zum Hauptinhalt
Mit Winkelmaß und Kelle. Die Grundsteinlegung des Kapitols in Washington besorgte Präsident George Washington, ein Großmeister der Freimaurer.

© J. Scott Applewhite/AP/dpa

John Dickies packendes Sachbuch "Die Freimaurer": Brüder in Schurzen

Am Männerbund der Freimaurer entzünden sich seit Jahrhunderten Verschwörungstheorien. John Dickie erzählt ihre seit mehr als 300 Jahren andauernde Geschichte.

Fünf Jahre hat der britische Romanist und Historiker John Dickie zur Freimaurerei recherchiert. Das Ergebnis ist ein Ziegelstein von Buch. Ganz wie sich das für einen Gegenstand gehört, dessen Symbolik – Schurz, Winkelmaß, Zirkel – dem Handwerk der Maurer und Steinmetze entlehnt ist.

Die Freimaurer sind jener durch Verschwiegenheit und Zeremoniell schillernde Männerbund, an dem sich seit Jahrhunderten immer wieder Verschwörungstheorien entzünden. Heute verfügen sie aber mit weltweit sechs Millionen Mitgliedern wie jeder andere Klub über Internetseiten mit Kontaktformularen, auf denen sie zu Kennenlerntreffen einladen. Auch in Berlin.

Die Freimauer prägten die Mittelschichtswelt von heute

Dickie lehrt am University College London und hat bereits zu einem anderen exklusiven Männerbund mit ungleich weniger hehren Zielen publiziert: der Mafia. Sie ist ein degenerierter Ableger der „Carbonari“-Bewegung. Und die aus der Freimaurerei hervorgegangenen Carbonari wiederum, die im Königreich Neapel den Umsturz probten, waren der gefürchtetste Geheimbund im Italien des 19. Jahrhunderts.

Solche, manchmal bis in die Gegenwart reichenden Wirkungsgeschichten, zählen zu den spannendsten Kapiteln in Dickies ungemein dichter und detailreicher Darstellung der mehr als 300 Jahre umfassenden Historie. Wobei die These, nach der es „der Verdienst – aber auch die Schuld – der Freimaurer“ sei, „wenn wir heute in einer männlich geprägten Welt der Mittelschicht leben“ reichlich steil anmutet.

Auch der erklärte Nicht-Freimaurer Dickie erliegt gelegentlich der Versuchung, den Mythos weiterzuspinnen, den er zu enthüllen trachtet. Das verraten Sätze wie: „Das Geheimnis der Freimaurerei ist reicher als alles, was sich sonst enthüllen ließe.“

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Im angelsächsischen Infotainment-Ton, in den Dickie als Farbtupfer immer wieder packende historische Szenen einflicht, gelingt ihm eine differenzierte, dokumentenbasierte Darstellung, die Mythen der Freimaurer selbst wie auch die ihrer Gegner dekouvriert. So führt der Männerbund seine Entstehung auf Steinmetz-Gilden nobler mittelalterlicher Kathedralbauten zurück – nach Dickie nur eine schicke Legende.

So vollständig allerdings, wie es die Verlagswerbung für die „erste umfassende Geschichte“ der Freimaurer verheißt, ist seine chronologische Darstellung ohne Fußnoten, die Quellen nur in der kommentierten Bibliografie nennt, nicht. In seinen 17 Kapiteln widmet sich Dickie eingangs den am schottischen Königshof des 17. Jahrhunderts zu suchenden Wurzeln des Bundes, dessen offizielle Gründung in London auf 1717 datiert.

Der Fokus liegt auf Ländern, die für die Freimaurerei wichtig waren

Dann konzentriert er sich auf die für die Entwicklung der Freimaurerei bedeutsamen Länder Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und vor allem die USA. Ehemalige britische Kolonien wie Indien und europäische Länder wie Russland und Deutschland, wo Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich der Große zur Bruderschaft zählen, werden nur gestreift.
Immerhin kommt die noch wildere Verschwörungstheorien zeitigende deutsche Variante des Geheimbundwesens vor: die Illuminaten. 1776 gegründet von Adam Weishaupt, einem aufklärerischen Universitätsprofessor aus Ingolstadt, der, von der mangelnden politischen Wirksamkeit der Freimaurer-Ideale Brüderlichkeit, Toleranz und Vernunft enttäuscht, seine eigene gewaltlose Verschwörung anstrebte.

Illuminaten sollten Freimaurer unterwandern

Die Illuminaten sollten Freimauerlogen unterwandern und Regierungen aufklärerisch infiltrieren, auf dass „Fürsten und Nationen friedlich vom Erdboden verschwinden“ und der Weg für eine der Vernunft verpflichtete Menschheitsfamilie bereitet werde. Dumm nur, dass der ungare Plan 1783 aufflog und der Bund als „verräterisch und religionsfeindlich“ verboten wurde und prompt zerfiel.
Es sei eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der glücklose Weishaupt einen so umfassenden Verschwörungsmythos in die Welt gesetzt und „dazu beigetragen habe, dass die Verschwörungstheorie heutiger Prägung überhaupt entstehen konnte“, schreibt Dickie.

Und legt den Mechanismus dar, mit dem konservative Geistliche und Akademiker eine regelrechte Illuminatenpanik herbeifantasierten und damit autokratischen Regierungen Stichworte lieferten, um hart gegen Freimaurer und liberale Ideen jedweder Art vorzugehen. Merke: Der autoritäre Trick, Angst zu instrumentalisieren, ist so alt wie Verschwörungstheorien.

