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Der Nahostkrieg im Kino: Teufelskreis der Geschichte
Israelische und palästinensische Beiträge in den Nebenreihen des Filmfests Venedig fragen nach den Ursachen und Folgen des Konflikts. Und „Of Dogs and Men“ erkundet den Kibbuz Nir Oz nach dem Massaker der Hamas.
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Einer der schmerzlichsten Momente beim diesjährigen Filmfest Venedig ist das Bild vom Handschlag zwischen Jitzchak Rabin und Yassir Arafat. „No more blood and tears“, sagt Rabin: 31 Jahre ist es her, dass Israels Ministerpräsident und der PLO-Chef in Washington die Oslo-Verträge unterzeichneten. Es waren nur Interimsverträge, aber ein Frieden in Nahost schien plötzlich möglich zu sein. Zwei Jahre später wurde Rabin ermordet, heute ist jede Friedenshoffnung ferner denn je.

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Die Szene bildet den Epilog des knapp dreieinhalbstündigen Dokumentarfilms „Israel Palestine on Swedish Television 1958 – 1989“, einem von vier Filmen zum Nahostkonflikt, die in Venedig außer Konkurrenz oder in Nebenreihen gezeigt werden. Fünf Jahre lang hat Göran Hugo Olsson das schwedische Fernseharchiv nach Berichten aus Nahost durchforstet. Er montiert News, Alltagsreportagen, Straßenumfragen, Interviews mit führenden Politikern und Experten, fügt Sendetitel und -datum hinzu, verzichtet auf jeglichen Kommentar. So betreibt er Ursachenforschung: Wie fing der Konflikt an, wann spitzte er sich zu, warum wurde er heillos?
„Archivmaterial erzählt nicht notwendigerweise, was wirklich geschah. Aber es besagt eine Menge darüber, wie es gesehen wurde“, heißt es im Vorspann. Nicht dass die Wahrnehmung einheitlich wäre: Palästinenser (der Begriff taucht 1969 erstmals auf) werden mal als Freiheitskämpfer, mal als Terroristen bezeichnet. Aber das junge Israel und die Kibbuzbewegung wurden in Schweden (und vom Rest der westlichen Welt) allemal positiv gesehen, sogar von „Wundern“ ist die Rede: Die Sympathien sind groß für den 1948 gegründeten Staat, der die Wüste begrünte und zum Zufluchtsort für Menschen aus mehr als hundert Nationen wurde.
Beduinen und Juden aus Osteuropa werden wie Israelis zweiter Klasse behandelt
Das ändert sich mit dem Sechs-Tage-Krieg. Interne Spannungen werden zunehmend thematisiert, auch die Diskriminierung der Beduinen oder der Juden aus Osteuropa. Und die schiere Zahl der Berichte aus den Flüchtlingslagern in Jordanien oder dem Libanon nimmt deutlich zu.
Olympia 1972, Siedlerbewegung, Jom-Kippur-Krieg, eine rauchende, gegen kinderreiche Palästinenser hetzende Golda Meir, die von Menschenrechtsaktivisten nazistischer Argumente bezichtigt wird, aber auch ein Friedensabkommen mit Ägypten ins Auge fasst. Libanonkrieg, Camp David, die Ermordung Sadats, das Massaker von Sabra und Shatila mit israelischer Duldung, erste extreme Rechte in der Knesset, die erste Intifada, Dschihadisten – eine niederschmetternde Chronik.

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Nicht nur wegen der zigtausenden Toten, des Hasses auf die einzige Demokratie in der Region und des Flüchtlingselends, sondern auch, weil klar wird, wo die internationale Politik Konflikte ignoriert oder nur halbherzig gelöst und damit die Fronten verhärtet hat.
Die wechselseitige Radikalisierung. Die Unterstützung Israels seitens der USA, die harsche Kritik an der Unterstützung. Die Mahner und Warner (in Person von Uri Avnery oder Amos Oz), die Straßenproteste in Tel Aviv gegen die israelische Regierung: Es ist alles schon da, vor einem halben Jahrhundert. Die Geschichte wiederholt sich als Teufelskreis: auch das eine niederschmetternde Erkenntnis.
Der israelische Altmeister Amos Gitai wird nicht müde, in seinen Filmen die Vision eines Vielvölkerstaats zu beschwören. In seinem Venedig-Beitrag „Why War“ zitiert er nun Virginia Woolf mit der verzweifelten Frage, warum nicht irgendwo in Goldlettern geschrieben steht, was gut und was böse ist.

