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PEN-Berlin-Sprecherin Thea Dorn

© dpa/Jörg Carstensen

Der PEN Berlin in der Krise : Nahost-Resolution spaltet Schriftstellervereinigung

Wegen einer Erklärung zum Nahost-Konflikt droht die erst vor zwei Jahren gegründete Schriftstellervereinigung PEN Berlin schon wieder auseinanderzubrechen.

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Als der PEN Berlin sich Anfang November in Hamburg zu seiner gerade erst dritten Mitgliederversammlung und einem öffentlichen Kongress traf, wurde dort beschlossen, sich erst einmal nicht mit dem Resolutionsantrag einer Gruppe von Mitgliedern unter dem Titel „Getötete Journalist:innen, Autor:innen in Gaza und im Libanon und vernichtetes Kulturgut“ zu befassen, sondern darüber auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zu diskutieren.

Das Hamburger Treffen ging denn auch überraschenderweise weitestgehend konfliktfrei über die Bühne, unter anderem mit der Wahl von Thea Dorn als neuer Sprecherin nach Eva Menasse; doch der Anfang der Chronik der Zerreißprobe, die der gerade einmal zwei Jahre existierende Verein jetzt zu bewältigen hat, wurde mit der Verschiebung dieses Resolutionsantrags schon in Hamburg geschrieben.

Drei Resolutionsentwürfe

Drei Entwürfe dieser angestrebten Resolution standen bei der außerordentlichen Online-Mitgliederversammlung am vergangenen Wochenende zur Debatte. Die eine kritisierte stark die Kriegsführung der Israelis, die andere zeigte sich Israel-freundlicher und die dritte mit dem Titel „Für den Schutz von Schriftsteller:innen und Journalist:innen im aktuellen Nahostkonflikt“ wurde schließlich verabschiedet, mit einer knappen Mehrheit von 83 zu 82 Stimmen.

Dieser Resolutionskompromiss liest sich nun ganz manierlich, da wird der Terrorangriff der Hamas genauso ausdrücklich verurteilt, wie die israelische Kriegsführung nicht „von Kritik ausgenommen werden kann“.

Allerdings werden in dieser Resolution auch Namen von einigen im Gaza-Krieg getöteten Autoren und Autorinnen genannt, unter anderem der des Hamas-Journalisten Mustafa al-Sawwaf und der des Lyrikers Refaat Alareer, der in einem BBC-Interview den 7. Oktober mit dem Warschauer-Ghetto-Aufstand verglichen hatte. Das wollte eine ganze Reihe von Mitgliedern des PEN Berlin bei aller Kompromissbereitschaft dann doch nicht stehen lassen, darunter Alida Bremer, Yevgeniy Breyger, Ronya Othmann oder Stephan Wackwitz.

Öffentliche Distanzierung

Sie formulierten eine „öffentliche Distanzierung“ von der Resolution, gerade bezüglich einiger genannter Opfer. „Diese Autor:innen wollen wir nicht als unsere Kolleg:innen bezeichnen“, sie würden „nicht den Schutz der PEN Charta genießen“ - um nichtsdestotrotz auch hinzuweisen auf „die viel zu vielen Unschuldigen, die Opfer der israelischen Kriegsführung wurden und werden“. Damit war der Anfang der nun öffentlich ausgetragenen Streitereien gesetzt, ohne dass dabei gleich mit dem Austritt aus dem PEN Berlin gedroht wurde.

Einen viel schärferen Ton hat dann tags darauf ein offener und federführend von dem Schriftsteller Per Leo auf den Weg gebrachter Brief „von Ausgetretenen“ gesetzt, darunter neben Per Leo Diederich Diederichsen, Deborah Feldman, Tomer Dotan-Dreyfuß, Norman Ohler oder Susan Neiman, insgesamt 25 an der Zahl. Diese „Ausgetretenen“ bilden, wenn man so will, die propalästinensische Fraktion. Sie standen für die ungleich israelkritischere Resolution und sprechen nun von einem „windelweichen“ Kompromiss, kritisieren insbesondere die beiden Führungskräfte des PEN Berlin, Deniz Yücel und Thea Dorn, und werfen ihnen vor, PEN Berlin wie eine politische Partei zu führen.

