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Thema

Klassik

Ob einem Pianisten Schumanns "Sinfonische Etüden" gelingen werden, entscheidet sich meist schon ganz zu Anfang: Spielt er das schlichte Grundthema zu lapidar, weckt es keine Neugier auf die nachfolgenden Variationen - spielt er es zu interessant, verliert es seine Funktion als bloßes Grundmaterial für die schöpferische Phantasie des Komponisten. François-René Duchable trifft bei seinem Recital im Kammermusiksaal genau den schmalen Grat zwischen beiden Absturzgefahren.

Als die Hochschule der Künste vor zwei Jahren zum ersten Mal ihr European Piano Forum veranstaltete, war das künstlerische Ergebnis eine kleine Sensation in der sonst eher ereignisarmen Berliner Klavierszene. Zehn Tage lang Klavier pur auf höchstem Niveau - eine solche Dosis gab es bislang nur bei einer Handvoll über den Kontinent verstreuter Klavierfestivals.

Der Dirigent Bruno Weil führt eine Art künstlerische Doppelexistenz. Über die Stationen Wiesbaden, Braunschweig, Augsburg und Duisburg hat er sich zu einem angesehenen Kapellmeister hochgearbeitet; zugleich wird er - vor allem wegen seiner Zusammenarbeit mit dem kanadischen Ensemble "Tafelmusik" - als Spezialist für historische Aufführungspraxis der Wiener Klassik international gefeiert.

Angesichts der Hundertschaften Klavier spielender Japanerinnen, die regelmäßig Preise bei internationalen Wettbewerben abräumen und anschließend sofort wieder in der Versenkung verschwinden, ist der Erfolg von Mitsuko Uchida doppelt bemerkenswert: Seit etwa fünfzehn Jahren gehört sie zu der kleinen Gruppe von Pianisten, deren Persönlichkeit sich bei einem großen Publikum als etwas Besonderes eingeprägt hat. Nicht nur durch ihr kristallines, linienbetontes Klavierspiel, sondern auch durch ihr so ganz unjapanisch wirkendes impulsives Temperament, das in Musikfilmen und Talkshows immer wieder fesselt: Erst barfuß mit chaotisch verwirbeltem schwarzen Haarschopf am Klavier, dann im Gespräch mit weit ausholenden Gesten, voller Emphase und ansteckender Begeisterungsfähigkeit von der Größe Mozarts, Schuberts und Debussys schwärmend.

An Deutschlands Opernhäusern grassiert eine Krankheit: Premierenschwund heißt sie. Bis auf Berlins Lindenoper - mit sieben Neuproduktionen noch im gesunden Bereich - leiden bereits alle großen Musiktheater der Republik an diesem Übel; besonders betroffen sind Leipzig, Dresden und Stuttgart, deren Premierenfrequenz in der anbrechenden Spielzeit den lebensbedrohlichen Wert von vier aufweist.

Oha: "Goethe war ein Weiser, ein Meister des Reims, viele seiner Werke sind noch heute Nummer eins". Das Klassik-Merchandising der Kulturstadt Europas 1999 hat zum Goethe-Nietzsche-Gedenkjahr die Crème deutscher Rapper (Bürger Lars Dietrich) und Rauner (Joachim Witt) zusammengetrommelt, um den Kids der Viva-Generation das kulturelle Erbe näherzubringen.

Der schönen Isaure geht es in André Ernest Modest Grétrys Oper "Raoul Barbe-bleu" aus dem Jahr 1789 nicht anders als den übrigen Frauen Blaubarts: Auch sie muss natürlich das streng verbotene letzte Zimmer Blaubarts öffnen, weil sie ihren Wissensdurst nicht beherrschen kann. Klar, dass der enttäuschte Ritter auch bei Grétry seine Gattin ermorden will - als gerechte Strafe für ihre Neugier.

