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Irgendwo in Brandenburg. Regisseurin Judith Lorentz und „Tatort“-Kommissar Udo Wachtveitl (Mitte, als Spekulant Konrad Meiler) bei der Hörspieladaption von Juli Zehs Erfolgsroman „Unterleuten“.

© rbb/NDR/Anja Schäfer

"Unterleuten" als Hörspiel: Alles Podcast oder was?

Sechs Stunden Hörspiel am Stück: Mit „Unterleuten“ wagt sich der RBB ans Binge-Listening. Eine Stimme hat man dabei besonders schnell im Ohr.

Konrad Meiler hat es nicht leicht. Wer will schon gerne Heuschrecke sein? „So was brauchen wir hier nicht!“, bekommt der bayerische Unternehmer und Spekulant auf einer Bürgerversammlung entgegengebrüllt. Er plant in einem Dorf in der Prignitz den Bau eines Windparks. Hinterher, auf der Fahrt durch die Provinz, geht dem Großstädter auch noch das Auto kaputt, irgendwo im Nirgendwo.

„So fangen doch immer Horrorfilme an“, murrt Meiler. Oder große Kunst. Werkzeuggeräusche, Vogelstimmen. Bienengesumm, Kinder im Hintergrund. Kino im Kopf. „Unterleuten“, der 2016 erschienene Roman von Juli Zeh, scheint viel Kreativität freizusetzen. Erst die Theateradaption, jetzt eine Hörspielfassung von Judith Lorentz, die am Tag der Deutschen Einheit eine ungewöhnliche Premiere feiert. Das RBB-Kulturradio sendet den zwölfteiligen Podcast in einem Stück, sechs Stunden, von zwölf bis 18 Uhr.

Binge-Listening sozusagen. Der Trend zum Podcast, zum Unterwegs-Hören mit mobilen Geräten, ist im klassischen linearen Radio angekommen. Es gibt ja kaum noch einen öffentlich-rechtlichen Sender, der nicht auch Podcast macht. Der digitale Markt für gut erzählte Geschichten soll nicht kampflos überlassen werden.

„Unterleuten“ läutet beim Rundfunk Berlin-Brandenburg nach dem Format „Christin und ihre Mörder“ die zweite Runde des Podcast-Kanals „RBB-Serienstoff“ ein. Das Hörspiel wird auf dieser Seite zum Download angeboten, für Leute, die sich so einen Mehrstünder doch lieber in Stücken und unterwegs anhören als daheim.

„Unterleuten“ ist ein fiktives Dorf weit im Nordwesten Brandenburgs. Felder, Sand, brandenburgischer Himmel, seltene Vogelarten, alteingesessene Bauern und zugezogene Großstädter, Pragmatiker und Naturromantiker. Als ein Investmentunternehmen dort eine Windpark bauen will, weckt das Begehrlichkeiten unter Alteingesessenen und Zugezogenen. Udo Wachtveitl als Meiler, Wolfram Koch, Axel Prahl, Jordis Triebel, Jaecki Schwarz, die Besetzung ist schon mal hochkarätig.

Stellt sich die Frage nach der Rezeption beziehungsweise Rezeptionsfähigkeit bei solch einem Projekt. Auf wessen Grund und Boden soll der Windpark stehen? Profite winken. Der Roman führt vor, dass es keine Wahrheit gibt, sondern immer nur Perspektiven.

Sprachlich eher konventionell gestrickt ist das hörspielmäßig trotzdem eine Herausforderung für die renommierte Regisseurin Judith Lorentz, die 2007 den Deutschen Hörbuchpreis für „Der Krieg der Knöpfe“ erhielt. Sie hat die Geschichte ganz aus der Perspektive der Hauptfiguren heraus entstehen lassen. Ohne Erzählerfigur. „Die Charaktere selbst sollten erzählen, im fingierten O-Ton wie in einer Interviewsituation.“

„Teilnehmer am Straßenverkehr waren schon immer gute ,Kunden'"

Lorentz hat die Schauspieler befragt, Gespräche geführt über Hintergründe und Anliegen der Figur, die sie spielen. „Nach einer Weile begannen die Schauspieler, aus der Logik ihrer Rolle heraus lebendig und frei zu erzählen. Es gab auch ausformulierte Texte zu bestimmten Themen in den Interviews, dabei habe ich mich aber eng am Text im Buch orientiert.“

Der erste Höreindruck: Der Verzicht auf eine Erzählerfigur mindert die Schwierigkeit des Zugangs nicht unbedingt. Die Aufnahmen fanden auch in einem Dorf in der Märkischen Schweiz statt. Darin Instrumentelles des Berliner Komponisten Lutz Glandien und vom Tonmeister Peter Avar, Stimmenwechsel, ein Auto-Navi spricht mit. Polyphonie, innere Monologe, Dialekte.

Natürlich hat man die bekannte Stimme des „Tatort“-Kommissars Udo Wachtveitl schneller im Ohr. Viele der eingestreuten Gedankensplitter, sagt Lorenz, sind von Juli Zeh. Einige habe die Macherin dazuerfunden, um die Charaktere noch zu schärfen. „Die größte Herausforderung war es, den Rhythmus herauszufinden. Die Balance zwischen Interviews, Szenen und eingestreuten Gedankenstimmen. Den Fluss der Szenen und das bewusste Brechen des Flusses.“

Eine ebenso maßlose, genuine Hörfassung wie zum Beispiel der „Moby Dick“ von Klaus Buhlert, im durchaus positiven Sinne. Lässt sich via MP3-Player/Podcast eigentlich adäquate, absolute Aufmerksamkeit erzeugen? „Ich bin mir nicht sicher, ob Binge-Listening impliziert, dass Hörspiele unaufmerksamer rezipiert werden als vorher“, sagt Judith Lorentz.

„Teilnehmer am Straßenverkehr waren schon immer gute ,Kunden‘ des Hörspiels. Dass unsere Arbeit häufig beim Fortbewegen – welcher Art auch immer – rezipiert wird, das sind wir gewohnt.“ Trotzdem gebe es natürlich auch die Hörspielgemeinde, die sich kaum zu atmen traut beim Zuhören. „Sie wollen nichts verpassen, sie sprechen mich auf Pausen an, auf eine bestimmte Vogelart, die sie in einer Atmo erkannt haben.“

Alles Podcast, alles gut also? Die Regisseurin ist froh, dass es einen weiteren und durchaus zeitgemäßen Verbreitungsweg gibt für ihre Hörspiele. „Ob sich der hohe Anspruch, den wir an die Hörer haben, mit Binge-Listening verträgt oder nicht, das wird sich zeigen.“ Sie habe schon von Bekannten gehört, dass die am 3. Oktober ihre Autofahrt ab Mittag so legen wollen, dass sie zumindest Teil eins bis drei hören können.

„Unterleuten“, RBB Kulturradio, Mittwoch, zwölf bis 18 Uhr

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