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Die Stille vor dem Schuss. Waffen- und Trophäenkult spielen für Jägerinnen nicht die Hauptrolle.

© Sebastian Kahnert/dpa

Jagdbücher und Jagdfilme: Dianas Töchter

Die Jagd ist eröffnet: Literarische Erfahrungsberichte und ein Dokumentarfilm erzählen vom neuen Interesse am alten Waidwerk. Jetzt haben die Frauen den Finger am Abzug.

„Ich berühre den Abzug, die Kugel fliegt mit einem Knall. Das Schwein wirft den Kopf in die Höhe und fällt um. Die anderen flitzen über den Acker. In meinem Körper rast es, mein Schädel pocht. War mir kalt? Flammen schlagen aus meinem Körper.“

Was die Niederländerin Pauline de Bok in ihrem Buch „Beute – Mein Jahr auf der Jagd“ als aufwühlende Szene an einer in bleiches Mondlicht getauchten Sausuhle in Mecklenburg-Vorpommern beschreibt, ist ein akuter Anfall von Jagdfieber. Und sie ist derzeit nicht die einzige Autorin, die dieser Leidenschaft erliegt.

Die Schonzeit ist vorbei. Nicht da draußen in den maiengrünen Wäldern, wo im Frühling, also in der Brut- und Setzzeit, außer den ganzjährig freigegeben Wildschweinen, nur Rehböcke und Schmalrehe geschossen werden dürfen. Aber in den Buchhandlungen, wo sich die Erfahrungsberichte von Jägerinnen häufen. Nach der grünen Welle kuscheliger Naturbücher, die von Helen McDonalds "H wie Habicht", Elli H. Radingers „Weisheit der Wölfe"bis zu Johanna Rombergs „Federnlesen – Vom Glück, Vögel zu beobachten“ reichen, die allesamt den respektvollen Umgang mit dem animalischen Gegenüber predigen, geht es diesem jetzt verstärkt an den Kragen. Und zwar ausgerechnet von zarter, wenn nicht gar mütterlicher, also als lebensspendend ausgewiesener Hand.

In den Jägerkursen beträgt die Frauenquote 24 Prozent

Dass sich die so häufig wie nie zuvor am Abzug eines Gewehrs befindet, weiß auch der Deutsche Jagdverband, der seit Jahren ein stetiges Wachstum der knapp 384 000 Mitglieder zählenden Jägerschaft registriert. Wo vor 20 Jahren nur ein Jägerinnen-Anteil von einem Prozent den Waidmännern die Ansitzplätze streitig machte, sind es bundesweit inzwischen sieben, in Brandenburg acht Prozent. Und in den Jägerkursen, die der kosten- und lernintensiven Jagdscheinprüfung vorausgehen, beträgt die Frauenquote sogar 24 Prozent. Kein Zweifel: In einer Zeit, in der sich der sogar auf dem Lande immer mehr verstädternde Mensch seiner Kreatürlichkeit besinnt, zieht es die Frauen ans Gewehr, an die elementare Schnittstelle zwischen Leben und Tod.

In Ich-Form erzählte Erfahrungsberichte wie Antje Joels „Jagd – Unsere Versöhnung mit der Natur“ und Susa Bobkes „Wildwechsel – Wie ein Rehkitz eine Jägerin mitten ins Herz traf“ zeigen, dass Frauen nicht nur häufiger selber schießen, sondern auch darüber schreiben. Das ist allerdings kein Beleg für eine heraufdämmernde Herrschaft von Flintenweibern, sondern eher ein Indiz dafür, dass die jagende Frau trotz ihrer in der antiken Mythologie mit Diana/Artemis begonnenen, jahrhundertealten höfischen Tradition, die später auch bürgerliche Jägerinnen wie Madonna und Claudia Schiffer weiterführten, immer noch exklusiv genug ist, um überhaupt Thema zu sein. Und es ist ein Indiz für die auch die Jagd ergreifende Autorenmode, altehrwürdige Gebräuche und Handwerke wie die Walz oder die Metzgerei in schicke Bücher oder Dokumentarfilme zu verwandeln.

