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Ukraine-Kredite und Mercosur-Abkommen: Friedrich Merz ist in Europa gescheitert – vorerst jedenfalls
Vehement setzte sich der Kanzler für die direkte Nutzung russischer Vermögen in der EU und für den Freihandels-Deal mit Südamerika ein. Die EU aber verwässert und verschiebt die Vorhaben.

Stand:
Als „stärkste Führungsmacht unter den europäischen Großmächten“ pries die „New York Times“ in dieser Woche den deutschen Bundeskanzler.
Wie relativ seine Macht in Europa ist, spürte Friedrich Merz am Donnerstag und am Freitagmorgen beim EU-Gipfel in Brüssel. Der Anführer der größten Wirtschaftsmacht der EU ist mit seinen beiden zentralen Anliegen gescheitert, vorerst jedenfalls.
Im Falle der in Europa eingefrorenen russischen Vermögen gelang es dem kleinen Belgien, Frankreich und Italien von seinen Bedenken zu überzeugen, und so die ursprünglichen Pläne der EU-Kommission – und von Merz – zu verhindern. Wie war das noch mit Merz als „stärkster Führungsmacht unter den europäischen Großmächten“?
Nach seinem gescheiterten Plan, die vor allem in Belgien festgesetzten Gelder der russischen Zentralbank direkt für Darlehen in Höhe von bis zu 210 Milliarden Euro einzusetzen, verkündete Merz: „Wie von mir gefordert erhält die Ukraine einen zinslosen Kredit über 90 Milliarden Euro.“
Vielleicht ist diese Lösung viel besser, weil risikoärmer, als der einst geplante und rechtsstaatlich fragwürdige direkte Zugriff auf Putins Milliarden. Doch mit seiner Schönfärberei versucht der Kanzler zu vernebeln, dass er sich im Konzert der 27 Staats- und Regierungschefs nicht durchsetzen konnte. Wollte er nicht, anders als sein glückloser Vorgänger Olaf Scholz, stets mit Frankreich Seite an Seite stehen?
Es war Merz selbst, der die Erwartungen zur direkten Nutzung russischen Vermögens geschürt, ja geradezu hochgejazzt hatte. Von einer „Schlüsselfrage unserer Handlungsfähigkeit“ sprach Merz noch am Montag. Misslinge dies, werde die Handlungsfähigkeit der EU „über Jahre“ oder noch länger „massiv beschädigt sein“.
Kurz vor dem Gipfel beschrieb der Kanzler die Chancen für seinen Vorschlag bei „fifty-fifty“. Im ZDF fragte er: „Wenn wir jetzt nicht springen, ... wann denn dann?“ Selbst in Brüssel tönte Merz, er sehe „keine bessere Option als genau die“, also seine Lösung.
Merz neigt dazu, hohe Erwartungen zu wecken, und zwar unabhängig davon, ob sie erfüllbar sind oder nicht. Stets mit Verve in der Stimme kündigt er Dinge an, die dann nicht, nicht ganz so oder eben gar nicht kommen – ob bei Bürgergeld-Einsparungen, Reformen oder nun der direkten Nutzung russischer Vermögen.
Mit seinem allzu verständlichen Drängen auf einen zügigen Abschluss des Mercosur-Abkommens ist Merz in Brüssel ebenfalls gescheitert. Im Oktober hatte Merz gar kontrafaktisch behauptet, „alle“ EU-Staaten hätten zugestimmt: „Einstimmig zugestimmt. Alle 27 haben zugestimmt …“
Das war weder im Oktober der Fall noch jetzt im Brüssel. Statt, wie geplant, am Samstag kann die EU das Freihandelsabkommen mit vier lateinamerikanischen Staaten (Verhandlungsbeginn: 1999) frühestens im Januar unterzeichnen. Noch am Donnerstag hatte Merz den Abschluss des Abkommens als Test für „die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union“ definiert. Diejenigen, die in der jetzigen Lage an großen Abkommen „kleinteilig herummäkeln“, hätten die Prioritäten nicht richtig verstanden.
Damit meinte Merz, unter anderem, seinen „Freund“ Macron, der sich mit Italien für eine Verschiebung ein- und durchsetzte. So groß waren Meloni und Macron selten in der EU. Und wie war das noch mit der „Handlungsfähigkeit der EU“?
Dem Kanzler fehlt oft die Geduld, und das Verständnis für langwierige, mühsame Entscheidungsfindungen. Diese Ungeduld ist sympathisch und nachvollziehbar; viele Bürgerinnen und Bürger dürften sie teilen. Doch Friedrich Merz zeigt eben auch, welche Erfahrung ihm fehlt. Jeder Regierungschef, ja, jeder Bürgermeister, weiß, wie viel Zeit es kostet, wie viele Kräfte es bindet, einen Konsens zu stiften. Merz ist Kanzler geworden, ohne diese Erfahrung gesammelt zu haben. Das ist ein Nachteil, aber kein No-go.
Wer aber beim Hochsprung sich selbst und anderen fortwährend die Latte so hochlegt, um sie anschließend zu reißen, wird auf Dauer politisch kaum erfolgreich sein.
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