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Turmhoch. Das Wohn- und Atelierhaus von John Hejduk in der Charlottenstraße.

© Ludger Paffrath

Berlins Bauten der achtziger Jahre entdecken: Ehre dem Beton

Alle schimpfen auf die Postmoderne. Die Berlinische Galerie nicht. Sie lädt per Audiowalk zu spannenden Häusern im Westen und Osten Berlins.

Die Postmoderne im Westen falle krampfhaft originell aus, sagen die einen. Andere empfinden sie als monoton und öde. Überhaupt: der Beton altert schlecht. Und im Osten?

Da ist der Plattenbau-Historismus der DDR für viele ein Grund zum Gähnen. Nein, die Berliner Architektur der Achtziger hat keinen guten Ruf. Was sich bei einem Spaziergang zu den Wohn- und Geschäftshäusern dieser Zeit übrigens bestätigt wie relativiert.

Audiowalks rehabilitieren den ramponierten Ruf

Nun tritt die Berlinische Galerie mit der Ausstellung „Anything goes – Berliner Architekturen der 1980er Jahre“ an, den ramponierten Ruf zu rehabilitieren und die Erneuerung und Rekonstruktion des durch Krieg und Mauerbau verheerten Stadtbildes in seiner architektonischen Breite zu betrachten. Und zwar in Form kostenloser Audiowalks.

Sie laden per Mobilfon-App zum Flanieren ein (berlinischegalerie.de/digital/anything-goes), bevor die Schau in der wieder eröffneten Berlinischen Galerie zu sehen ist.

Entscheidende Initiativen zur städtebaulichen Erneuerung des in den achtziger Jahren noch durch Baulücken, Brachen und Ruinen zerfledderten Stadtbilds waren die Internationale Bauausstellung (IBA) 1984/1987 im Westen und die Bauausstellung Ost, eins der Großprojekte zum 750. Geburtstag der Mauerstadt 1987. Tour 1 „IBA Neu“, der mit Karte und Fotos versehenen Audiowalks führt rund um die Berlinische Galerie in der Alten Jakobstraße.

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In der südlichen Friedrichstadt, dem größten Ausstellungsgebiet der IBA, entstanden in den Achtzigern 600 Wohnungen, im postmodernen Stil auf historischem Stadtgrundriss. Tour 2, „IBA Alt“, widmet sich der Alt- und Neubauten verbindenden Stadterneuerung in Kreuzberg zwischen Landwehrkanal, Kottbusser Tor und Spreewaldplatz.

Nur der dritte Spaziergang „Neuer Glanz für den geteilten Boulevard“ ist grenzüberschreitend. Die persönliche Entdeckungen garantierende Tour führt auf der schnurgeraden Friedrichstraße vom Kreuzberger Mehringplatz zum Friedrichstadt-Palast in Mitte. In 30 Minuten Hörzeit und anderthalb Stunden Laufzeit, die auch einen Schlenker zu den historistischen Plattenbauten am Rand des Gendarmenmarkts einschließt.

Audiowalk Route 3, Am Mehringplatz in Kreuzberg geht's los und dann die Friedrichstraße hinauf nach Mitte.
Audiowalk Route 3, Am Mehringplatz in Kreuzberg geht's los und dann die Friedrichstraße hinauf nach Mitte.

© Ludger Paffrath

Zum Einstieg am Mehringplatz holt Frank Arnold, der die Stadtbilderklärungen pointiert vorträgt, etwas weiter aus und verschreckt mit der Bitte, sich vorzustellen, dass nach den, nur durch Bürgerproteste verhinderten, Planungen der autogerechten Stadt, hier jetzt eigentlich die Stadtautobahn entlang donnern würde.

Stattdessen hat das einst barocke Rondell ringförmige Wohnhäuser bekommen. Sozialbauten, die Hans Scharoun 1968 entwarf. Und einen zugigen Unort in der Mitte, der seit 2019 wieder aufgemöbelt wird. Die Victoria auf der zentralen Friedenssäule schaut noch etwas ratlos auf die Baugitter, Sandhügel und Pflastersteinberge zu ihren Füßen. Doch der Mehringplatz wird langsam wieder.

Die größte und wichtigste Einkaufs- und Vergnügungsmeile

Was sich von der Friedrichstraße, die es dann  zum 1987 angelegten Theodor-Wolff-Park hoch geht, noch nicht so ganz sagen lässt. Trotz der Wiederherstellung der Blockränder und der dichten Straßenstruktur durch die Neubauten der Vor- und Nachwendejahre, sucht sie weiter ihren Glanz.

„1920 war sie die größte und wichtigste Einkaufs- und Vergnügungsmeile der modernen Metropole“, raunt einem der Sprecher ins Ohr. Geschäfte, Büros, Theater, Kinos, Tanzlokale, Restaurants – hier schlug das Herz des Großstadtlebens. An den Nationalsozialismus, der es zerstörte, erinnert eine Gedenktafel an der nächsten Station, dem Tor- und Uhrenhaus, Friedrichstraße 234.

Historische Bauformen verfremdet zitieren

Am Eingang des Nachbarhauses wird an die einstigen Bewohner Adalbert von Chamisso und Hedwig Dohm erinnert, hier an den „Gutschow-Keller“, auch „Blutburg“ genannt, in dem die SA ihre politischen Feinde folterte. Der New Yorker Architekt John Hejduk hat seinen IBA-Bau 1987 als dreiflügeliges Torhaus angelegt, an dessen puristischer Fassade die krönende Uhr bis heute fehlt.

