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Scottish actress Tilda Swinton poses on stage after having been presented with the Honorary Bear of the Berlinale during the opening ceremony ahead of the screening of the film “Das Licht“ (The light) in the "Berlinale special" section of the 75th Berlinale, Europe's first major film festival of the year, in Berlin on February 13, 2025. (Photo by Ronny HARTMANN / AFP)

© AFP/RONNY HARTMANN

Berlinale-Eröffnung mit Ehrenbär für Tilda Swinton: Ein Land ohne Grenzen

Das Kino kennt keine Visa und Abschiebungen, sagte die schottische Schauspielerin in ihrer Dankesrede für den Goldenen Ehrenbär. Ihre poetisch-politischen Worte prägten die Eröffnung der 75. Berlinale.

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Wird es tatsächlich ein Schnelldurchlauf? Die neue Festivalchefin Tricia Tuttle hatte eine kurze Gala versprochen, schon wegen der XXL-Länge von Tom Tykwers Eröffnungsfilm „Das Licht“ mit 160 Minuten. Also los: Moderatorin Désirée Nosbusch begrüßt als erstes Tilda Swinton, die gleich mit dem Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird.

Ein freundlich-fixes Hallo auch an Berlins Regierenden Bürgermeister, Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die Kultusminister:innen aus Slowenien, Spanien und der Ukraine, und ein Extragruß an die Menschen in den sieben deutschen Kinos, in welche die Gala erstmals live übertragen wird.

Die Weltpolitik bleibt zunächst ausgespart. Nosbuschs Solidaritätsadresse an die Menschen in München, wo am Morgen ein Auto in eine Demo gerast ist, steht pars pro toto. Auch Tricia Tuttle beherzigt die Kunst der Kürze, bricht eine Lanze für die Berliner Kultur, nennt die hiesige Filmszene die fantastischste der Welt. Nicht dass irgendetwas ihr Angst mache, aber dieses weiche „ch“ beim Ich-Sagen sei doch eine Herausforderung.

Fix vorgespult zur launigen Swinton-Laudatio des Oscar-Preisträgers Edward Berger: Tom, Tricia, Todd (Haynes, der Jury-Präsident), Tilda, so viele Ts an diesem Abend! Die schottische Schauspielerin zu würdigen, das könne nur eine inadäquate Bemühung sein, meint Berger. Ihr Geheimnis? Ihre außergewöhnlich schöne Seele. Was viele Regisseure dazu gebracht habe, gleich mehrfach mit ihr zu arbeiten. Manchmal sogar zweimal in einem Film, wie Luca Guadagnino in „Suspiria“.

Der Laudator und Oscar-Preisträger Edward Berger und die Ehrenbärin Tilda Swinton.

© AFP/RONNY HARTMANN

„Realität ist langweilig“, habe sie kürzlich bei Dreharbeiten in Macao zu ihm gesagt: Berger realisiert für Netflix gerade die Romanverfilmung von „The Ballad of a Small Player“, mit Swinton und Colin Farrell.

Es ist dann an Tilda Swinton, mit ihrer ebenso poetischen wie politischen Dankesrede den Zeitrahmen in aller Seelenruhe zu sprengen. Bei ihrem ersten Berlinale-Besuch mit Derek Jarmans „Caravaggio“ 1986 war sie 25, auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. „Wir stapften mit Schnee an den Stiefeln in den Zoo-Palast, Werner Schroeter zeigte ,Der Rosenkönig’ im Delphi, die Teddys feierten Premiere und die Mauer stand noch.“ 40 Jahre Kameradschaft und Freundschaft verbinden sie mit der Stadt und dem Festival. Immer wieder war Berlin ihr „Zuhause“, das sagt sie auf Deutsch.

Der Film-Zusammenschnitt zuvor hatte sie in all ihrer Eleganz gezeigt, ihre Coolness und Power offenbart, ihre distinkte Aussprache, die Wandelbarkeit, Autorität und Aura ihres blassen, feinen, markanten Gesichts.

„Ich mache Filme als Fan“, fährt die aus dem schottischen Hochadel stammende Schauspielerin fort, die mit zahlreichen großen Autorenfilmern gearbeitet hat, den Coen-Brüdern, Wes Anderson, Almodóvar. „Als Liebhaberin der Dunkelheit, der Stille, der Freiheit der Klänge, der offenen Einladung zum Träumen inmitten einer wuselnden Menschenmenge.“

Noble Statur in schwarzem Wintergewand: Swinton steht kerzengerade. Sie spricht über den Schatz der Sprache und die Schönheit des Unausgesprochenen, über den Zauber, die Offenheit, den Witz und den Nervenkitzel des Kinos, um im zweiten Teil ihrer Rede ins Politische zu wechseln.

Swinton verdammt Trumps Vision von Gaza als Riviera des Nahen Ostens

Das Kino könne vermitteln, was Menschsein bedeutet, sagt sie. Es sei ein unabhängiges Reich, „unempfänglich für Besatzung, Kolonisierung und Riviera-Grundstücks-Landbesitz“. Eine unmissverständliche Anspielung auf Donald Trumps Überlegung, den zerbombten Gaza-Streifen in die Riviera des Nahen Ostens zu verwandeln und die Palästinenser von dort zu vertreiben.

Tilda Swinton hatte nach dem 7. Oktober, dem Hamas-Terroranschlag gegen Israel, ihre Solidarität mit den Menschen in Gaza bekundet – was Befürchtungen weckte, sie werde auch die Berlinale-Eröffnung für ein pro-palästinensisches Statement nutzen. Aber sie nennt keine Namen oder Staaten. Sie spricht ausschließlich über das Kino als „ein Land ohne Grenzen, ohne Abschiebungen und Visumpflicht“, und damit spricht sie doch über die Welt. Auch über die Grausamkeit von Massenmorden, „die unter unserer Aufsicht verübt werden“. Wenn man sich für Menschlichkeit und Solidarität ausspreche, beinhalte das niemals, gegen andere Menschen zu sein, fügt sie hinzu.

Auch zur Filmindustrie äußert sie sich, fordert die Streamer nachdrücklich dazu auf, Kinos zu bauen. Ja, sie fordert alle Menschen dazu auf, Kinos zu gründen, „in Dörfern, Großstädten, Flüchtlingslagern, Altenheimen und auf aufblasbaren Inseln im Ozean“. Riesen-Applaus. Eine ähnliche ernsthafte, die großen Film- und Menschheitsfragen streifende Rede wurde noch nie bei einer Berlinale-Eröffnung gehalten.

Dem Jury-Präsidenten Todd Haynes bleibt anschließend nur, nochmals knapp die Freiheit und Vielfalt des Ausdrucks zu würdigen. Tricia Tuttle zählt noch schnell die wichtigsten Kriegs- und Krisenregionen der Welt auf, Sudan, Israel, Gaza, Ukraine, sie erwähnt auch den Libanon und die Brände in L.A.. Sie weiß, das Kino wird die Vielzahl der Probleme nicht lösen, aber es kann ein Licht in der Dunkelheit sein. Eines, das nie erlischt, wie Tilda Swinton sagte.

40 Minuten? Am Ende sind es 80. Die Party nach Tykwers Film wird wohl erst nach 23 Uhr beginnen.

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