Von Uwe Friedrich

Nike Wagner zählt zu den interessantesten Kandidaten für die Nachfolge des Bayreuther Festspielchefs Wolfgang Wagner. Die 1945 als drittes Kind des Wolfgang-Bruders Wieland Wagner geboren Nike studierte Theater-, Musik- und Literaturwissenschaft und promovierte 1973 über Karl Kraus.

"Erleuchtungen" erlebt man an diesem Abend im Kammermusiksaal der Philharmonie: "Les Illuminations" heißt das Werk für Gesangsstimme und Streichorchester von Benjamin Britten aus den Jahren 1937-39. Und leuchtend ist auch das Klangerlebnis auf der Bühne.

Ein schöner Rahmen für eine schöne Frau: Cecilia Bartolis umjubelter erster Auftritt mit dem Berliner Philharmonischen Orchester und Daniel Barenboim beim "Mozartfest" wurde flankiert von zwei Werken, die jeweils eine Seite der Diva spiegelten.Mit der Uraufführung eines ganz überraschend zarten, ja zärtlichen Stücks zeitgenössischer Musik begann der Abend.

Von Ulrich Amling

Den größten Moment hat dieses Osterkonzert im Konzerthaus da, wo er sein soll: Wenn am Ende Roman Trekel sich mit seinen verklingenden "Ewig, ewig"-Zeilen aus diesem Lied von der Erde verabschiedet, transzendiert Mahlers Musik in ein lichtes Nichts, verflimmert die Musik im Goldgewirk von Mandoline und Celesta, hat die Musik des 19.Jahrhunderts nichts mehr zu sagen.

Wie soll das enden? Es sind die letzten Takte eines Konzertes, die magische Wirkung besitzen: Sie lassen vorangegangenes Ringen jubelnd hinter sich oder senken plötzliche Dunkelheit über sonnige Landschaften.

Von Ulrich Amling

Gibt es eine Krise der Neuen Musik? Die sich vor allem im Desinteresse des breiten Publikums, in der esoterischen Beschränktheit ausdrückt?

Von Isabel Herzfeld

Rafael Frühbeck de Burgos wird noch weitere drei Jahre Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) bleiben.Anläßlich der Vorstellung des RSB-Programms für die Saison 1999/2000 hob Dieter Rexroth, Intendant der Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH (ROC), die kontinuierliche Qualitätssteigerung unter Frühbecks Leitung hervor.

Heike Hoffmann, Musikvermittlerin, konzipiert seit 1987 das Programm der Musik-Biennale, Berlins "Fest für Zeitgenössische Musik".1958 in Wismar geboren, arbeitete sie nach dem Theaterwissenschafts- und Kulturwissenschafts-Studium an der Humboldt-Universität zunächst bei Konzertagenturen, bevor sie als Dramaturgin zum Komponistenverband der DDR wechselte.

Wer auf Platz eins der Klassik-Hitliste landet, der könnte den Eindruck erwecken, er füttere sein Publikum mit Ohrwürmern.Davon war im Programm, das Emmanuel Pahud, der Soloflötist der Berliner Philharmoniker, und sein französischer Klavierpartner Eric le Sage im Kammermusiksaal präsentierten, ganz und gar nichts zu entdecken.

Schon eine ganze Weile steht der jüdische Straßenjunge an der Ecke und bietet Zigaretten feil.Ach, bitte, kauft meine "Papirossn", bettelt er: Ich bin eine arme Waise und werde von der Parkbank, auf der ich schlafe, Nacht für Nacht vertrieben .

Was ist der Unterschied zwischen dem Bundesland Brandenburg und Joghurt? Joghurt hat lebende Kulturen.

Von Frederik Hanssen

Die Angst vor der eigenen Courage war spürbar, aber gebändigt von der sicheren Hand Leo Siberskis, der junge Musiker zu Höchstleistungen anspornen kann.Musik-Amateure aller Fakultäten sind vereinigt, um als Sibelius Orchester im Kammermusiksaal konzertreif aufzutreten.

