
© © Urheberrechte am Werk erloschen, Repro: Berlinische Galerie
Zum Tag der Provenienzforschung: Auf den Spuren der Gemälde
Wolfgang Schöddert, Provenienzforscher der Berlinischen Galerie, gräbt in den Tiefen der Archive. Dabei bringt er Bilder und Vorbesitzer wieder zusammen.
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Das muss ein aufregender Moment gewesen sein, als Wolfgang Schöddert die Postkarte entziffert hatte. Sie gab dem Provenienzforscher der Berlinischen Galerie den entscheidenden Hinweis darauf, dass der fünfteilige Jugendstil-Zyklus „Tempeltanz der Seele“ des Malers Fidus eben doch nicht rechtmäßig dem Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur gehörte.
Auf der Karte stand in krakeliger Handschrift, dass der Fidus-Schüler Joachim Giesche, über den die Berlinische Galerie den Zyklus in ihrer Gründungsphase gekauft hatte, ihn zuvor „von dem jüdischen Erben Neuhäuser nach 1933“ erworben habe. Die lückenlose Übergabe der Gemälde vom Lehrer an den Schüler – wie bisher angenommen – war damit dahin. Bei Schöddert läuteten die Alarmglocken: also „NS-verfolgungsbedingt entzogen“. Ein Fall von Raubkunst lag plötzlich vor.
Der Provenienzforscher begann daraufhin die Familiengeschichte des Vorbesitzers zu recherchieren und machte sich auf die Suche nach den Nachfahren. In Australien stieß er schließlich auf eine Enkelin des Trikotage-Fabrikanten Richard Neuhäuser, der sich 1935 verzweifelt das Leben genommen hatte. Der Zyklus wurde restituiert und vom Museum zurückerworben, er durfte bleiben: ein Glück für die Berlinische Galerie, ein später Trost für die Nachfahren.

© Harry Schnitger
Diese Geschichte einer Odyssee wird nun wieder erzählt unter dem Titel „Provenienzen – Kunstwerke wandern“. Anlässlich des Gründungsjubiläums der Berlinischen Galerie stellen sich nacheinander alle Abteilungen des Hauses vor; am 9. April wird die neu arrangierte Dauerausstellung „Kunst in Berlin 1880 –1980“ eröffnet. Wolfgang Schöddert hat zuvor bereits den nordwestlichen Saal im Erdgeschoss für seine Präsentation bekommen.
An der gewaltigen Rückwand prangen achtzig Gemälde in Petersburger Hängung. Zu jedem lässt sich an drei digitalen Stationen der Forschungsstand abrufen. Insgesamt besitzt die Berlinische Galerie rund 8000 Werke, die vor 1945 entstanden sind und durchleuchtet werden müssen, für 1482 Gemälde, Skulpturen, Papierarbeiten ist der Beweis erbracht, dass sie nicht NS-verfolgungsbedingt entzogen sind. Die wenigsten Provenienzen sind so gradlinig zurückzuverfolgen wie beim Fidus-Zyklus, der gewaltige Arbeitsaufwand bei jedem einzelnen Werk lässt sich erahnen. Allein für die Klärung der Besitzverhältnisse der „Tempeltanz“-Bilder brauchte Schöddert zwei Jahre.

© © Urheberrechte am Werk erloschen, Repro: Berlinische Galerie
Da wären zum Beispiel die beiden Landschaftsbilder von Konrad-Alexander Müller-Kurzwelly ganz oben links an der Wand, die sich verblüffend ähneln. Der Titel des einen lautet „Abendstimmung an der Ostsee“, des anderen „Altes Gehöft am Strand von Rügen“; beide entstanden 1913. Normalerweise würden zwei Varianten eines Gemäldes im Museum kaum nebeneinander hängen. Aber hier machen sie evident, wie verwirrend manchmal die Suche sein kann, wenn Bilder doppelt existieren und ihre Titel sich im Laufe der Zeit auch noch ändern.
