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Kultur: Berlin, wie kein Papst es kennt

Vor vier Jahren hat die Geschichte dieses Films angefangen.Es war in den deutschen Kinos die große Zeit der Beziehungskomödien.

Vor vier Jahren hat die Geschichte dieses Films angefangen.Es war in den deutschen Kinos die große Zeit der Beziehungskomödien.Aber der Produzent Peter Rommel und der Regisseur Andreas Dresen wollten etwas völlig anderes, Neuartiges machen, einen Film, wie sie vor vier Jahren vor allem aus England und Frankreich ins Kino kamen.Etwas über Obdachlose und Junkies, Prostituierte und Asylbewerber.Mit Handkamera und fast ohne Kunstlicht.In Berlin.Nachts.

Jetzt ist der Film fertig, und jetzt, vier Jahre später, wimmelt es in den Kinos und auf den Festivals plötzlich von solchen Geschichten aus Deutschland."Nachtgestalten" liegt voll im neuen Trend des deutschen Films, der sich heutzutage mit der gleichen Unbedingtheit dem Schauplatz Berlin und dem Sozialrealismus hingibt wie gestern noch dem Liebeskummer gutverdienender Dreitagebärte aus München.Aber damit wir uns richtig verstehen: "Nachtgestalten", Regie: Andreas Dresen, ist ein wunderbarer Film geworden.Es ist der Film, den die Regisseure von "Das Leben ist eine Baustelle" und von "Fette Welt" wohl gerne gemacht hätten.Der erste deutsche Beitrag im Wettbewerb dieser Berlinale, "Aimée und Jaguar", war zur allgemeinen Erleichterung zumindest nicht mißlungen, dieser hier, der zweite, ist richtig gut.

Dresen kam auf seine Idee, als er für eine Dokumentation über Kinder aus der Dritten Welt recherchierte, Kinder, die von ihren Eltern nach Deutschland geschleust werden, allein, um hier ihr Glück zu machen.Außerdem wußte er, daß der Papst nach Berlin kommt.Die Idee lautete, das Erhabene, den Papstbesuch nämlich und seine Fernsehbilder, mit dem wirklichen Leben zu kontrastieren - mit Leuten vom Ende der sozialen Skala, die um ein wenig Würde und Liebe kämpfen.Daraus hätte, wie man sich denken kann, leicht Kitsch werden können.Deswegen mußte der Film berlinisch werden.Sarkastisch also, beiläufig, unsentimental, und nur mit zartesten Anflügen von Romantik.Das Kunststück besteht darin, solche Zutaten richtig zu dosieren.

"Nachtgestalten" erzählt drei Episoden aus einer Nacht des Jahres 1996, der Nacht des Papstbesuches, lose verbunden durch einen Taxifahrer, der alle Hauptfiguren in dieser Nacht fährt.Es funktioniert ähnlich wie "Keiner liebt mich" von Doris Dörrie, mit einer Prise Jim Jarmusch, aus "Night on Earth".Drei Paare.Drei unmögliche Liebesgeschichten.Drei Geschichten, in denen Gewalt vorkommt.Eine Obdachlose bekommt 100 Mark geschenkt und beschließt gemeinsam mit ihrem Freund, die Nacht in einem billigen Hotel zu verbringen.Ein Bauer kommt nach Berlin, um sich auf dem Metropolenstrich eine Nutte zu suchen.Dem Mädchen gibt er 500 Mark, damit sie die ganze Nacht mit ihm verbringt, der Abend endet im Chaos einer Junkiewohnung.Ein älterer Angestellter soll Kunden auf dem Flughafen abholen und schenkt einem Jungen aus Afrika sein angebissenes Brötchen.Es endet damit, daß er das Kind, das nicht spricht und niemandem zu gehören scheint, in seiner Junggesellenwohnung übernachten läßt.

Der 35jährige Dresen, der auch das Drehbuch geschrieben hat, gehört zur letzten Regisseursgeneration, die ihr Handwerk noch zum Teil in der DDR gelernt hat.Vielleicht könnte man "Nachtgestalten" das attestieren, was in der DDR gerne eine "humanistische Grundhaltung" genannt wurde, also eine grundsätzliche, wenn auch skeptische Sympathie, den Homo sapiens betreffend."Nachtgestalten" ist deshalb kein kalter und kein düsterer Film geworden, obwohl er drei erbärmliche Milieus vorführt, drei Varianten der Einsamkeit, und obwohl jede seiner Episoden sich mühelos hätte kalt und düster erzählen lassen.Allen seinen Figuren, auch den seelisch Heruntergekommensten, gelingt hin und wieder eine menschliche Geste.Sie sind alle auf der Kippe, im Zwischenzustand - wie Berlin, das aber von Andreas Höfer ohne die üblichen Baustellen fotografiert wird.

Sie wissen alle nicht genau, ob sie von ihrem Gegenüber angezogen oder abgestoßen werden, das Gute ist in jeder Figur ebenso angelegt wie das Böse.Das macht den Film differenziert, genau und unberechenbar, das unterscheidet ihn auch von dem modischen Neoexistentialismus, der zur Zeit in den Kinos umgeht.Die Nutte räumt ihrem naiven Freier, der ihr eine Rose geschenkt hat und sie retten möchte, die Brieftasche aus, aber dann steckt sie ihm eben doch einen Hunderter für den Nachhauseweg zurück.Die Autodiebe halten an, als sie die blutüberströmte Obdachlose auf der Straße liegen sehen, sie kriegt einen Schluck Schnaps.Aber dann fahren sie eben doch weiter und überlassen die Frau sich selbst.

Unter den sechs Hauptdarstellern, die von etlichen, für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich liebevoll und klischeefrei gezeichneten Nebenfiguren umgeben sind, ragen zwei heraus.Da ist einerseits die 19jährige Susanne Bormann als Stricherin.Und da ist andererseits Gwisdek: Michael Gwisdek hatte vor einem Jahr im Wettbewerb der Berlinale als Regisseur Pech, mit seinem "Mambospiel", das zu privat und zu skurril war für eine solch große Bühne.Diesmal wird es ihm bessergehen.Gwisdek kommt in "Nachtgestalten" die dankbare Aufgabe zu, komödiantische Effekte zu setzen, als Berliner Edelspießer vom Typus "Herz mit Schnauze", der zuerst rassistische Sprüche klopft und dann mit wachsender Begeisterung den Vater spielt.

Hendrik Peschke: ein Name, der Berlin auf den Begriff bringt, halb große Welt, halb Schrebergarten.Hendrik Peschke führt das schwarze Kind in seine Neubau-Singlewohnung, in der überall Hemden zum Trocknen hängen, und dann sagt er nonchalant: "Bei euch in Afrika ist auch nicht immer aufgeräumt." So, genau so lakonisch ist die Tonlage von "Nachtgestalten".

Heute auf der Berlinale: 9.30 Uhr (Royal-Palast), 18.30 Uhr (Urania) und 22.30 Uhr (International)

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