Historische Bauformen verfremdet zu zitieren, ist ein Hauptmerkmal der Postmoderne. Wobei sich der schlichte, erst beim Hochschauen von der gegenüberliegenden Straßen aus als prägnant erweisende Bau, sichtlich an der klassischen Moderne orientiert.

Der IBA-Bau sieht aus wie ein Parkhaus

Fünf Minuten Fußweg vorbei am Verlagshaus der „taz“ und dem Besselpark schiebt sich das Gegenteil von Hejduks nobler Zurückhaltung in den Blick. Der IBA-Bau mit der Hausnummer 32/33. Raimund Abraham heißt dieser New Yorker Architekt. Der vor der Zeit ergraute Betonbau mit vorgebauten Loggien aus blinden Glasbaustein sieht wie das Parkhaus des benachbarten Landesarbeitsamtes aus, auf dem eine missvergnügter, steinerner Amtsadler thront.

Der Abraham-Bau sei ein architektonischer Solitär, wirbt die Sprecherstimme um Nachsicht und empfiehlt einen Blick auf die ansehnliche Rückseite. Von Nachbarhof lässt ein Blick über die Mauer erhaschen. Jetzt sieht das Monster mit seinen halbrunden Balkonen entfernt nach einem Guggenheim-Museum für Arme aus.

Audiowalk Route 3, Friedrichstraße 107: Friedrichstadtpalast, Manfred Prasser, Dieter Bankert, Walter Schwarz,
Audiowalk Route 3, Friedrichstraße 107: Friedrichstadtpalast, Manfred Prasser, Dieter Bankert, Walter Schwarz,

© Ludger Paffrath

Kurz vorm Checkpoint Charlie konstrastieren dann zwei ganz unterschiedliche IBA-Attraktionen: der kubistische Bau mit der gerasterten, verblichenen Farb-Fassade  von Peter Eisenman und Jaquelin Robertson, den das Museum Haus am Checkpoint Charlie mit seinem Gedenkkitsch zusätzlich verunziert.

Und schräg gegenüber das viel besser gealterte und gepflegte „Wohnhaus am Checkpoint Charlie“. Das Haus mit dem schicken Dach-Segel wurde von Rem Kohlhaas‘ Büro OMA entworfen und verfügte anfangs sogar über eine Grenzabfertigungshalle im Sockelgeschoss, wo nach dem Mauerfall McDonalds und Co. einzogen. Es wirkt – bis auf das von den Vorbauten der Läden und Gastronomie verhunzte Erdgeschoss – zeitlos gültig.

Peters Meyers Bau verneigt sich vor dem Bauhaus

Die erste Station auf ehemaligen Ost-Berliner Terrain sieht dann fast wie ein IBA-Lookalike aus: Peter Meyers Wohn- und Geschäftshaus Friedrichstraße 56, ist ein schnörkellose Bau von 1987, der sich mit gerasterten Glasfächen und schmucklosen Betonflächen vor der Bauhaus-Ästhetik verneigt.

Dem Selbstverständnis der DDR entsprechend, nach der die industrielle Plattenbauweise zentrales Vehikel zur Errichtung sozialistischen Städte war, sind alle Stationen auf der nördlichen Friedrichstraße Plattenbauten. Nur eben überraschend traditionell daherkommende Prachtplatten.

Eine Ausnahme ist das Russische Haus, Nr. 176-179, dessen massive Wucht entspricht dem Sowjetstil der Breschnew-Ära. Allein die verbauten Materialien – Granit aus der Lausitz und Kalkstein aus Thüringen – verorteten es in der Hauptstadt der DDR.

Audiowalk Route 1, Alte Jakobstraße 129 (Block 33): Wohnbau, Dieter Frowein, Gerhard Spannenberg,
Audiowalk Route 1, Alte Jakobstraße 129 (Block 33): Wohnbau, Dieter Frowein, Gerhard Spannenberg,

© Ludger Paffrath

Einen unfreiwillig tragischen Anblick bietet das 1987 eröffnete Grandhotel von Erhard Gißke. Das einst erste Haus am Platze firmiert inzwischen als „Westin Grand“ und ist pandemiebedingt geschlossen. Kein Doorman vor der Tür, kein Klaviergeklimper in dem für einen Achtziger-Bau untypisch luftigen Foyer. Hinter den Stuckelementen und französischen Balkonen der vorgesetzten Steinfassade regt sich kein Leben.

So ähnlich sieht es auch in der Nr. 106, den Spreeterrassen aus, die hinter der Weidendammer Brücke am Fluss aufragen und den derzeit verwaisten Promitreff „Grill Royal“ beherbergen. Rote Fensterrahmen und Balkongitter und vor- und zurückspringende Fassenteile lösen die Monotonie des Blocks in kleinteilige Parzellen auf, wie man sie von historischen Städten kennt.

Heimeligkeit ist dem Palast fremd

Diese angetäuschte Heimeligkeit ist dem jetzt in den Blick kommenden Friedrichstadt-Palast fremd.  Der von Manfred Prasser entworfene Bau sollte ab 1984  die Krone der wieder auferstandenen Amüsiermeile sein. Zwecks Recherche in Sachen Revuetheaterarchitektur von Weltniveau bereist das Bauteam den Klassenfeind und besucht in Paris „Lido“ und „Moulin Rouge“.

Herausgekommen ist ein grandios-kitschiger Kasten, dessen Federbüschen nachempfundene Buntglas-Fenster nachts einen nicht zu schlagen Camp-Faktor verströmen. Dieses verspielte Trumm kann am Ende einer Tour, die an vielen allzu kühlen, glatten, massiven Architekturen der Gegenwart vorbeiführt, schon allein als Rehabilitation der vielfältigen Achtziger dienen.

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