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Helau und Alaaf statt Demokratie: Auch die Narren werden mit Steuergeldern finanziert
Karnevalsvereine gelten als gemeinnützig. Weil sie das traditionelle Brauchtum stärken, werden sie vom Staat alimentiert. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

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Das ist Deutschland, Ende Februar 2025: Die AfD wird bei der Bundestagswahl zweitstärkste politische Kraft, im Osten Deutschlands kratzt sie vielerorts an einer absoluten Mehrheit.
Wenige Tage nach Bekanntwerden des Ergebnisses nimmt eine konservative Initiative Fahrt auf, die den „Omas gegen Rechts“ und anderen Organisationen, die zu Demonstrationen zum Schutz der Demokratie aufgerufen hatten, den Status der Gemeinnützigkeit entziehen will. Diese Organisationen würden, wie es heißt, „zu stark in den politischen Meinungsbildungsprozess eingreifen“.
„Sie prägen unsere Kulturlandschaft maßgeblich“
Zur selben Zeit beginnen, ganz zufällig, die närrischen Tage. Karneval, Fastnacht, Fasching. Diese Tradition wird mit Steuergeldern gefördert. Die mehr als 5300 Karnevalsvereine gelten als gemeinnützig, weil ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“.
Geistig oder sittlich? Die Entscheidung fällt schwer.
Die Förderung des traditionellen Brauchtums – einschließlich des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings – zählt in Deutschland seit 1990 zu den steuerbegünstigten gemeinnützigen Zwecken. In der Corona-Zeit wurden Karnevalsvereine in Nordrhein-Westfalen etwa mit zweistelligen Millionenbeträgen alimentiert.
Dafür aufgelegt wurden damals ein „Sonderprogramm Heimat“ und eines, das sich „Zukunft Brauchtum“ nannte. Diese Vereine „prägen unsere Kulturlandschaft maßgeblich“, teilte die Staatskanzlei mit.
Gemeinnützig ist, was der Gemeinschaft nützt. In welchem Maße dies geschieht, lässt sich auch an diesem Freitag – im Rahmen der Fernsehfastnacht „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ – feststellen. Die Gesangsgruppe „Schnorreswackler“ lässt ein „musikalisches Blumenbeet“ erblühen, den „glanzvollen Abschluss“ bilden die Mainzer Hofsänger, begleitet vom MCV-Hofballett.
Weiter heißt es in der ARD-Ankündigung: „Kokolores, Tanz, Musik und politisch-literarischer Vortrag werden sich in bewährter Weise miteinander abwechseln. Freuen Sie sich auf einen unterhaltsamen Abend!“ Auch das Öffentlich-Rechtliche, das die Sendung ausstrahlt, wird durch Steuergelder finanziert.
Sind auch Vatertags-Rituale Brauchtum?
Im Deutschen Bundestag hat sich vor zwei Jahren der Parlamentskreis „Karneval – Fastnacht – Fasching“ gegründet. Damit solle ein „wichtiges Brauchtum“ gestärkt werden. „Karneval ist Zusammenhalt, Lebensfreude, Integration, Kreativität.“
Was ist eigentlich kein traditionelles Brauchtum? Wie ist es zum Beispiel mit den Vatertags-Ritualen an Christi Himmelfahrt? Schon früh sind sie auf den Beinen, Bierkisten im Bollerwagen, sie trinken und trinken, singen volkstümliche Lieder. Oder die Böllerfestspiele zu Silvester – ist das nicht längst ein deutscher Kult, unantastbar wie die Raserei auf Autobahnen?
Auch der Karneval hat die Funktion, die Machtverhältnisse zu stabilisieren, indem er sie für einige Tage umkehrt und dem Bürger etwas Anarchie gewährt. Das verbindet ihn mit den Vatertags-Ritualen, der Autobahn-Raserei und der Silvester-Böllerei.
Es darf nicht zu politisch und nicht zu unpolitisch sein
Zu politisch darf er allerdings nicht sein, weil er nicht Einfluss nehmen darf auf den politischen Wettbewerb und die Gestaltung der öffentlichen Meinung. Damit begründete der Bundesfinanzhof 2019 seine Entscheidung, dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit zu entziehen.
Zu unpolitisch – sprich: Party-ähnlich – darf der Karneval aber auch nicht sein, wie der Bundesfinanzhof zwei Jahre zuvor geurteilt hatte. Wenn mehrheitlich zu Musik getanzt werde, die auch am Ballermann läuft, wenn neben Tanzmariechen auch Chearleader aufträten, sei das unvereinbar mit einer Förderung des Brauchtums.
Was ist ein Karnevalsverein? Karl Kraus hat eine ähnliche Frage mal so beantwortet: „Wenn man mir die Frage vorlegte, was denn überhaupt ein Verein sei, so würde ich antworten, ein Verein sei ein Verein gegen die Kultur.“ Die bloße Vorstellung, dass es einen Männergesangs-Verein gibt, raube ihm den Schlaf, und noch kein Turnverein habe zur Erhöhung seines Lebensmutes beigetragen.
Es soll sie auch weiterhin geben, die Karnevalsvereine. Aber müssen sie mit staatlichen Mitteln gefördert werden – statt in die Bildung, die Infrastruktur, die Pflege und das Gesundheitssystem zu investieren? Heute Abend in „Mainz bleibt Mainz“ singt Laura Müller das Lied „Empire state of Mainz“. Es ist ihr Debüt.
Spätestens dann sollten wir wissen, ob die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos gefördert wurde. Falls nicht, wäre die Gemeinnützigkeit gefährdet.
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