Obacht, Bambi. Nicht nur Jäger sind eine Gefahr für Rehe.
Obacht, Bambi. Nicht nur Jäger sind eine Gefahr für Rehe.

© Patrick Pleul/dpa/pa

Die Journalistin Antje Joel etwa macht in ihrer wütend-rustikalen Abrechnung mit den persönlichen Komplexen einer Mittelschichtstochter erzählten Jagd-Geschichte keinen Hehl daraus, dass sie den Jagdkurs einst absolvierte, um darüber zu schreiben. Und einige der vierschrötigen, dem Heimatfilmklischee vom noblen Waidmann im grünen Loden kein bisschen entsprechende Berufsjäger, die sie in England oder den USA spricht, trifft sie im Auftrag von Magazinen. Trotzdem liefert sie durch die Schilderung einer Jagdexpedition in der verschneiten Wildnis von Idaho, ein differenziertes, von Exkursen zum verkrachten Verhältnis zwischen Mensch und Tier durchzogenes Bild der Jagd.

Jagen als Akt der Anarchie, das hat der mythische Wildschütz praktiziert

Waidgerecht geht es bei den raubeinigen Trappern, die dutzendweise Wölfe per Schlinge töten, absolut nicht zu. Und doch ist die selbst höchst skrupulöse Jägerin davon fasziniert, wie selbstverständlich sich die Männer in der Wildnis bewegenden. Immer wieder verteidigt Joel Jagd und Jäger gegenüber Familie und Freunden. Deren Verurteilung in Zeiten, in denen die Eliten eine vegetarische Lebensweise favorisieren, während das Volk sich bergeweise Billigfleisch aus der Massentierhaltung grillt, entspringt für sie einem gnadenlosen gesellschaftlichen Klima, das sich in der schnellen, harten Verurteilung des ihr Unverständlichen gefällt. „Manchmal frage ich mich, ob es nicht auch diese monströse Rechtschaffenheit gewesen war, die mich in die Reihen der deutschen Jägerschaft getrieben hatte.“ Jagen als Akt der Anarchie, das hat weiland schon der mythische Wildschütz im Forst des hohen Adelsherrn praktiziert. Mutmaßlich, ohne dabei von ethischen Bedenken geplagt zu sein, die das Töten eines Lebewesens mit sich bringt. Ein Punkt, der breiten Raum bei den Jägerinnen einnimmt. Groß ist die Angst vor dem fehlerhaften Schuss. „Ich fürchtete nicht das Töten, ich fürchtete, nicht richtig zu töten“, schreibt Antje Joel. Und so oder ähnlich ist es auch bei Pauline de Bok und Susa Bobke nachzulesen. Selbst auf Treibjagden, deren Hundegekläffe, Treibergelärme und Flintengeballer nicht viel mit dem respektvollen Ansitzen des einsamen Hegers im Morgengrauen oder Abenddämmern zu tun hat, schießen die Frauen kaum. Oder wie Anke Martinsohn, promovierte Forstökonomin, Jägerin und stellvertretende Sprecherin des Deutschen Jagdverbandes es im Gespräch ausdrückt: „Ich schieße weniger als männliche Kollegen.“ Warum? „Ich will die Gewissheit haben, dass der Schuss sitzt.“ Die Schuld, ein Tier zu töten, um es aufzuessen, können Jägerinnen, wie es scheint, leichter tragen, als durch einen schlechten Schuss zu seinem Leiden beizutragen.

