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Palästinensische Kinder bei einer Essensausgabe in Gaza City am 1. August 2025

© Imago/Anadolu Agency/Abdalhkem Abu Riash

Dem Sterben Einhalt gebieten: Deutschland muss Kinder aus Gaza aufnehmen

Fünf deutsche Städte wollen verletzte und traumatisierte Kinder aus dem Gazastreifen aufnehmen und versorgen. Möglichst viele sollten sich ihnen anschließen. Aber das kann nur ein Anfang sein.

Margarethe Gallersdörfer
Ein Kommentar von Margarethe Gallersdörfer

Stand:

Fünf deutsche Städte haben ihren Willen bekundet, verletzte und traumatisierte Kinder aus Gaza aufzunehmen und medizinisch zu versorgen. Berlin gehört nicht dazu.

Allerdings will die SPD im Abgeordnetenhaus das Thema forcieren, wenn der Bund einen rechtlichen Rahmen für solche medizinische Nothilfe geschaffen hat.

Das sollte rasch passieren. Und am besten schließen sich dann möglichst viele deutsche Städte dieser Initiative an.

Das Ausfliegen von Kindern und Erwachsenen aus Kriegsgebieten zur ärztlichen Versorgung hat Tradition: In den 90er-Jahren wurden während des Bosnienkrieges Hunderte Bewohner von Sarajewo in westeuropäischen Krankenhäusern versorgt. Aus Afghanistan wurden Kinder ausgeflogen, und auch aus der Ukraine wurden Tausende Patienten aus beschädigten Krankenhäusern gerettet.

Im Irak misshandelte Jesidinnen und Jesiden durften vor rund zehn Jahren nach Deutschland kommen. Und die Initiative Friedensdorf International bringt jedes Jahr zwischen 200 und 300 Kinder aus Krisen- und Konfliktgebieten nach Deutschland. Sie erhalten komplexe medizinische Behandlung, danach werden sie wieder zurück in die Heimat gebracht.

Länder wie Spanien und Italien haben vereinzelt schon verletzte und kranke Kinder aus Gaza aufgenommen und behandelt. Es wird höchste Zeit, dass die deutsche Politik sich darüber einig wird, wie auch sie helfen kann.

Sicherheitsbedenken sind Alarmismus

Herablassende Reaktionen wie die von Serap Güler (CDU), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, laut der diese Idee lediglich „nett für den Wahlkampf“ sei, verbieten sich. Auch angebliche Sicherheitsbedenken, wie sie nun vereinzelt Politiker und Polizeigewerkschafter vorbringen, sind unangemessener Alarmismus. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – und sei es, indem man für jedes Kind nur eine weibliche Begleitperson erlaubt.

Auch wenn es wie Zynismus klingt: Wer die gesamte erwachsene Bevölkerung Gazas unter Terrorverdacht stellen will, um medizinische Evakuierungen abzuwehren, der wird spätestens bei Waisenkindern keine Einwände mehr haben. Schätzungen zufolge haben mehrere Zehntausend Kinder und Jugendliche in Gaza keine Eltern mehr. Nicht umsonst hat Hannover gleich angeboten, die Mädchen und Jungen nicht nur medizinisch zu versorgen, sondern auch in Pflegefamilien unterzubringen.

Es wäre erschreckend, wenn wir angesichts des unermesslichen Leides schon so abgestumpft wären, dass wir Hilfeleistung auch für die ablehnen, die noch eine Überlebenschance haben.

Margarethe Gallersdörfer, Tagesspiegel-Redakteurin

Fakt ist: Eine medizinische Versorgung aller Kranken und Verletzten kann derzeit in Gaza nicht geleistet werden – Israel hat fast die gesamte medizinische Infrastruktur zerstört. Dabei ist nicht auszuschließen, dass auch deutsche Waffen zum Einsatz kamen. Womöglich wurden sogar Kinder durch deutsche Waffen verletzt. Auch das sollten Politikerinnen und Politiker mitdenken, bevor sie medizinische Versorgung in Deutschland ablehnen.

Für unzählige Menschen in Gaza kommt wegen der monatelangen Mangelernährung und der katastrophalen Gesamtlage wohl jetzt schon jede Unterstützung zu spät. Es wäre erschreckend, wenn wir angesichts des unermesslichen Leides schon so abgestumpft wären, dass wir Hilfeleistung auch für die ablehnen, die noch eine Überlebenschance haben.

Was allerdings nicht passieren darf: dass medizinische Evakuierungen genehmigt werden und Deutschland sich mit dieser Art Unterstützung aus der Mitverantwortung für das Grauen im Gazastreifen stiehlt. Wenn nur einige Dutzend Menschen hierzulande überfällige medizinische Hilfe bekommen – und, nicht zu vergessen, ordentliche und ausreichende Nahrung –, ist das fast jeden Aufwand wert. Es sind zumindest winzige Lichtblicke in einer unmenschlichen Katastrophe.

Doch im Gazastreifen droht weiterhin Hunderttausenden der Tod durch Hunger, Seuchen, massive Bombardements und Schüsse durch die israelische Armee und durch den Terror des Hamas-Regimes. Die oberste Pflicht Deutschlands ist es, dem Sterben Einhalt zu gebieten, ohne weiteres Zögern oder Denkverbote, mit allen diplomatischen Mitteln. Vor Ort ist Hilfe immer noch am effektivsten – weil sie die meisten Menschen erreicht.

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