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Freundschaft zweier Staaten. Die israelische Nationalflagge vor dem Brandenburger Tor.

© picture alliance/dpa

Streit um Jüdisches Filmfestival: „Israels Kulturpolitik ist rabiater geworden“

Nach dem Streit um das Jüdische Museum folgte eine Debatte über das Jüdische Filmfest. Ein Gespräch mit Ofer Waldman vom New Israel Fund über Antisemitismus und Vielfalt in Deutschland.

Von Andreas Busche

Herr Waldman, wie der Rücktritt von Peter Schäfer zeigt, ist in Deutschland eine Debatte über die Deutungshoheit jüdischer Themen entbrannt. Welche Haltung nimmt der New Israel Fund (NIF) dazu ein, dem Sie hier vorstehen?

Wir müssen zwei Themen voneinander trennen. Der deutsche Kampf gegen Antisemitismus ist absolut und das ist auch richtig so: vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und weil Antisemitismus eine Krankheit ist, die eine freie Gesellschaft, nicht nur die jüdische, innerlich zersetzt. Wenn Gräber mit Hakenkreuzen beschmiert oder Menschen wegen ihres Glaubens angegriffen werden, betrifft das jeden Deutschen. Momentan ist jedoch eine Instrumentalisierung zu beobachten. Die israelische Regierung vereinnahmt den Kampf gegen Antisemitismus, um von ihrer Besatzungspolitik abzulenken. Oft wird Personen, die die Besatzungspolitik kritisieren, antisemitisches Gedankengut unterstellt – ausdrücklich oder indirekt als BDS-Anhänger.

Sie haben den Bundestagsbeschluss im Mai gegen die BDS-Bewegung, die zum Boykott Israels aufruft, den Weg zur Hölle genannt, der mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Wie meinen Sie das?

Der Satz bezieht sich auf ein hebräisches Sprichwort, das sich mit „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut“ übersetzen lässt. Die Resolution wurde von wahren Israel-Freunden verabschiedet. Die Entscheidung, die BDS als antisemitische Organisation zu verurteilen, unterstützt jedoch den Versuch der israelischen Regierung, jegliche Kritik an der israelischen Besatzungspolitik in die Nähe antisemitischen Gedankenguts zu rücken. Unsere palästinensischen Partner in Deutschland und in der palästinensischen Zivilgesellschaft sind davon als erste betroffen, sie stehen damit unter Generalverdacht. Welcher Palästinenser kann es sich überhaupt leisten, sich öffentlich von der BDS zu distanzieren, die aufgrund ihrer Gewaltfreiheit eine größere internationale Legitimität genießt als andere Formen des palästinensischen Widerstands, selbst wenn er oder sie diese gar nicht unterstützt?

Ofer Waldman, 40, ist Journalist aus Jerusalem, lebt heute in Berlin, spielt im West-Eastern Divan Orchestra mit und steht ehrenamtlich dem deutschen Flügel der NGO New Israel Fund vor, der die Zivilgesellschaften in beiden Ländern unterstützen will.
Ofer Waldman, 40, ist Journalist aus Jerusalem, lebt heute in Berlin, spielt im West-Eastern Divan Orchestra mit und steht ehrenamtlich dem deutschen Flügel der NGO New Israel Fund vor, der die Zivilgesellschaften in beiden Ländern unterstützen will.

© pa/dpa

Ihr NIF unterstützt andere Nichtregierungsorganisationen, die in den besetzten Gebieten tätig sind wie „B’Tselem“ oder „Breaking the Silence“, die nicht das Existenzrecht Israels infrage stellen.

Wenn Sie von deutscher Seite eine öffentliche Ablehnung der BDS als Gesprächsbedingung aufstellen, müssen sie sich darüber im Klaren sein, dass Sie 95 Prozent der palästinensischen Aktivisten aus der Diskussion ausschließen. Ein hoher Preis dafür, dass die BDS in Deutschland eine marginale Bewegung ist. Sie wird von der israelischen Regierung jedoch regelrecht gebraucht, um durch Symbolpolitik ihre innen- und außenpolitischen Kritiker mundtot zu machen. Mir als Jude kann niemand Antisemitismus vorwerfen, ich werde stattdessen als „BDS-nah“ diffamiert. Dabei lehnt der NIF die BDS ab: Im Gegensatz zu ihr rufen wir nicht zu Boykotts auf, wir arbeiten mit und für die israelische Zivilgesellschaft. In den 40 Jahren unseres Bestehens haben wir, unterstützt von Figuren wie David Grossman und dem verstorbenen Amos Oz, weltweit für 900 NGOs Unterstützung durch Spenden gesammelt, die in den Bereichen Pluralismus, Menschenrechte, Demokratie und Gleichberechtigung tätig sind. Trotz allem sollte man die BDS nicht mit einem Sprechverbot belegen. Wer das tut, ist in seiner eigenen Position nicht gefestigt.

Jüdisches Leben bedeutet in Israel, wo einerseits die Mauer zum Westjordanland und andererseits Terroranschläge zum Alltag gehören, etwas anderes als in Deutschland. Hier gibt es einen gesellschaftlichen Konsens über den völkerrechtlichen Status Israels, jüdische Mitbürger werden aber zunehmend auch wegen der Regierungspolitik angegriffen. Werden in der aktuellen Debatte nicht spezifisch jüdisch-israelische Probleme auf das jüdische Leben in Deutschland projiziert?   

