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Lin Wang nennt sich Teepraktizierende. Sie lernte bei Lehrern in Taiwan, Hongkong, Yunnan und Peking.

© Feuerle Collection

Feuerle Collection: Zeremonienmeisterin Lin Wang lädt zum Tee

Von der Medizin übers Alltagsgetränk zur Kunst. Die chinesische Teezeremonie wird neu entdeckt. Sie verspricht neben feinem Geschmack eine weitere wichtige Sache.

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Dieser Oolong-Tee ist zwanzig Jahre gereift, einer der kostbarsten Tees der Welt. Die dunklen getrockneten Blätter liegen auf einer handgeschöpften Papierunterlage. In einer kleinen Kanne aufgebrüht, entwickeln sie einen Geschmack nach Erde und Feld, der sich mit jedem Aufbrühen verändert.

Es ist still im Raum, niemand spricht. Man konzentriert sich aufs Riechen und Schmecken, spürt, wie die warme Flüssigkeit die Kehle hinabrinnt, hört das Geräusch beim Zurückstellen der winzigen Teeschalen auf dem Tablett.

Teetrinken mit Muse und Muße

In der Feuerle Collection, einer privaten Kunstsammlung in einem ehemaligen Telekommunikationsbunker in Kreuzberg, ist alles auf Kontemplation ausgerichtet. Dunkelheit ist die Grundeinstellung hinter den dicken Betonmauern. Khmerskulpturen aus Stein, Bronze und Holz und antike kaiserlich-chinesische Möbeln sind mit Licht gezielt in Szene gesetzt und mit erotischer Fotografie von Nobuyoshi Araki kombiniert.

Die Teeexpertin Lin Wang (rechts) und Sammler Désiré Feuerle (links) haben die Zeremonie für den Kunstraum gemeinsam entwickelt.

© Feuerle Collection

Sammler Désiré Feuerle setzt auf die Idee des generationenübergreifenden Gesamtkunstwerks, das alle Sinne anregt. Nach dem Betreten des Bunkers stehen Besucher ein paar Minuten in einem komplett dunklen Raum und lauschen einem Stück von John Cage. Ein Ritual, um die Reize von draußen zu neutralisieren. Es leitet auch die exklusive chinesische Teezeremonie ein, die die Feuerle Collection seit Kurzem anbietet.

Medizin, Getränk, Kunstgenuss

Die Zeremonienmeisterin heißt Lin Wang. Sie kommt aus Jinhua in der chinesischen Provinz Zhejiang und lebt in Berlin. Wang übt sich seit gut zehn Jahren in der Kunst der Teezubereitung. Sie empfängt die Besucher auf einer Matte inmitten der Ausstellung. In zwei tönernen Feuerstellen glühen Kohlen, Wasser brodelt.

Wang hat drei kostbare Teesorten aus China und Taiwan ausgewählt, die auf die Kunst aus der Ming- und Qing-Zeit abgestimmt sind, inmitten derer man sitzt. Linker Hand steht ein Konkubinenbett aus dunklem Holz, rechts ein reich verzierter Gelehrtentisch, in Blickrichtung hängt ein zeitgenössisches Bild von Adam Fuss, in dem man weißen Dampf zu sehen glaubt. Mit viel Bedacht serviert Wang einen belebenden Gushu Pu’er zu Beginn, es folgen blumig-fruchtige Erotik mit Phoenix Dancong und der erdige taiwanesische Oolong Tee mit drei Aufgüssen am Schluss.  

Die Art der Teezubereitung und des Teetrinkens, die Lin Wang praktiziert, nennt sich Gongfu Cha, sie hat ihren Ursprung in der frühen Qing-Dynastie im 17. Jahrhundert und damit eine zeitliche und spirituelle Verbindung zur ausgestellten Kunst.

Tradition des Gongfu Cha

Lin Wang kam 2017 nach ihrem Studium nach Berlin und initiierte den „Saturday Tee Room“ im Teesalon Ryoko. Das sei sehr lehrreich gewesen, sagt sie im Anschluss an die Zeremonie. „Jeder reagiert anders auf den Tee, bringt die eigene Interpretation und das eigene Gefühle ein.“ Wang arbeitet mit Tänzern, Musikern und Künstlern zusammen. So kombinierte sie etwa Tee mit Wagashi-Kunst, den japanischen Süßigkeiten. In der Feuerle Collection kuratierte sie eine Teezeremonie zur Eröffnung der Ausstellung der Künstlerin Leiko Ikemura. Im Rahmen eines Berlinale-Events wurden Tees gereicht, die in Storytelling und Farbe auf die Filme abgestimmt waren.

Ihr Wissen hat Lin Wang bei Lehrern in Taiwan, Hongkong, Yunnan und Peking erworben, etwa zu Teeanbau und -ernte, zur Qualität des Wassers, zu Teeutensilien und natürlich den Zubereitungsverfahren.

Es geht um Aufmerksamkeit, um sinnliche Meditation. In das Teetrinken kann man sich versenken wie in ein Bild, ein Gedicht. Der 20 Jahre alte Oolong-Tee entwickelt eine Art Säure. Beim Aufbrühen entfaltet er immer wieder neue Nuancen, erst intensiv erdig, dann weicher und heller. Lin Wang nennt es „Räumlichkeit des Tees“.

Wichtig ist bei der Zubereitung die richtige Kanne, in dem Fall ist es eine kleine bauchige. Sie verfügt über ausgeprägte Poren, kann dadurch die Temperatur gut speichern. Genau was der kostbare Tee braucht, erklärt Lin Wang. Eine Rarität übrigens, die man nicht einfach im Laden kauft. Es ist wie beim Wein-Tasting, wenn die ganz besonderen Schätze hervorgeholt werden. Lin Wang erzählt, eine Gruppe von Whiskey-Liebhabern habe bei ihr nach einem Pairing aus chinesischen Tees und edlen Whiskeysorten gefragt. Es ist eine Welt für Genießer und Kenner – aber nicht nur.

Tee-Kultur erlebt im Moment einen Boom in China. Die Regeln sind weniger streng als im japanischen Zeremoniell. Im Grunde kann sich jeder im Servieren von Tee ausprobieren, ermuntert Wang. Auch wenn es besser ist, wenn man weiß, was man tut.

Es geht um Stille und Sinnlichkeit, aber auch um Verbundenheit und Gemeinschaft. Der Tee verbindet die Menschen untereinander und mit der Natur. Das chinesische Zeichen für Tee beinhaltet die Silben „Mensch“, „Gras“ und „Baum“. „Für mich vermittelt Tee ein Gefühl von Zuhause, egal, wo ich bin“, sagt Lin Wang. Und so geht es vielen, die sich dafür begeistern.

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