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75 Jahre Kolbe-Museum: Blick in die Jubiläumsausstellung „Tea and Dry Biscuits“.

© Enric Duch

Kathleen Reinhardt im Porträt: Die Madeleine unter Glas

Museumsdirektorin, Biennale-Kuratorin, Kolbe-Exegetin: Kathleen Reinhardt bleibt auch nach den Auseinandersetzungen um NS-Raubkunst im eigenen Garten unerschrocken.

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Im Café Benjamine herrscht schon morgens Betrieb. Das Restaurant im ehemaligen Wohnhaus von Georg Kolbes Tochter hat sich zu einem Hotspot im Westend entwickelt. Längst kommen nicht nur Besucher des Bildhauer-Museums in das nach Kolbes verstorbener Frau benannte Café. Im Geschoss darüber breitet sich dagegen erstaunliche Ruhe aus, das Licht fällt gefiltert durch die Kiefern im Garten herein.

Doch bevor sich Direktorin Kathleen Reinhardt, deren Büro sich hier oben gleich neben der Bibliothek befindet, zum Gespräch an den langen Tisch setzt, will sie durch die Jubiläumsschau im Nachbargebäude führen. Vor genau 75 Jahren wurde das ehemalige Atelier des Künstlers als erstes Museum Berlins eröffnet, rundum lag die Stadt vielerorts noch in Trümmern.

„Tea and Dry Biscuits“ hat Kathleen Reinhardt die Ausstellung genannt, in Anspielung auf ein Zitat im „Guardian“, der über die Trauerfeier für den Bildhauer berichtete, auf der Tee und trockenes Gebäck gereicht wurden. Seinen künstlerischen Nachlass samt Atelier und Wohnhaus hatte Kolbe in eine Stiftung eingebracht und der Stadt vermacht. Drei Jahre nach seinem Tod fand weihevoll die erste Ausstellung statt.

Direktorin des Georg-Kolbe-Museums und 2026 Kuratorin des Deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig: Kathleen Reinhardt.

© dpa/Diana Pfammatter

Ein gewisser Schalk spricht nun aus der Titelwahl, mag die exzellent kuratierte Ausstellung auch manchem spröde erscheinen, die Kolbe-Skulpturen aus der damaligen Eröffnungsschau mit Werken zeitgenössischer Künstler kombiniert. Kathleen Reinhardt strebt sogleich zu ihrem Lieblingswerk, einer Madeleine auf dem Kaminsims, die der israelische Künstler Itamar Gov unter einem Glassturz aus dem 19. Jahrhundert platziert hat.

Das in Tee getunkte Gebäck, das die Erinnerung des Erzählers in Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ stimuliert und zugleich eine der meistzitierten Passagen der europäischen Literatur ist, steht auch hier für eine Rückkehr in die Vergangenheit. Allerdings stülpt Itamar Gov eine gläserne Haube darüber, sodass die Madeleine zum geruchlosen, entrückten Schaustück wird, typisch Museum eben.

Die Verstrickungen der Künstler

Das schöne Objekt demonstriert zugleich, wie Kathleen Reinhardt immer ein, zwei Ecken weiterdenkt und ebenso die Auseinandersetzung mit Georg Kolbes Vergangenheit weiter nach vorne schiebt. Seit Kolbes schriftlicher Nachlass vor fünf Jahren aus dem Besitz der Enkeltochter in Kanada ins Museum kam, beschäftigt sich die Forschung intensiv mit seinen Annäherungen an die Macht während des Nationalsozialismus.

Dass sich auch das Publikum zunehmend für die Geschichte hinter den Werken interessiert, die Verstrickungen der Künstler, erlebte Reinhardt bei ihrer Ausstellung zu Tilla Durieux, der zweiten seit ihrem Amtsantritt Ende 2022.

Ihrem eigenen Ansatz kommt dies entgegen, denn die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin will die Geschichten im Museum komplexer erzählen. „Wir arbeiten nicht mehr hinter verschlossenen Türen“, sagt sie. „Es gibt keine Oberhoheit der Institutionen mehr.“ Für die Mittvierzigerin stellt sich das Museum heute als forschender Ort dar, dessen Erkundungsprozesse verschiedene Parteien vorantreiben: Kuratoren, Künstler, Wissenschaftler, das Publikum selbst.

Blick in die Sonderausstellung zum Tänzerinnen-Brunnen im Untergeschoss des Museums.

© Enric Duch

Dass nicht alle ihr so schnell folgen können, erfuhr sie beim Forschungsprojekt zum Tänzerinnen-Brunnen im Garten. Als vor wenigen Wochen die NS-Raubkunst-Affäre über Kathleen Reinhardt hereinbrach, nahm die „Berliner Zeitung“ sie damit in Schutz, „ein paar Monde weiter“ zu sein.

Die Direktorin hatte es in der ansonsten tadellos aufklärenden Ausstellung zum Brunnen-Vorbesitzer und seinem Schicksal im Untergeschoss des Museums ebenso wie in der begleitenden Publikation versäumt, die präzise Bezeichnung „NS-verfolgungsbedingter Entzug“ zu benutzen. Auch auf der geplanten Plakette am Brunnen wäre diese eindeutige Benennung nicht vorgekommen.