Die Tragödie, ein Pausengespräch.Auf der Bühne des Niedersächsischen Staatstheaters Hannover hat Hermann Feuchter das Foyer des Opernhauses nachgebaut: Mit klassizistischen Säulen, weißem Marmorboden, Kübelpflanzen und Lampen im Geschmack der frühen Sechziger Jahre, als das Gebäude äußerlich neoklassizistisch rekonstruiert und innerlich kühl-modern ausgestaltet wurde.

Von Frederik Hanssen

"Achi" (Friechrich Achleitner) und "Rühm" (Gerhard Rühm) fahren auf einem Motorroller durch den Zuschauerraum, um anschließend auf der Bühne ein intaktes Klavier zu zertrümmern.Darf man Oswald Wiener glauben, so gefiel diese Szene dem Publikum des zweiten "literarischen cabarets" (programmatische Kleinschreibung!

Tom Astor lächelt schief unter dem Rand seines Stetsons hervor.Seit Wochen wirbt der deutsche Country-Star auf zahllosen Berliner Litfaß-Säulen für das "Country Christmas"-Konzert.

Nur das Geräusch der Fingerkuppen, die flink über die Stege flutschen, erinnert noch daran, daß man, zusammengedrückt auf den Holzbänken der Passionskirche, in einem Konzertsaal sitzt: Es wirkt wie das stetige Motorengeräusch eines Vehikels, das den Zuschauer in die Welt der inneren Imagination entführt.Marco Lohre und Marcus Jedowski greifen nacheinander zu insgesamt sieben verschiedenen Gitarren und geben jedem ihrer Stücke die besondere Klangfarbe.

Es war ein erhellender Vorgang, Gustav Mahlers "Vierte" am Sonntag nachmittag als sinfonischen Abschluß jüdischer Kulturtage von den Berliner Symphonikern in der gut besuchten Philharmonie unter ihrem israelischen Chefdirigenten Lior Shambadal zu hören.Shambadal zelebrierte das Werk mit innerem Feuer, aber ohne Hysterie und gigantomanische Züge.

Wer "Winter Words" auf das Programm des Benjamin-Britten-Geburtstagskonzertes im Kammermusiksaal des Konzerthauses stellt, sollte den Zyklus auch auswendig singen können.Wer diesen Aufwand scheut und sich dann auch noch wie der Tenor Scot Weir ein Notenpult vor den Flügel stellen läßt, gerät schnell in die Gefahr, eine Meisterklasse abzuhalten: Seht her, so macht man das!

Von Uwe Friedrich

Fragt man im französischen Saintes nach, warum Philippe Herreweghes Musik-Festival die Zusammenarbeit mit dem RIAS-Kammerchor so intensiv ausbaut, erhält man die Antwort: Weil er einer der besten Chöre Europas ist.Kein anderer der fünf professionellen Chöre Berlins ist derzeit international so gefragt wie der kleinste und jüngste unter ihnen.

Wie flüssiges Blut spritzen die Wörter "crime" und "cry" aus ihrem Mund.Joséphine Evrard spuckt gleich noch einige unverständliche Sprachfetzen hinterher.

Man kommt nicht umhin, ihn zu mögen.Diesen älteren Herrn mit den leuchtenden Augen, der da so begeistert von seiner Musik erzählt.

Pietro Metastasios 300.Geburtstag läßt sich nur auf eine Weise feiern: indem man seine Opern aufführt.

Eigentlich hätte man, wie beim Jazz, gleich applaudieren müssen nach Heinz Holligers atemberaubender Kadenz im ersten Satz von Mozarts Oboenkonzert.So perfekt phrasiert, so elegant gespielt, so spannungsreich war Holligers Spiel, daß die natürliche Auflösung dieser Spannung spontaner Jubel gewesen wäre.

Von Uwe Friedrich
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