Freimauerzier. Der Orden der Johannisloge "Teutonia zur Weisheit".
Freimauerzier. Der Orden der Johannisloge "Teutonia zur Weisheit".

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

In diesem Spiel ist auch die katholische Kirche bewandert, deren Inquisition die Freimaurer des 18. Jahrhunderts genauso auf dem Kieker hatte, wie in den 1980er Jahren Kardinal Ratzingers Glaubenskongregation. Einer der wichtigsten Propagandisten einer masonischen – also freimaurerischen – Weltverschwörung ist Abbé Augustin de Barruel, der in seinen „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus“ 1797 die Freimaurerei sogar für die Französische Revolution verantwortlich macht.
Das Misstrauen der Kleriker gegenüber Maurern, die das – längst nicht immer eingehaltene – Ideal religiöser Toleranz propagieren, treibt auch im Jahr 2013 noch Blüten. Da raunt der liberale Papst Franziskus in einem Interview von einer „masonischen Lobby“, die im Geheimen gegen die Kirche arbeitet.

Selbstveredelung, Toleranz, Weltverbesserung

Die Fama von der angeblichen Gefährlichkeit der in Logen organisierten und von gewählten Großmeistern geführten Freimaurer steht im Widerspruch zu ihrem von Dickie ausführlich erläuterten Wesen: eine Männern vorbehaltene Gemeinschaft mit schwülstiger Philosophie, die sich der Selbstveredelung, Toleranz und Weltverbesserung verschrieben hat. Vor allem die Verpflichtung zur Verschwiegenheit schuf Exklusivität und faszinierte. Für quasireligiösen Theaterdonner sorgte der 33 Grade umfassende „Schottische Ritus“ der Initiation.

14 US-Präsidenten waren Freimaurer

Die Männerbündelei zog zuerst vornehmlich aufklärerisch und republikanisch gesinnte Handwerker, Geschäftsleute, Akademiker und mit steigendem gesellschaftlichem Prestige auch verstärkt Adelige, Regierungsbeamte und Staatsmänner an. Angefangen mit Großmeister George Washington, der 1793 die Grundsteinlegung des Kapitols in Washington als festliche Freimaurer-Zeremonie begeht, weisen allein die Vereinigten Staaten 14 Freimauer unter ihren Präsidenten auf. Zur Bruderschaft gehörten auch Winston Churchill, Simon Bolívar, Robert Burns, Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn, Duke Ellington, Peter Sellers, Nat King Cole, Oscar Wilde, Walt Disney und Astronaut Buzz Aldrin.

[John Dickie: Die Freimaurer - Der mächtigste Geheimbund der Welt. Aus dem Englischen von Irmengard Gabler. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2020, 544 S., 26 €.]

Was Dickies Recherche über die Freimaurerei hinaus interessant macht, sind die vom ihm beschriebenen Verflechtungen mit der Weltpolitik: Wie sich die heterogenen, auch untereinander vielfach zerstrittenen Freimaurer zu Republikanern, dann zu Patrioten, konservativen Nationalisten und in Spanien, Deutschland und Italien zu Gegnern wie Unterstützern des Faschismus entwickeln. Wie sie nicht nur ehrbare Bürger, sondern auch Esoteriker, Okkultisten und Glücksritter wie Giacomo Casanova anziehen.

Rudyard Kipling und Arthur Conan Doyle verbrämen den Kolonialismus

Mit ihren Idealen und Geschäftstalenten bekleiden sie eine identitätsstiftende Rolle beim „Nation Building“ der jungen USA. Maurer wie Arthur Conan Doyle und Rudyard Kipling verbrämen in Texten und Gedichten den britischen Imperialismus als „Weltzivilisierung“. Und dann sind da noch der die eigenen Ideale konterkarierende Rassismus, der Afroamerikaner nicht davon abhielt, eigene Logen zu gründen, die wiederum die schwarze Bürgerrechtsbewegung voran brachten. Und der Sexismus eines Männerbundes, der – von untergeordneten Anhängsellogen abgesehen – bis 2010 keine Frauen zugelassen hat. Und das seither auch nur in Frankreich tut.

In Italien flog die Skandal-Loge P2 1981 auf

In diesem Geflecht sehen die heute unter Nachwuchsmangel leidenden Freimaurer oft eher gestrig statt gut aus. Zumal Mitglieder mitunter nicht nur immaterielle Ziele verfolgten, sondern durchaus ökonomische und politische Macht anstrebten. Schlimmstes Beispiel aus jüngerer Zeit ist der 1981 aufgeflogene Skandal um die von Licio Gelli geführte kriminelle Loge Propaganda Due, genannt P2, zu der auch Silvio Berlusconi und andere Medienzaren, aber vor allem etliche italienische Minister und Abgeordnete gehörten.

Vier Jahrhunderte männlicher Überspanntheit?

Wie eine jüngere Studie spekuliere, schreibt John Dickie im letzten Kapitel, könnten „Verschwörungstheorien die Hysterie der Männer sein“. Und sinniert dann selbstironisch, dass sein Buch womöglich den Untertitel „Vier Jahrhunderte männlicher Überspanntheit“ verdiene.

Angesichts des paranoiden Geweses rund um die Freimaurerei ist da wahrlich etwas dran. Wäre da nur nicht dieses irreale Bedürfnis der Menschen nach Gemeinschaft, Ritual und höherem Sinn.

Zur Startseite