© Filmfest Venedig
Auf eine Kamerafahrt über den „Platz der Geiseln und Vermissten“ in Tel Aviv folgt die provisorisch-theatrale Inszenierung einer Korrespondenz: Albert Einstein erörterte die Frage nach dem Warum jeglichen Kriegs 1932 in einem vom Völkerbund angeregten Briefwechsel mit Sigmund Freud. Begriffe wie Zerstörung und Schuld als Grundlage der Zivilisation geistern über die Bühne: Gitais Essayfilm ist ein Dokument der eigenen Ratlosigkeit, ein Bekenntnis des Unbehagens in der Kultur.
„Happy Holidays“ porträtiert eine Jugend unter Druck
Der 7. Oktober und Israels Krieg in Gaza kommen nicht ins Bild und sind doch omnipräsent. Auch in Scandar Coptis mit Laiendarstellern besetztem palästinensischem Spielfilm „Happy Holidays“ über eine gutsituierte, aber verschuldete palästinensische Familie in Haifa wird der Nahostkonflikt nicht direkt adressiert. Unterschwellig ist er gleichwohl immer da.

© Szene aus „Happy Holidays“. Foto: Fresco Film/Red Balloon Film/Tessalit Prod.
Eine Jugend im Druckkessel überkommener Traditionen und einer unversöhnlich gespaltenen Gesellschaft, ein Familiendrama, zwischen Purimfest und Holocaust Memorial Day in vier Kapiteln aus vier Perspektiven erzählt: Rami, der Sohn, liebt heimlich die Jüdin Shirley, sie ist schwanger und entscheidet sich gegen eine Abtreibung. Er wird bedroht und zusammengeschlagen, Shirley wird von der eigenen Familie unter Druck gesetzt. Ramis jüngere Schwester Fifi soll wiederum den „Dreck aus ihrem Gesicht“ wegwischen, sagt die resolute Mutter, sie meint nichts weiter als die Schminke nach einer Partynacht.
Kein Sex vor der Ehe, vor allem nicht für die Frauen: die freiheitsraubende patriarchale Moral findet sich gleichermaßen bei Juden wie Palästinensern, Copti schont seine eigenen Leute nicht, schönt nicht ihr Bild. Das Baby wird nicht geboren, die Zukunft hat keine Chance. Und als eine jüdische Schülerin wegen Depressionen zum Psychologen geschickt wird, vermutet dieser, dass sie die Krankheit nur vorschützt, um nicht eingezogen zu werden.
Nach dem Massaker: Ein Mädchen sucht seinen Hund
Kurz vor Festivalende feierte der vierte Israel-Film Weltpremiere in Venedig, „Of Dogs and Men“ von Dani Rosenberg. Schon im Vorfeld formulierte der Israeli sein Unbehagen ob der Frage, ob dem Terror mit den Mitteln der Kunst überhaupt beizukommen sei. . Der Plot: Die 16-jährige Dar kehrt wenige Wochen nach dem Massaker des 7. Oktober in den Kibbuz Nir Oz Grenze zu Gaza zurück, um ihren Hund zu suchen. Auch das ein Spielfilm, oder besser: ein Dokumentarfilm im Spielfilmformat. Ein Tatort wird erkundet, dabei überwältigt die Realität die Fiktion: Außer der von Ori Avinoam mit stiller Intensität verkörperten Dar, deren Mutter von der Hamas entführt wurde, spielen alle Protagonisten sich selbst.

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Da ist Natan, der als einziger im Kibbuz geblieben ist und sich um seinen palästinensischen Freund in Gaza sorgt, dort, wo nur wenige hundert Meter entfernt unentwegt Detonationen dröhnen und Rauchwolken aufsteigen. Da sind die Soldaten, die aus dem Off vorgetragenen Tagebuch-Erinnerungen der Mutter aus friedlichen Zeiten, und da ist Nora, die sich der streunenden Hunde, Katzen oder Ziegen in den zerstörten Kibbuzim annimmt.
Menschen, die mit dem Trauma zu leben versuchen, mit der eigenen Überforderung kämpfen. Dennoch träumt Dar in der Nacht davon, wie ihr Hund sich nach Gaza verirrt und dort einem kleinen Jungen zuläuft. Ein Trost? Ein Versuch, den Teufelskreis zu durchbrechen. Mitten im Schmerz und der Trauer über die Opfer der Hamas entwickelt „Of Dogs and Men“ Empathie für die Opfer unter den Palästinensern.
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