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Anna Erhard wuchs in schweizerischen Chur, Graubünden, auf und wohnt seit sechs Jahren in Berlin.

© Noel Richter

Vom Jam zum Song: Anna Erhard und ihr humorvoller Indie-Pop

Die Schweizer Musikerin Anna Erhard wohnt in Neukölln, wird in England gefeiert und bringt bald ihr drittes Soloalbum heraus. Am Samstag tritt sie beim Down by the River Festival in Berlin auf. Ein Porträt.

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Zusammen in den Urlaub fahren – die Freundinnen stellten sich das lustig vor. Doch schon während der ersten Woche wurde ihnen klar, dass das ein Trugschluss war. „Wir haben uns wegen allem in die Haare gekriegt. Die eine wollte da lang, die andere dort“, erinnert sich Anna Erhard an einem warmen Mai-Nachmittag vor einem Café unweit ihrer Neuköllner Wohnung. „Irgendwann haben wir uns sogar darüber gestritten, wer 1,70 groß ist.“ Heute lacht die Musikerin darüber, aber damals sei es eine ernsthafte Auseinandersetzung gewesen – und die Inspiration für einen Song.

Unter dem Titel „170“ hat Anna Erhard die absurde Urlaubsituation in äußerst vergnügliche drei Minuten Indie-Pop verwandelt. Über einen lockeren Zuckelgroove spricht sie die erste Strophe, in der es heißt: „You say you are the same height as me / But I’m 170 / And you’re half a head shorter than me / So how could that be?“ Im Refrain nehmen die E-Gitarren Fahrt auf und verleihen den nun gesungenen Zeilen Nachdruck, die in Richtung Eskalation deuten: „Let’s settle it! Let’s settle it! / 170! I bet on it! 5 foot 7 dear! / I bet all my money on it!“

Im angemessen abgedrehten Video läuft es auf eine Schlägerei zwischen Anna Erhard und einer anderen Frau hinaus. In der Realität antwortete die Freundin, eine Filmemacherin, mit einem seltsamen 15-Minuten-Song, zu dem sie ein Video mit Urlaubsbildern geschnitten hatte. Erhard bekam es als privaten You-Tube-Link zugeschickt. „Es ist ein ongoing battle“, sagt sie lachend. So wild wie bei der Fehde zwischen Drake und Kendrick Lamar wird es allerdings nicht werden, die Frauen sind weiterhin befreundet.

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Entstehungsgeschichte und Sound von „170“ sind typisch für die 34-jährige Anna Erhard, die im Schweizer Städtchen Chur aufwuchs und seit sechs Jahren in Berlin lebt. Zu den Texten wird sie häufig durch Erlebnisse angeregt, oft auch im Urlaub. Die Musik hingegen entsteht separat im Kreuzberger Studio des Musikers und Produzenten Pola Roy, der als Schlagzeuger der Berliner Band Wir sind Helden bekannt wurde.

In England reagieren die Fans intensiv auf die Texte

Regelmäßig treffen die beiden sich dort zu Sessions, probieren mit Modular-Synthesizern herum, basteln Loops und füllen viele digitale Ordner mit ihren Jams. Aus manchen wird nie etwas, doch einige wachsen zu Songs heran. Die passenden Lyrics dafür zu finden, kann herausfordernd sein, sagt Erhard. Und wenn die Musik bereits sehr melodisch ist, mag sie mit ihrem Gesang nicht noch mehr Melodieinformation dazupacken.

So kommt es, dass sie die Strophen mitunter einfach nur spricht. Was wiederum den Vorteil hat, dass man Erhards lakonischen Humor besser mitbekommt. Etwa in dem Ende März erschienenen Song „Botanical Garden“, der von einem miesepetrigen Typen handelt, der einem Botanischen Garten aus völlig beknackten Gründen eine schlechte Online-Bewertung gibt: nicht genug Koi-Karpfen, deprimierte Pfaue – und Blumen pflücken durfte man auch nicht!

Wie „170“ ist „Botanical Garden“ eine Vorabsingle von Anna Erhards im Herbst erscheinendem dritten Album, das ebenfalls den Titel „Botanical Garden“ tragen wird. Einen Eindruck davon gibt es am Samstag beim Down by the River Festival in Friedrichshain, wo sie zusammen mit ihrer kleinen Band auftreten wird. Zuvor ist das Trio in England unterwegs, wo es sich bereits im vergangenen Jahr eine Fan-Gemeinde erspielt hat. Es sei ihre beste Tour bisher gewesen, sagt Erhard. „Die Leute reagieren so krass auf die Texte, lachen laut, rufen rein. Das fand ich total super.“

Dass die Musik der Schweizerin, die in ihrer Jugend ein großer Coldplay-Fan war, auf der Insel ankommt, ist leicht nachvollziehbar, passt er doch gut zur dortigen Indie-Poplandschaft, in der momentan viele weiblich geprägte Acts wie Wet Leg, Marika Hackman, Dry Cleaning oder die etwas bombastischer agierenden Last Diner Party herausstechen.

In Chur habe sie als Jugendliche keine Frauen als Vorbilder gehabt, erzählt Erhard. Es gab nur eine Jungsband und keinerlei Anknüpfungspunkt. Erst als sie mit 22 für einen Austausch in Neuseeland ist, meldet sich ihr Bedürfnis, Musik zu machen, wieder, sie besorgt sich eine Gitarre und beginnt, Songs zu schreiben.

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Zurück in der Schweiz gründet Erhard, die Scout Niblett, Thao and the Get Down Stay Down und This is the Kit zu ihren Inspirationen zählt, mit einer Gruppe von Straßenmusiker*innen 2013 in Basel die Band Serafyn. Ungewöhnlich besetzt mit zwei Celli und drei Sängerinnen veröffentlichen sie zwei folkige Alben. Für „Foam“, die 2017 veröffentlichte letzte Platte, engagieren sie Pola Roy als Produzent. Als die Gruppe schließlich zerbricht, zieht Erhard nach Berlin, auch weil sie weiter mit ihm zusammenarbeiten will. Inzwischen gut befreundet, nennt sie ihn eine Konstante in ihrem Leben. „Später gehen wir noch zusammen ins Yoga“, erzählt sie.

Pola Roy hat sowohl ihr Debüt „Short Cut“ (2021) als auch den Nachfolger „Campsite“ (2022) produziert, beides letztlich Pandemie-Platten. Nun folgt mit „Botanical Garden“ – ganz ohne Covid-Unbill – also ihre dritte Kooperation. Es werde diesmal viel um das Thema Vermessen gehen, verrät Erhard: „Fast alles wird heute in Zahlen ausgedrückt, in Ratings, Klicks und Likes“. Da kann auch die Frage, wer nun 1,70 Meter groß ist, schon mal den Urlaub versauen – und zu einem kreativen Battle führen.

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