What started as a Überwindung der ,Bratwurstbude’ has become a Bratwurstbude itself.

Aus dem offenen Brief der 25 Ausgetretenen

Da heißt es: „Eine PEN-Sektion, die nur noch den Regeln der Machtpolitik und der Logik der Selbsterhaltung folgt, hat ihre Daseinsberechtigung verloren.“ Oder: „Intellektuell überfordert, historisch uninformiert, von einem strategischen Bewusstsein, das an der Vereinstür endet, hat diese Führung der Politisierung des PEN Berlin alle Schleusen geöffnet.“ Und, sehr hübsch, aber wenig zielführend: „What started as a Überwindung der ,Bratwurstbude’ has become a Bratwurstbude itself.“

Dieser offene Brief lässt zumindest ein bisschen ahnen, wie die Debatte am Sonntag abgelaufen sein mag, und sicher dürfte sich so einiges an den Positionen und der Gesprächsführung von Thea Dorn und Deniz Yücel aussetzen lassen. Doch hat dieser Brief, gerade im Vergleich mit der fast moderaten öffentlichen Distanzierung des anderen PEN-Flügels, selbst etwas Krawallig-Selbstverliebtes, gefällt er sich in bestimmten Formulierungen.

Und er wirft dem Führungsduo vor, keine verlässliche Position zu haben, eine, „die sich klar zu erkennen gibt und die Widerspruch aushält, weil sie selbst widersprechen kann. Doch diese Klarheit ist verschwunden, wenn sie es denn je gegeben hat.“

Die ja nicht kleine Gruppe, die aus dem PEN Berlin ausgetreten ist, scheint diese Klarheit für sich gefunden zu haben, was inzwischen im Nahostkonflikt immer nur ein eindeutiges Für oder Wider bedeutet. Doch muss es nicht zuletzt die Aufgabe einer Schriftsteller- und Schriftstellerinnenvereinigung mit inzwischen weit über 700 Mitgliedern sein, gegensätzliche Positionen einigermaßen auszutarieren? PEN Berlin versucht das seit seiner Gründung.

Erst recht seit dem 7. Oktober, nachdem die Vereinigung beispielsweise gleichermaßen auf der Frankfurter Buchmesse Runden zur Situation in Israel nach dem Hamas-Massaker wie eine Adania-Shibli-Solidaritätslesung organisiert hatte. Oder PEN Berlin beispielsweise im vergangenen Jahr auf seiner Mitgliederversammlung die politisch umstrittene, BDS-nahe schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy eine Rede hat halten lassen, um dieses Jahr dem israelischen Schriftsteller Etgar Keret das Wort zu erteilen. Nicht alles war glücklich oder gelungen, was PEN Berlin zum Nahostkonflikt unternommen hat, aber wie sollte es das auch?

Immerhin konzedieren auch Per Leo und Co, dass „der Einsatz für verfolgte Kolleginnen und Kollegen“ zu wichtig sei, „um nicht erfüllt zu werden“. Ja, darum geht es im Kern beim PEN Deutschland, beim PEN Berlin, beim Internationalen PEN: um Solidaritätslesungen für Salman Rushdie oder um Hilfe für den gerade in einem algerischen Gefängnis einsitzenden französisch-algerischen Schriftsteller Boualem Sansal.

Genau das gerät allzu leicht in Vergessenheit, wenn das richtige Wording für eine Resolution zur Lage in Nahost gesucht und nur schwer gefunden wird. Und wenn zwar vordergründig Argumente ausgetauscht und Stellungen bezogen werden, aber auch Eitelkeiten eine nicht kleine Rolle spielen und Austritte wie der der 25 mit dermaßen viel Aplomb geschehen.

Der Historiker Ilko-Sascha Kowalzuk, der seinen Austritt lieber auf der Plattform X bekannt gegeben hat, spricht von „unnützen politischen Erklärungen“, die die Welt weder besser noch schlechter machen würden, und bringt es auf den Punkt: „PEN Berlin sollte sich für die unterdrückten, verfolgten, bedrängten Kolleg:innen in aller Welt einsetzen und sich nicht zum Gegenstand lächerlicher Aufmerksamkeit machen.“ Nur dass diese Aufmerksamkeit von den vielen mit der Resolution Unzufriedenen allzu gern zusätzlich gesucht wird.

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