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Der Maler und die Muse. Selbstporträt von Jacek Malczewski (1898).

© Jerzy Szot

Polnische Kunst in der Münchner Hypo-Kunsthalle: Die „Stillen Rebellen“ erhalten durch den Ukraine-Krieg traurige Aktualität

Bislang ein blinder Fleck in der westlichen Wahrnehmung: Die spektakuläre Schau zeigt, wie Polen immer schon um seine kulturelle Identität kämpfte.

Das Gewissen der Nation trägt Rot. Jedes Schulkind kennt in Polen den Narren Stanczyk, dem der Historienmaler Jan Matejko 1862 seine eigenen Züge verlieh. Im feuerfarbenen Kostüm samt Narrenkappe und einem Amulett der Schwarzen Madonna von Tschenstochau um den Hals sitzt Stanzcyk im Krakauer Schloss und blickt betrübt auf seine gefalteten Hände.

Denn im Gegensatz zur ausgelassenen Hofgesellschaft sorgt sich der Patriot um sein Vaterland. Neben ihm liegt ein mit 1533 datiertes Schreiben, auf dem der Name der westlitauischen Landschaft Samogitia zu erkennen ist, damals Teil des 1386 gegründeten polnisch-litauischen Großreichs, das in Polen heute noch verehrt und verklärt wird.

Assoziiert wird das Gemälde jedoch mit dem Verlust von Smolensk an das Großfürstentum Moskau im Jahr 1514, wie der lange Titel verrät: „Stanczyk während des Balls am Hofe der Königin Bona, als die Kunde vom Verlust von Smolensk eintrifft“. Die Münchner Ausstellung „Stille Rebellen. Polnischer Symbolismus um 1900“ verzichtet allerdings auf die Nennung der Titel im polnischen Original, was das Verständnis erschwert.

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„Stanczyk“ wurde im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Besatzern geraubt, geriet nach Moskau und erst 1956 an das Nationalmuseum in Warschau zurückgegeben. Dieser Umstand ist besonders pikant, da sich Polen nicht ohne Grund von den beiden großen Nachbarn im Westen und Osten bedroht gefühlt hat. Ab der dritten Polnischen Teilung 1795 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs war das Land praktisch von der Landkarte getilgt und unter Russland, Preußen und Österreich-Ungarn aufgeteilt.

Umso wichtiger wurden die Künste neben der Sprache und katholischen Religion für die Aufrechterhaltung der nationalen Identität. Matejko hatte ab 1858 an der Akademie in München studiert. Zwischen 1820 und 1914 zog es rund 300 polnische Künstler ins „Isar-Athen“, vor allem Malerinnen und Maler wie Olga Boznanska oder die Brüder Maksymilian und Aleksander Gierymski. Letzterer malte um 1890 die Ludwigsbrücke in einer blau-rosa-violetten Abenddämmerung, durch die schwarzgewandete Gestalten huschen.

Eine Art späte Heimkehr für den ikonischen „Stanczyk“

Boznanska ist mit drei Porträts in der Hypo-Kunsthalle vertreten, darunter dem „Mädchen mit Chrysanthemen“: Dessen Züge sind ähnlich diffus wie die fedrig-zarten Blüten. So ist es als eine Art später Heimkehr zu werten, dass der ikonische „Stanczyk“ nun die spektakuläre Ausstellung in der Münchner Hypo-Kunsthalle eröffnet.

130 der bedeutendsten Gemälde Polens sind in dieser Dichte erstmals in Deutschland zu sehen, viele wurden noch nie im Ausland gezeigt. Darunter befindet sich der zum Briefmarken-Motiv geadelte „Polnische Hamlet“ des Matejko-Schülers Jacek Malczewski von 1903: Es zeigt den Regierungschef Kongresspolens Wielopolski Blütenblätter zupfend zwischen einer gefesselten alten und einer befreiten jungen Polonia.

Mit „Stille Rebellen“ dokumentiert die Kunsthalle einen blinden Fleck in der westlichen Wahrnehmung – von einem „peinlichen Manko“ spricht Kuratorin Nerina Santorius. Auch Direktor Roger Diederen erschütterte es, dass er auf der Suche nach Leihgaben in keinem deutschen Museum fündig geworden sei. Das staatliche Adam-Mickiewicz-Institut in Warschau eilte mit den Nationalmuseen in Warschau, Krakau und Posen zur Hilfe.

In den Verwaltungsdokumenten firmiert Polen als „Weichselland“

Durch den russischen Überfall auf die Ukraine haben die „Stillen Rebellen“ eine traurige Aktualität erlangt. Denn auch dem besetzten Polen sprach Russland wie jetzt der Ukraine eine eigene kulturelle Identität ab; ab 1880 war in Verwaltungsdokumenten nur vom „Weichselland“ die Rede.

Heute noch lässt sich an der Architektur polnischer Städte erkennen, zu welchem Staat sie während der 123-jährigen Besatzungszeit gehörten. 1830 und 1863 kam es zu Aufständen. 1864 wurde in Warschau die Akademie geschlossen, was viele Eleven ins Ausland aufbrechen ließ.

Zu den „polnischen Münchnern“ zählt auch Józef Chemmonski. Sein „Altweibersommer“ von 1875 zeigt eine ukrainische Schäferin bei der Rast, während ihr schwarzer Hund Wache hält. Wegen seines „bäuerlichen“ Charakters war das Werk in der kommunistischen Volksrepublik besonders populär.

Zwischen Volksfrömmigkeit und internationalen Einflüssen

Die „Stillen Rebellen“ schwanken zwischen zwei Polen: der Hinwendung zu heimischen Landschaften wie der Tatra und Volksfrömmigkeit als spirituellen Kraftquellen sowie internationalen Einflüssen wie dem Pariser Japonismus oder der Décadence. Als produktiv erweist sich Jacek Malczewski.

[Hypo-Kunsthalle München, bis 7. 8.; Katalog (Hirmer Verlag) 35 Euro.]

Während sein Triptychon mit Jesus und zwei Landsleuten in sibirischer Verbannung für westliche Augen religiösem Kitsch gefährlich nahe kommt, überzeugt „Kunst auf dem Gutshof“ von 1896 durch synästhetische Originalität. Vor einer Schar Truthähne, die sich wie Noten aufreihen, tröstet ein Faun das weinende Bauernmädchen mit seinem Flötenspiel.

Die Landschaften spiegeln die Hoffnung auf Befreiung

Eine Münchner Besonderheit war die „Stimmungslandschaft“, die von Symbolisten wie Arnold Böcklin und Franz von Stuck beeinflusst war. So schuf Julian Famat imposante Schneepanoramen. Von Ferdynand Ruszczyc sind eine freischwebende Wolke oder symbolistisch gedrungene „Alte Apfelbäume“ in düsteren Farben zu sehen. Die zahlreichen Porträts der schlafenden Herbst- und Winternatur standen für das seiner Befreiung harrende „Volk ohne Staat“.

Mit der modernistischen Bewegung „Junges Polen“ taute ab 1890 das Eis, und es zogen übermütige Frühjahrsmotive in die Kunst ein: spielende Kinder, ekstatische Frauen, Faune, ein Ritter inmitten von Blumen. Was mit dem ernsten Narren Stanczyk beginnt, endet mit der fröhlich in die Lüfte aufsteigenden Polonia als Allegorie der souveränen Nation.

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