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Kudamm-Eck an der Joachimsthaler Straße Ecke Kurfürstendamm.

© Stadtplanungsamt Wilmersdorf

Im Zeichen des Quadrats: Entdeckt West-Berlins Moderne!

Die Architektur der 60er bis 80er ist verschrien, doch sind damals viele spannende Bauten entstanden. In der Kommunalen Galerie in Wilmersdorf kann man sie jetzt neu entdecken.

Nikolaus Bernau
Ein Kommentar von Nikolaus Bernau

Stand:

Ein Vorurteil scheint unzerbrechlich zu sein: Dass „die Moderne“ der Nachkriegszeit nicht in der Lage gewesen sei, dem Menschen angemessene Stadträume und Architekturen zu schaffen. Nun waren die 60er bis 80er Jahre wirklich nicht die spannendste Phase der Weltarchitekturgeschichte.

Wäre auch erstaunlich, schließlich wurde in diesen knapp zwei Jahrzehnten mehr Raum um- und mehr Material verbaut als in der gesamten menschlichen Baugeschichte zuvor. Da musste viel Banales und Ärgerliches entstehen. Das eigentlich Bemerkenswerte ist, wie viele interessante Bauten trotz der schieren Masse denn doch errichtet wurden. Nur, man muss sie auch entdecken wollen.

Eine Gelegenheit dazu ist die neueste Ausstellung der Kommunalen Galerie in Wilmersdorf. Das Bezirksmuseum zeigt dort, ausgewählt und gut inszeniert von der Fotografin und Kuratorin Christine Kosorsy, unter dem Titel „Quadrat ist Modern“ eine winzige Auswahl aus einem Bilderschatz, der vor Jahren knapp dem Mülleimer entrissen wurde: 15.000 Dias, die das Stadtplanungsamt Wilmersdorf einst anfertigen ließ und dann entsorgen wollte, als die einstigen Triumphe als Niederlagen verschrien wurden.

Entstanden sind diese Fotos als Erfolgsnachweis. Denn etwa bis 1970 wurde jedes aus heutiger Sicht noch so fiese Abstandsgrün, jeder noch so banale, von Parkplätzen umzingelte Neubau (und auch in dieser Auswahl sieht man so einige davon) als Sieg über die damals verachtete „Steinerne Stadt“ der Kaiserzeit, über Treppentoiletten, Hinterhöfe und Kohleofen gefeiert.

Wir vergessen es gerne: Genau die Vorurteile, die heute gegen „die Moderne“ herrschen, gab es bis in jene Jahre hinein gegen „den Historismus“ mit seinen Stuck- und Gesimsdekors. Und genauso wie heute nutzten auch damals Investoren die Vorurteile, um selbst in Zeiten größter Wohnungsnot noch gut erhaltbare, leicht zu sanierende Bauten abzureißen.

Geschäftshäuser, Wohnbauten, ganze Stadtviertel, durchzogen von breiten Straßen, selbstverständlich die Autobahnüberbauung an der Schlangenbader Straße und das ICC sind zu sehen, die immer noch so faszinieren. Mal sind die hier gezeigten Projekte systematisch geplant, mal nur schnell errichtet worden, um das im Krieg Zerstörte zu ersetzen. Aber alles soll, so die These von Kososry, dem Quadrat unterworfen sein. Man kann darüber streiten, aber sicher ist: Hier wird eine viel zu wenig beachtete Epoche Berlins beleuchtet, die Nachkriegsmoderne West-Berlins.

Was lernen wir außerdem? Rettet bei allem Antibürokratisierungswahn die Archive, Plan- und Bilderschätze der Verwaltungen. Sie sind unser gesellschaftliches Gedächtnis, das man auch braucht, um Vorurteile aufzubrechen.

Am Mittwoch findet in der Kommunalen Galerie, Hohenzollerndamm 176, um 19 Uhr eine Podiumsdiskussion mit Nikolaus Bernau zur Bedeutung des Wilmersdorfer Bauarchivs und der Nachkriegsmoderne West-Berlins statt. 

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