Wir vom NIF merken in letzter Zeit, dass die israelische Regierung durch ihre Versuche der politischen Vereinnahmung gerade jüngere Jüdinnen und Juden weltweit zunehmend abstößt. Genau dagegen arbeiten wir, um dem progressiven Israel auch in Deutschland eine Stimme zu verleihen. Meine Großeltern sind vor dem Krieg nach Israel gekommen, weil sie eine jüdische Heimat wollten. Mein Judentum ist in Israel eine staatsbürgerliche Kategorie und damit grundsätzlich ein Politikum. Nach Deutschland kam ich als jüdischer Israeli mit der Erfahrung als gesellschaftliche Mehrheit, hier habe ich aber ein Judentum – mein Judentum – neu entdeckt. Auf eine Weise, die nicht wie in Israel national kodiert ist. Es ist äußerst wichtig, der jüdischen Vielfalt einen Ort außerhalb des Nationalgedankens zu gewähren.

Überrascht es Sie, dass der Zentralrat im Streit um das Jüdische Museum eine so staatstragende Position einnimmt?

Judentum in Deutschland ist im Jahr 2019 so vielfältig wie noch nie, sogar vielfältiger als vor dem Krieg. Es gibt hier den irakisch-jüdischen Lyriker Mati Shemoelof, den Grünen-Politiker Sergey Lagodinsky, die Autorin Sasha Marianna Salzmann, Max Czollek mit seiner DDR-Vergangenheit ... oder die vielen israelischen Juden, wie mich, hierzulande. Es gibt heute so viele Stimmen, Kulturen und Narrative, dass man nicht mehr von einer einheitlichen jüdischen Geschichte in Deutschland sprechen kann. Wir werden beobachten, wie diese Vielfalt auch in den jüdischen Verbänden, wie dem Zentralrat, zunehmend repräsentiert wird. Was nicht passieren darf, ist, dass jüdische Organisationen und Einrichtungen gegeneinander ausgespielt werden – zur Freude wahrer Antisemiten. Peter Schäfer hat große Verdienste für die deutsch-jüdischen Beziehungen geleistet. Ich schätze das Jüdische Museum als Ort offener, kritischer Diskussionen.

In der vergangenen Woche wurde öffentlich, dass der NIF als Partner des Jüdischen Filmfestivals in Berlin ausgeladen worden ist. Festivalleiterin Nicola Galliner hat dem Tagesspiegel mitgeteilt, es hätten nie Pläne für eine Kooperation bestanden. Sie seien lediglich als Teilnehmer zu einem Podiumsgespräch eingeladen worden.

Ich will einen öffentlichen Streit vermeiden, damit würde ich denen in die Hände spielen, die Zwietracht zwischen jüdischen Parteien zu säen versuchen. Obwohl die Kooperationspläne schriftlich belegt sind, mache ich dem Festival kaum einen Vorwurf. Es ist Opfer der aktuellen giftigen Atmosphäre.

2018 lief der Film „Foxtrot“, der von der israelischen Regierung stark kritisiert wurde, noch auf dem Filmfestival. Was ist passiert, dass der NIF jetzt nicht mehr als offizieller Partner infrage kommt?

Ich fand die Entscheidung von Nicola Galliner im vergangenen Jahr richtig – heute würde man sagen: mutig. Seitdem ist die israelische Kulturpolitik rabiater geworden. Die Regierung exportiert ihre problematischen Umgangsformen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Kulturschaffenden, ob in der Filmindustrie oder in der Literatur. Ein Beispiel ist der Roman „Wir sehen uns am Meer“ von Dorit Rabinyan, der vom Lehrplan an israelischen Schulen gestrichen wurde, weil er eine Liebesbeziehung zwischen einem Palästinenser und einer Jüdin thematisiert. Die vielfältige israelische Kultur wird ungebrochen weltweit gefeiert. Leider schaut die Regierung, wie weit sie ihre Partner in Europa unter Druck setzen kann. Es gibt eine besorgniserregende Verbindung von dem Brief Netanjahus an die Bundeskanzlerin, in dem er unter anderem die Einstellung der öffentlichen Finanzierung des Berlinale Filmfestivals und des Jüdischen Museums forderte, über den BDS-Beschluss im Bundestag bis zum Rücktritt von Peter Schäfer.

Sehen Sie die Gefahr, dass jüdische Institutionen unter dem politischen Druck – wie im Fall des Jüdischen Museums durch ein Schreiben von Netanjahu an die Bundesregierung – in vorauseilendem Gehorsam Selbstzensur üben?

Das Jüdische Museum ist eine deutsche Institution! Bundesweit werden sich aber Einrichtungen, jüdisch oder nicht jüdisch, künftig überlegen, ob sie es sich antun wollen, Diskussionsveranstaltungen über Israel zu organisieren. Doch damit hätten die Urheber dieses Klimas der Einschüchterung ihr Ziel erreicht in dem sich inzwischen selbst ausgewiesene Expertinnen und Experten mit der Begründung, jüdisch-israelische Themen seien ihnen zu heiß, aus der Diskussion zurückziehen. Diesen Rückzug kritischer Stimmen halte ich für brandgefährlich – für Israel und die Meinungsfreiheit in Deutschland. Welche Zukunft hat die deutsch-israelische Freundschaft, wenn junge Menschen sich hier von israel- und judentumbezogenen Themen abwenden? Wenn diese Themen instrumentalisiert werden auf eine Art, die der hiesigen Meinungsfreiheit widerspricht?

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