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Alte Freunde: Libyens Staatschef Gaddafi und sein syrischer Amtskollege Assad, hier auf einem Gipfeltreffen der Arabischen Liga 2008.

© dpa

Kontrapunkt: Die Nato ist am Ende

Von Tripolis nach Damaskus: Das libysche Regime will die Nato militärisch in die Knie zwingen, das syrische lässt sie gewähren. Malte Lehming fragt, ob das richtig ist.

Also sprach der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama, vor drei Monaten in seiner Rede an die Nation. „Einige Nationen mögen in der Lage sein, Gemetzel in anderen Ländern auszublenden. Wir sind da anders.“ Angesichts drohender Massaker seien die USA stets ein „Anwalt für menschliche Freiheit“.

Also sprach die Außenministerin der Vereinigten Staaten von Amerika, Hillary Clinton, vor zwei Monaten bei einer Veranstaltung in der American Academy in Berlin. „Die Welt hat nicht auf ein zweites Srebrenica an einem Ort namens Bengasi gewartet.“

Und also sprachen ganz ähnlich Nicolas Sarkozy, David Cameron, der Nato-Generalsekretär, französische Philosophen, amerikanische Menschenrechtler und deutsche Humanisten. Inzwischen hat die westliche Allianz 11.500 Einsätze über Libyen geflogen, davon waren 4400 Bombenmissionen. Das wiederum hat die Rebellen gestärkt, die nun ihrerseits, laut UN-Menschenrechtsrat, Verbrechen verüben. Was als Schutz der Zivilbevölkerung von Bengasi begann, hat wahrscheinlich längst mehr Tote verursacht, also ohne Intervention zu beklagen gewesen wären.

Fast gleichzeitig führt das Regime in Syrien einen ebenso barbarischen Krieg gegen die eigene Bevölkerung wie Muammar Gaddafi in Libyen. Die vorläufige Bilanz in Syrien: weit mehr als 1000 tote Zivilisten, 10.000 Inhaftierte, 10.000 Flüchtlinge. Die Bilder des Mordens gleichen sich. Was Bengasi in Libyen, sind Deraa und Dschisr al-Schugur in Syrien. Doch die Weltgemeinschaft bombt zwar hier, tut dort aber nichts. Mit der geballten Wutfaust in der Tasche lässt sie Baschar al-Assad gewähren. Der sei zu stark, heißt es, habe Verbündete (Russland, Iran), und man wisse nicht, wer nach ihm kommt.

Das sind Ausreden. Jeder versteht, dass wegen Ungarn oder Tibet der Westen nicht Krieg gegen die Sowjetunion oder China führen konnte. Der Besitz von Atomwaffen immunisiert gegen jede Art humanitärer Intervention. Aber Syrien ist - etwa im Vergleich zum Irak Saddam Husseins oder zu Jugoslawien unter Slobodan Milosevic – kein echter Gegner. Die Militärausrüstung ist auf dem Stand der 60er und 70er Jahre, und ob der Alawit Assad wirklich Rückhalt bei der Generalität und innerhalb der Armee hat, darf bezweifelt werden.

Ein schwaches Argument ist auch der Hinweis auf Russland und Iran. Die Jugoslawienkriege verstießen ebenfalls massiv gegen russische Interessen, weshalb es im Fall Kosovo kein UN-Mandat gab, aber in der Regel belässt es Moskau bei verbalen Protesten. Und der Iran? Der hat in zwei Nachbarländern, Afghanistan und Irak, westliche Truppen an seiner Grenze und wird den Teufel tun, es wegen Syrien zu einer militärischen Eskalation kommen zu lassen.

Nein, die bittere Wahrheit ist: Die Nato, das stärkste Militärbündnis der Welt, ist sich in Libyen seiner Schwäche bewusst geworden. Obama will raus aus allen Kriegen, Europa geht bereits die Munition aus, angesichts maroder Staatshaushalte werden die Verteidigungsbudgets eher gekürzt als aufgestockt.

Die Erfahrung mit dem trotz nobler humanitärer Gesinnung letztlich dummen Krieg in Libyen sitzt den Verantwortlichen tief in den Knochen. Selbst wenn Gaddafi morgen verschwinden würde, könnte die Nato ihre künftige Impotenz kaum noch länger leugnen. Ihre demonstrative Passivität im Fall Syrien entlarvt die „responsibility to protect“ als absolute Ausnahme.

Als Außenminister Joschka Fischer einst den Kosovokrieg rechtfertigen musste, berief er sich auf die Lehren aus Auschwitz. „Nie wieder Krieg“ sei nur eine, „Nie wieder Duldung von Verbrechen gegen die Menschheit“ die andere. Bodentruppen schicken wollte er allerdings nicht.

Und so klafft auch heute wieder eine riesige Lücke zwischen Wort und Tat, Ohnmacht und Macht. Das Problem für den Westen: Je öfter er Menschen zum Widerstand ermuntert - viele Syrer hofften wohl auf ein ähnliches Eingreifen der Nato wie in Libyen -, desto stärker wird er sie enttäuschen. „Einige Nationen mögen in der Lage sein, Gemetzel in anderen Ländern auszublenden, wir sind da anders“, hatte Obama versprochen. Pech für viele Syrer, dass sie ihm geglaubt hatten.

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