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Alba (Alba Rohrwacher) bewegt sich in „Hellhole“ nach dem Terroranschlag durch ein geisterhaftes Brüssel.

© Presse Arsenal

Der Filmemacher Bas Devos: Von Moosen und Menschen

Mit nur vier Filmen hat sich der belgische Regisseur Bas Devos als eigenständige Stimme im europäischen Kino etabliert. Jetzt zeigt das Berliner Kino Arsenal sein kleines, aber bedeutendes Werk.

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Die Shoppingmall, an der Khadija bei ihrer unfreiwilligen Nachtwanderung strandet, wird es bald nicht mehr geben. Sie soll einem subtropischen Aquapark weichen, erzählt der Wachmann, mit dem sie auf der Suche nach einem Geldautomaten ins Gespräch kommt. Tropic Time. Der Name klingt surreal, besonders an diesem Ort und zu dieser Zeit. Es ist eisig kalt in der Brüsseler Winternacht und die menschenleere Gegend am südöstlichen Ende der Stadt besteht hauptsächlich aus Asphalt und Beton.

Die Bilder der urbanen Peripherie, die der belgische Filmemacher Bas Devos in „Ghost Tropic“ (2019) findet, sind dennoch sanft und alles andere als frostig. Er blickt nicht mit den Augen eines Sozialrealisten und auch die Perspektive des analytischen Stadtforschers ist ihm fremd. Devos sucht vielmehr nach den Verbindungen zwischen Menschen und Raum, nach den unsichtbaren Abdrücken, die sie hinterlassen haben.

Dabei ist die Existenz der Figuren von einer grundsätzlichen Unbehaustheit durchwirkt. Sie leben mehrheitlich in ungefestigten Verhältnissen, arbeiten auf dem Bau, als Putzkraft oder Fahrradkurier, manchmal auch als Arbeitsnomaden. Nicht alle haben ein Dach über dem Kopf. Die migrantische Prägung der Stadt ist in den Filmen selbstverständlich.

Organisationsform von Arbeit und Leben

Das Nomadische bedeutet bei Devos indes mehr als eine bewegliche – oder unsichere – Organisationsform von Arbeit, Wohnen und Leben. Es ist nachdrücklich auch eine Wahrnehmungsweise. In „Here“ (2023) erzählt die Biologin Shuxiu einmal, wie sie nach dem Erwachen aus einem tiefen Schlaf die Wörter für ihre Umgebung verloren hatte und sich in einem tierähnlichen Zustand wiederfand. „Ich war dort, und ich war hier. Alles wurde fließend, und ich gab mich der Einheit von zehntausend Dingen hin.“

Unter dem Titel „Here and There” ist das Werk des 1983 geborenen Bas Devos nun im Berliner Arsenal zu sehen. Das Kino ist auch der Ort, an den seine vier Filme unbedingt hingehören. Und das nicht nur, weil sich die präzise kadrierten Bilder (16mm, 4:3 Format) von urbanen Landschaften, Interieurs und Menschen in Räumen, die des Öfteren mit den Fotografien von Edward Hopper verglichen wurden, erst auf der Leinwand richtig entfalten.

Zufallsbekanntschaft. Die Biologin Shuxiu (Liyo Gong) und der Bauarbeiter (Stefan Gota) in „Here“ von Bas Devos.

© Presse Arsenal

Entfremdung und Einsamkeit mögen noch so atmosphärisch mitschwingen – was alle Bewegung antreibt, ist die Begegnung. Stets sind Devos‘ Arbeiten auf der Suche nach Möglichkeiten eines solidarischen, gemeinschaftlichen Raums. Auch das Kino kann so ein Ort sein.

Nachbeben eines Terroranschlags

Die Anfänge im Werk sind düster, die Figuren wirken noch in sich eingeschlossen, isolierter. „Violet“ (2013) folgt einem 15-jährigen Jugendlichen nach einem gewalttätigen Ereignis, das Setting ist die bürgerliche Vorstadt. Devos etabliert im Debüt bereits die Grundelemente seiner Filmsprache: elliptisches Erzählen, gepaart mit einer Bild- und Tongestaltung, die sich nicht nach der vermeintlich authentischen Wiedergabe von Realität ausrichtet.

Auch „Hellhole“ (2019) erzählt von einem Nachwirken. Die Stadt Brüssel, durch die vereinzelte Gestalten treiben, zeigt sich nach den terroristischen Bombenanschlägen als offene Wunde. „Here“ ist in Teilen erneut ein Nachtfilm, doch es gibt auch viel Tageslicht. Erstmals richtet Devos den Blick eingehend auf die Übergangszonen von urbanem Raum und Natur.

Grauer Beton und grünes Gewächs führen in diesem Film eine enge, artenübergreifende Beziehung. An den Eisenbahnschienen entlang wuchert Gestrüpp, das nahtlos in einen kleinen Wald übergeht; selbst in den kahlsten Steinwüsten bahnt sich zwischen Granitplatten pflanzliches Leben seine Wege. Einmal findet der rumänische Bauarbeiter Stefan in seiner Jackentasche ein paar Samenkörner. Wie sie dorthin gekommen sind, kann er sich nicht erklären.

Stefan ist Teil einer Gruppe migrantischer Arbeiter auf einer Großbaustelle. Vor seiner Abreise in den Heimaturlaub verarbeitet er die Reste seines Kühlschranks zu einem großen Topf Suppe, die er im Laufe des Films portionsweise an Freunde verteilt.

Auf seinen Wegen durch Unterführungen und von Strommasten durchzogene Landstriche begegnet er Shuxiu, die sich mit den ersten Pflanzen befasst, die auf der Erde gewachsen sind – und welche die Spezies Mensch wohl um Zeiten überleben werden: den Moosen. Close-ups auf Waldböden und mikroskopische Ansichten öffnen im Kino von Bas Devos noch mal ganz neue Türen.

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