mayzel hat heute sicher schon ein Dutzend Mal auf das Bild ihrer toten Tochter, der damals 21-jährigen Adi, und deren ermordeter Freundin gezeigt. „Sie wollten zum Musikfestival, um zu tanzen und das Leben und die Natur zu feiern“, sagt Mayzel. Beide kamen nicht zurück. Mayzel spricht von Verbindung zwischen Menschen, von Wachstum, das jetzt nötig sei, anstelle von Zerstörung. „Jeder von uns ist in der Verantwortung eine bessere Zukunft zu ermöglichen, dafür steht diese Ausstellung“, sagt sie. Sie wolle die Energie ihrer Tochter weitergeben. Bis Mitte Oktober werden die Augenzeugen und Angehörige in der Ausstellung sein, um mit Besuchern zu sprechen.
Der Appell der Mutter: nicht ignorieren, was passiert ist. Und: positiv in die Zukunft gehen. „Die Geiseln sollen zurückkommen, der Krieg in Gaza soll enden“, sagt Roey Dery auf die Frage, wie er auf den Krieg in Gaza blickt.
Die Nova-Community verweist mit dieser Ausstellung auf die Kraft ihrer Gemeinschaft, auf die Kraft menschlicher Gemeinschaft überhaupt. „We will dance again“ lautet das Motto der Schau. Und trotz des weiß gestalteten Healing-Bereichs mit Liege- und Meditationsmöglichkeiten, in dem die Ausstellung nach dem dunklen Augenzeugenbereich endet, hängt dieser Satz schwer in der Luft.
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