Der West-Berliner Kunsthandel ist ein großes schwarzes Loch.
Wolfgang Schöddert, Provenienzforscher
Wolfgang Schöddert wirkt dennoch nicht verzweifelt, sondern eher wie ein Arbeiter im Weinberg; schließlich macht er den Job an der Berlinischen Galerie seit bald zwanzig Jahren. Damals war er zur Tiefenerschließung des Archivs von Ferdinand Möller ans Museum geholt worden. Die Tochter des Galeristen, der während des NS-Zeit wie Hildebrand Gurlitt zu den vier offiziellen NS-Kunsthändlern gehörte, hatte es 1984 dem Museum gestiftet. Als Gegenleistung schrieb der Gründungsdirektor Eberhard Roters eine bis heute gültige Monografie über ihn.
Mit Schöddert aber begann die systematische Erforschung der Dokumente. Der Kölner Kunsthistoriker hatte zuvor als Assistent der Galerie Kewenig für den französischen Erinnerungskünstler Christian Boltanski ein wegweisendes Ausstellungsprojekt im Mönchengladbacher Abteilberg-Museum miterarbeitet. „Erwerbungen rheinischer Kunstmuseen in den Jahren 1933-1945“ lautete der Titel. Anfang der 1990er Jahre schauten die Museen nur ungerne genauer hin, woher ihre Schätze eigentlich kamen. Das sollte sich mit dem Gurlitt-Skandal, dem Auftauchen seiner privaten Sammlung, schlagartig ändern.
An den Arbeitsstrukturen müsste sich viel ändern
Wolfgang Schöddert brachte also die Expertise aus dem Handel mit, als er zur Berlinischen Galerie stieß, vor allem die Neugierde für die verschlungenen Wege der Werke, die Galerien und Auktionshäuser als Stationen durchlaufen, bevor sie zu ihren Besitzern gelangen. „Der West-Berliner Kunsthandel ist ein großes schwarzes Loch“, sagt er. „Wir wissen viel zu wenig darüber.“ Die Erschließung des Möller-Nachlasses aber offenbarte für viele Forscher auf einmal Verbindungen, die bislang fehlten. So lieferte die Berlinische Galerie den Schlüssel für die Restituierung des „Fehmarn“-Bildes von Ernst Ludwig Kirchner durch das New Yorker Museum of Modern Art an die Nachfahren des jüdischen Sammlers Max Fischer.
Trotzdem schüttelt Schöddert den Kopf. Seiner Meinung nach müssten viel mehr Händler-Nachlässe aufgearbeitet werden, um diese Informationen digitalisiert miteinander zu verbinden. Ihn ärgert, dass „auf hoher Temperatur“ über Schiedsgerichte und spektakuläre Fälle wie Picassos „Madame Soler“ in der Münchner Neuen Pinakothek diskutiert wird, sich aber an den Strukturen auf der Arbeitsebene wenig ändert.
Es scheint das Schicksal der Provenienzforschung zu sein, dass dieser Wissenschaftszweig im Hintergrund wirkt und dieses gewaltige Arbeitsgebiet für Museumsbesucher nur selten sichtbar wird. Eine Ausnahme ist die Ausstellung in der Berlinischen Galerie und einmal im Jahr der internationale Tag der Provenienzforschung, der am 9. April zum siebten Mal stattfindet.
Die Staatlichen Museen bieten ein umfangreiches Programm mit Führungen, die im Humboldt-Forum sogar bis zum 11. April weitergehen. Gemeinsam mit der Akademie der Künste, dem Jüdischen Museum, der Staatsbibliothek, der Stiftung Topographie des Terrors gibt es außerdem Provenienz-Spaziergänge entlang der Wilhelmstraße oder Unter den Linden. Dabei dürfte manche Überraschung, zwar nicht mehr für die Provenienzforscher, aber für die Teilnehmer zutage treten.
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