Ein Saustall, schnaubt die Jägerin

So sieht das auch die Jägerin und Wildbiologin Christine Miller. Sie ist eine der heimlichen Heldinnen in Alice Agneskirchners packendem Dokumentarfilm "Auf der Jagd - Wem gehört die Natur?", der am kommenden Donnerstag in den Kinos anläuft. In einer das Wesen der engagierten Schützerin der alpinen Gemse charakterisierenden Szene beobachtet die Kamera sie auf dem Hochsitz bei einer Treibjagd in Brandenburg. Piff, paff, tönt es durch den Wald. „Ein Saustall“, schnaubt die Jägerin, „da schießt einer auf flüchtendes Wild.“ Heißt, da nimmt einer dessen Verletzung billigend in Kauf. Der Spaziergänger nutze die Natur nur als Kulisse, sinniert sie, doch bei der Jagd, da sei man ein Teil von ihr. „Wildtiere achten und schützen und trotzdem Jägerin sein, das ist für mich kein Widerspruch.“ Für die noblen Jäger, den die aus Bayern stammende und in Berlin lebende Dokumentaristin vor die Kamera holt, steht die Hege des Wildes im Vordergrund. Hinein montierte Bilder vom Schweinehälftenballett in der industriellen Fleischproduktion schaffen zusätzlich moralische Entlastung.

Halali. Ein Jagdhornbläserinnen-Ensemble aus Alice Agneskirchners Doku "Auf der Jagd - Wem gehört die Natur".
Halali. Ein Jagdhornbläserinnen-Ensemble aus Alice Agneskirchners Doku "Auf der Jagd - Wem gehört die Natur".

© NFP/Filmwelt

Eingebettet in malerische Naturaufnahmen und umrahmt von Exkursen zur zivilisations- und kulturstiftenden Bedeutung der Jagd von der Steinzeit bis zum Bambi-Effekt, erzählt Agneskirchner kenntnisreich und kontrovers von den unterschiedlichen Interessen, die in einer dicht besiedelten Kulturlandschaft aufeinanderprallen. In der Natur des Menschen gehen sie immer auf Kosten des Existenzrechts der Wildtiere, mögen sie nun Wildschwein, Gams oder Wolf heißen. Die haben, wenn überhaupt, nur bei Naturschützern und – so logisch wie seltsam – den von ihnen gerne verteufelten Jägern eine Lobby.

Der Mensch muss nicht mehr jagen, um zu essen

Dass die überhaupt vor die Kamera wollten, hat sie den Jägerinnen zu verdanken, sagt die Dokumentarfilmerin. Die waren als erste bereit, sie zu treffen. Vielleicht weil sie, wie eine Forschungsgruppe der Uni Bremen herausgefunden hat, weniger Wert auf die prestigeträchtigen Seiten wie Waffenästhetik, Trophäenkult und gesellschaftlichen Status legen.

Tatsächlich fällt an den Jägerinnenbüchern auf, dass sie die durch die Jahrhunderte in Gedichten, Romanen, Liedern und Filmen betriebene Romantisierung der Jägerei nicht weitertreiben. Neben den Naturimpressionen, die einen besonders bei Pauline de Bok das Erwachen der in der Stadt abgestumpften menschlichen Sinne miterleben lassen, sind auch blutige Passagen zu lesen, die die Jägerin beim Ausweiden der erlegten Beute erlebt, wenn sie den zerstörten Körper erfühlt. Sie weiß, was auch die Leser wissen: der moderne Mensch muss im Gegensatz zum Neandertaler nicht jagen, um zu essen. Und doch will er es weiterhin. Nicht nur aus Lust am Fleisch des Wilds, das besser als ein Nutztier lebt. Nicht um Herrscher über Leben und Tod zu sein. Und auch nicht wegen der von Waldbesitzern, Bauern und Staat geforderten Abschusszahlen. Sondern, so erzählen es die Jägerinnen, um ein Tier unter Tieren zu sein, das bei der Jagd mit pochendem Herzen und hellwachen Sinnen seinen vergessenen Platz in der Natur wiederfindet – als Raubtier Mensch, als Raubtier Frau.

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