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Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

© dpa/Kay Nietfeld

Waffenlieferungen an die Ukraine: Olaf Scholz und die List der Geschichte

Deutschland ist ein Hauptwaffenlieferant für die Ukraine. Dennoch wird der Bundesregierung oft Zögerlichkeit vorgeworfen. Sie könnte Selenskyj eines Tages als Blitzableiter dienen.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Ist Olaf Scholz ein notorischer Zauderer? Verrät Deutschland die Ukraine? Hat der Westen zu viel Angst vor Wladimir Putins Atomwaffen? In der Waffenlieferungs-Debatte geht es rhetorisch hoch her. Die Vorwürfe an die Adresse der Zögerlichen reichen von Führungsschwäche bis zu Appeasement.

Eine Frage indes wird kaum je gestellt: Kann der Eindruck, der mit großer Wortgewalt vermittelt wird – dass der Westen und insbesondere die Bundesregierung zu wenig tun, um der Ukraine zu helfen -, auch sinnvoll sein, obwohl jeder weiß, dass Deutschland ein Hauptwaffenlieferant ist? Macht der Kanzler womöglich etwas richtig, ohne selbst zu wissen, warum? Ein spekulativer Perspektivwechsel könnte erhellend sein.

Die Ausgangslage ist klar. Die Ukraine braucht westliche Waffen, um sich gegen die russische Aggression verteidigen zu können. Dabei ist die Unterscheidung in leichte und schwere Waffen, Schützen- und Kampfpanzer eher akademisch. Aus Sicht Moskaus ist die Nato längst Kriegspartei. Die Differenzierungen in Kampfpanzer westlicher und sonstiger Bauart vermindern nicht die Eskalationsrisiken.

Die Ukraine muss militärisch in eine starke Position gebracht werden

Doch kann die Ukraine mit Hilfe westlicher Waffen den Krieg gewinnen? Das hängt davon ab, wie der Begriff „Sieg“ definiert wird. Die Russen aus sämtlichen besetzten Gebieten zu vertreiben, Putin und seine Schergen vor ein Kriegsgericht zu bringen und Reparationszahlungen in dreistelliger Milliardenhöhe zu erhalten, dürfte unrealistisch sein. Weder Marder noch Geparden, weder Pumas noch Leoparden werden die Wahrscheinlichkeit eines Sieges in diesem Sinne signifikant erhöhen.

Bleibt die Notwendigkeit von Verhandlungen - nicht heute, nicht morgen, aber vielleicht überübermorgen. Dafür muss die Ukraine militärisch in eine starke Position gebracht werden. Das bedeutet Waffenlieferungen, so viel und so schnell wie möglich.

Dennoch wird Wolodymyr Selenskyj wohl Abstriche von jenen Zielen machen müssen, die einen Sieg umfassen. Er wird seine Bevölkerung einerseits für das Aushalten von Entbehrungen und Leid und seine Soldaten für die Erfolge auf dem Schlachtfeld ehren, andererseits aber jeden um Verständnis bitten, dass nicht alles erreicht wurde, wofür gelitten und gekämpft worden war. Das wird schmerzhaft sein.

Der Fingerzeig auf Deutschland kann entlasten

An dieser Stelle kommt die angeblich zögerliche Bundesregierung ins Spiel. Sie könnte Selenskyj als Blitzableiter dienen, nach dem Motto: Wir hätten mehr erreichen können, wenn schneller schlagkräftige Waffen geliefert worden wären. Vor allem von Deutschland. Würde er das glaubhaft vermitteln, wäre ein Mitschuldiger an den erzwungenen Kompromissen gefunden. Der Fingerzeig auf Deutschland und den Westen könnte ihn selbst entlasten und dadurch das Finden einer Verhandlungsformel erleichtern.

Es klingt spitzfindig, gar paradox, aber die Doppelung aus tatsächlichen Waffenlieferungen und dem Eindruck von zu großer Zögerlichkeit bei Waffenlieferungen könnte, langfristig betrachtet, die richtige Strategie sein. Der Ukraine wird auf dem Schlachtfeld geholfen, gleichzeitig kann sich die Regierung in Kiew für mögliche Rückschläge und künftige Verhandlungskompromisse selbst ein wenig aus der Verantwortung nehmen. Das wiederum würde die Akzeptanz einer möglichen Verhandlungslösung vergrößern.

Es ist nicht anzunehmen, dass der Bundeskanzler in seine Waffenlieferungspolitik solche strategischen Überlegungen einfließen lässt. Aber vielleicht macht er das Richtige, ohne zu wissen, warum. Der Geschichte sagt man nach, manchmal ziemlich listig zu sein.

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