Auf der Website des Museums verweist inzwischen ein „Breaking News“-Laufband auf das Statement des Kuratoriums der Kolbe-Stiftung zum Tänzerinnen-Brunnen: Das Museum sehe sich in seinem Handeln klar den Washingtoner Prinzipien verpflichtet, heißt es darin.

Ja, was denn sonst, scheint Kathleen Reinhardt die Aufregung immer noch nicht ganz zu verstehen. „Es gab nie eine böse Absicht“, stellt sie richtig. Einer Restitution sieht sie gelassen entgegen: Man könne einzelne Teile des Brunnens nachgießen lassen oder über eine Leihgabe mit den Nachfahren des früheren jüdischen Besitzers verhandeln. „Jetzt sprechen erst einmal die Anwälte miteinander.“

Ähnlich robust erklärt sie, bei der Aufregung um ihre vermeintliche Haltung als Museumsdirektorin keinen Schaden genommen zu haben. Auch nicht für ihren anderen Job, der im kommenden Jahr auf sie wartet. Im Gegenteil!

So kerzengerade, wie sie dasitzt und ihre Augen durch die eckige Brille funkeln, glaubt man es ihr sofort. 2026 wird Kathleen Reinhardt den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig kuratieren, eine ehrenvolle Berufung durch das Institut für Auslandsbeziehungen.

Die Auseinandersetzungen um den Tänzerinnen-Brunnen seien eher eine gute Vorbereitung gewesen, um sich zu überlegen, von welcher Seite die Zugriffe kommen könnten, gibt sich Kathleen Reinhardt kämpferisch. Vor allem konservative Medien attackierten sie.

Als Kuratorin bei den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden erlebte sie schon zuvor, wie sich Stimmungen gegen ein Museum aufbauen können. Damals wurde dem Albertinum unterstellt, es würde die DDR-Kunst verbannen. Die Sorge um Besitzstände, Interpretationshoheiten spielte hinein.

Doch Reinhardt ist schon weiter. Stolz blitzt durch, als sie davon erzählt, wie sie sich mit ihrem Konzept für den Deutschen Pavillon gegen sechs andere Kandidaten durchsetzen konnte. Ende Mai gab sie ihre Auswahl bekannt: zwei Künstlerinnen, wie sie aus der ehemaligen DDR, Henrike Naumann und Sung Tieu.

Die Reaktionen reichten von Begeisterung über ein solch klares Statement bis zu Skepsis angesichts des „identitätspolitischen Trichters“, den das „Art Magazin“ in Hamburg befürchtete. Schon wieder so ein Begriff aus den Neunzigern, ärgert sich die Pavillon-Kuratorin und führt aus, was ihre Kombination einleuchtend macht.

Sie alle drei, Künstlerinnen und Kuratorin, seien Millennials und hätten im Jahrzehnt nach dem Mauerfall erlebt, wie prägend damals in Ostdeutschland die Neonazis waren. Sie selbst ist in Sangerhausen geboren und wuchs seit ihrem zehnten Lebensjahr in Bayern auf.

Die jüngsten Wahlsiege der AfD kämen für sie alle nicht überraschend. Genau diese Erfahrungen möchte Reinhardt in den Deutschen Pavillon einbringen, der durch seine besondere Historie anders als bei allen anderen Ländern in Venedig stets um sich und das Nationale kreist.

Die Drei für den Deutschen Pavillon in Venedig: die Künstlerinnen Henrike Naumann und Sung Tieu sowie Kuratorin Kathleen Reinhardt (von links).

© Victoria Tomaschko

Mit Henrike Naumann, die als Kurzzeit-Stipendiatin der Villa Massimo in Rom auf Recherche nach Möbeln gehen wird, um sie dann mit ihrem bekannten Mobiliar früherer Installationen zu kombinieren, und Sung Tieu, die sich gerade mit Historikern über Venedigs Geschichte austauscht, will Reinhardt dem Deutschen Pavillon einen neuen „Twist“ verleihen. Die gebrochenen Identitäten der Ostdeutschen seien bisher zu wenig wahrgenommen worden, sagt sie.

Diese Fokussierung auf dem weltumspannenden Terrain der Biennale di Venezia verblüfft. Und doch muss man sich keine Sorgen machen, denn Reinhardt hat es stets verstanden, den Bogen ins Internationale zu schlagen. In Dresden zeigte sie die Verbindung zwischen der DDR und der US-Aktivistin Angela Davis sowie in einem weiteren Ausstellungsprojekt zu den sozialistischen Bruderländern.

In Berlin bildet für sie Georg Kolbe nunmehr den Ausgangspunkt. Der zweite Teil der Jubiläumsausstellung (ab 9. Oktober) widmet sich dem Fotografen Herbert List, der den Bildhauer als Letzter vor seinem Tod porträtierte.

Während seines Exils in Griechenland fotografierte List männliche Akte vor Antiken, deren Körper er homoerotisch inszenierte. Die Bilder werden konfrontiert mit Skulpturen von Kolbe aus der gleichen Zeit, die jedoch zunehmend härter, muskulöser wurden, entsprechend der NS-Ästhetik. Ungebrochen wird auch Kolbe nicht mehr zu haben sein.

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