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„Viele empfinden ein Gefühl der Ohnmacht“: Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton beim Pressetermin zum Ehrenbär.

© AFP/RONNY HARTMANN

Die Berlinale bleibt politisch: Tilda Swinton und ihre bedauerliche Haltung zum BDS

Zunächst beeindruckte die Gewinnerin des Ehrenbären mit einem Plädoyer für die Menschlichkeit. Dann bezog Tilda Swinton doch einseitig Stellung, mit einer Sympathiebekundung für den Israel-Boykott des BDS.

Christiane Peitz
Ein Kommentar von Christiane Peitz

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Nun hat sie es doch getan. In ihrer Pressekonferenz zum Goldenen Ehrenbär bekundete die Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton ihre Sympathie für die BDS-Kampagne, die zum Israel-Boykott aufruft, in der Wirtschaft, der Kultur, der Wissenschaft und dem Sport. Der Bundestag hatte den BDS („ Boycott, Divestment, Sanctions“) 2019 in einer Resolution verurteilt, da er „in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes“ führe, also antisemitisch sei.

Zunächst betonte sie, dass „wir an die Humanität der Menschen glauben müssen“, daran, dass es möglich sei, die Köpfe und Herzen Andersdenkender „zu erreichen, zu bewegen und zu verändern“. Aber dann erklärte sie auf die Frage einer Journalistin nach dem BDS: „Ich bin eine große Bewunderin des BDS, habe großen Respekt davor und denke viel darüber nach“.

In einem persönlichen Moment habe sie entschieden, zur Berlinale zu kommen, so die 64-Jährige, berühmt für ihre Zusammenarbeit mit großen Autorenfilmern, darunter Derek Jarman, Jim Jarmusch, Wes Anderson und Pedro Almodóvar. „Es war für mich wichtiger zu kommen“, so Swinton, für „unser aller Anliegen“ sei dies womöglich nützlicher als ihr Nichterscheinen. Viele empfänden das Gefühl der Ohnmacht und Hoffungslosigkeit, deshalb „fühlt sich jede machtvolle Aktion, jede Geste nach einer guten Option an“. Der BDS hatte vor einigen Wochen zum Boykott des Festivals aufgerufen.

Ich bin eine große Bewunderin des BDS, denke viel darüber nach

Tilda Swinton, Gewinnerin des Goldenen Ehrenbären

Dass Swinton explizit gebeten wurde, ihre Haltung zum BDS zu erklären – ihre Unterstützung auch nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober ist bekannt –, und dass sie ebenso explizit geantwortet hat, ist bedauerlich. Denn in ihrer ebenso poetischen wie politischen zehnminütigen Dankesrede bei der Gala-Eröffnung hatte sie sich gegen das Lagerdenken ausgesprochen und das Kino als Land ohne Grenzen gefeiert, „ohne Abschiebungen und Visumpflicht“.

Tilda Swinton, die sich vor allem im britischen Kulturraum bewegt, in dem viele Künstler den BDS unterstützen, etwa Roger Waters oder Ken Loach, verurteilte in ihrer Rede im Berlinale-Palast wortgewaltig die Grausamkeit aller Massenmorde. Auf die namentliche Nennung von Ländern oder Bevölkerungen verzichtete sie und wurde nur ein einziges Mal deutlich, in Richtung Donald Trump. Das unabhängige Reich des Kinos, sagte sie, sei unempfänglich gegenüber Bestrebungen der Besetzung und Kolonisierung „oder der Entwicklung von Riviera-Grundstücks-Landbesitz“.

Mit ihrer Sympathiebekundung für den BDS am Tag darauf fällt sie nun hinter ihr eigenes Plädoyer gegen simple Schwarz-Weiß-Muster zurück. Mit Boykottaufrufen bewegt und verändert man keine Köpfe und Herzen, sondern erklärt sich lediglich für auf der richtigen Seite der Geschichte. Kauft keine Waren von Israel, kauft nicht bei Juden? In Deutschland, dem Land der Shoah, lässt sich das nur klar antisemitisch verstehen. Wie kann Tilda Swinton Brandmarkung gutheißen, wenn sie sich gleichzeitig glaubwürdig für Offenheit ausspricht?

Zwar betont Swinton am Freitag erneut, sie meine alle Kriege, nicht nur den in Gaza, verliert aber kein Wort über den Terror der Hamas. Festivalchefin Tricia Tuttle sitzt neben ihr, sagt dazu nichts. Bei der Eröffnung hatte Tuttle bei einer Solidaritätsbekundung für die Hamas-Geisel David Cunio gemeinsam mit anderen auf dem roten Teppich gestanden.

Tilda Swinton ist Künstlerin, nicht Politikerin. Eine Künstlerin, die auf der Bühne des Berlinale-Palasts die Noblesse und Autorität einer Souveränin ausstrahlte, eben jenes unabhängigen Reichs des Kinos. Eine Schauspielerin, die für die Vielseitigkeit ihrer Charaktere gefeiert wird, für ihre offene, fluide Darstellungskunst. Oscar-Preisträger Edward Berger würdigte in seiner Laudatio ihre „außergewöhnlich schöne Seele“. Außergewöhnlich ist Tilda Swinton, weil sie uns zeigt, wie viele Seelen in unserer Brust wohnen, wie verschieden wir sind, oft auch von uns selbst. Ihre Filme sagen: Urteilt nicht, seid neugierig, schaut hin.

Ihre Pro-BDS-Bekundung ändert daran nichts. Aber es trübt die Freude über den Neustart der Berlinale unter Tricia Tuttle, und ein wenig auch das nie erlöschende Licht des Kinos in der Dunkelheit, wie Swinton es bei der Gala formulierte. Und es trübt die Freude über Swintons bedenkenswerte Worte zur Verteidigung der Menschlichkeit. Noch einmal: Boykott ist kein Mittel für den Dialog. Er zieht die Zäune hoch, statt die Grenzen zu überwinden.

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