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Donald Trump Ende Oktober 2024 bei einer Wahlkampfveranstaltung.

© dpa/Julia Demaree Nikhinson

Reaktionäre Revolutionäre auf dem Vormarsch: Ein bisschen Trump ist überall

Das Autoritäre grassiert, nicht nur in den USA. Daraus muss auch die deutsche Politik Lehren ziehen. Den Bürgern zuzuhören, wäre ein guter Anfang.

Stephan-Andreas Casdorff
Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Stand:

Weit weg, dieses Amerika, oder? Wir sind in Sicherheit, nicht wahr? Uns kommt doch kein Autokrat ins Haus, stimmt’s?

Stimmt. Donald Trump hat nur deutsche Wurzeln. Deutscher Präsident wird er nicht. Aber eine Warnung für alle in der deutschen Politik ist er trotzdem.

Denn er ist ja nicht allein – das Autoritäre grassiert. Oder droht zumindest, sich auszubreiten.

Die Art zu reden, zum Beispiel. Nein, nicht die unendlichen Stories, die Trump so liebt, sondern das Harsche, Fordernde, manche sogar Beleidigende.

Selbst unser Kanzler, eher kein Temperamentsbolzen, redet inzwischen anders. Was Olaf Scholz alles über Christian Lindner gesagt hat und sagt! Das verschlägt einem die Sprache. Fast.

Nicht nur, weil die beiden jetzt keine „Best Buddies“ mehr werden. Sondern weil es zeigt, wie auch in Deutschland der Wahlkampf werden kann: bullig bis brutal.

Die Gefahr der Stunde

Ja, auch in Deutschland. Goethe war gestern. Geheimräte sind abgeschafft. Und Kabinettspolitik wird auf dem offenen Markt ausgetragen.

Ob das gut ist? Ob das gut geht? Schauen wir nach Ungarn, nach Italien. Oder auf Polen. Oder auf Frankreich – viele Auseinandersetzungen dort tragen autoritäre Züge. Ein bisschen Trump ist überall.

Hören sie genug zu? Eine Szene aus dem Bundestag mit Friedrich Merz, Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner (von rechts).

© dpa/Michael Kappeler

Reaktionäre Revolutionäre, so nennt sie Thomas Greven, Politikwissenschaftler von der Freien Universität. Sie sind die Gefahr der Stunde. In Deutschland zu finden bei AfD und BSW.

Deren Wahlergebnisse werden nicht geringer, sondern steigen und steigen. Wo soll das noch enden?

Faszination der einfachen Antworten

Einstweilen endet es jedenfalls mal nicht. Und die wohl rasch kommende Bundestagswahl kann in der Hinsicht immer noch zum Menetekel werden.

Denn wenn immer mehr Menschen der Faszination der einfachen Antworten erliegen oder gar der brachialen Ansagen, was ist dann? Ja, dann bekommen alle die recht, die von einer Demokratie in Gefahr reden.

Kompromiss als Ausdruck inhaltlicher Stärke wird zunehmend diskreditiert.

Stephan-Andreas Casdorff, Tagesspiegel-Herausgeber

Das ist dann auch noch einmal eine ganz andere Qualität als das Wort von den Gefährdungen, denen sie ausgesetzt sei. Von denen der Bundespräsident schon länger redet. Hören wir genug zu?

Was allemal stimmt: Es wird schwieriger für den wägenden Aushandlungsprozess. Dabei ist der ein wichtiges, ja ein sie bestimmendes Kennzeichen der Demokratie.

Kompromiss als Ausdruck inhaltlicher Stärke wird zunehmend diskreditiert. Das Wort Führung muss sich nicht mehr geschichtlicher Vorbehalte erwehren. Kompromisslosigkeit wird zum Wert.

Diktat statt Diskurs?

Stimmt nicht? Oh, wer das sagt, ist nicht zu Hause in den Echokammern des Internets. Social Media als „sozial“ zu übersetzen verkennt den Trend. Der sich auch noch verstärkt.

Und die Politiker reagieren. Weil sie nicht ignorieren können, was aus den Kammern schallt, eben weil es so viel von so vielen ist. Unter diesem Druck verändert sich dann so manche Haltung. Wie die zur Migration. Hart und härter ist sie geworden.

Diskurs ist von gestern, Diktat die Zukunft? Weit gefehlt. Der Wahlkampf, der heraufzieht, geht in dem Sinne nicht allein um Stimmen – er geht um die Köpfe. Und die Kultur.

Was also tun? Vielleicht das: auf die Bürger hören, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Und ohne sich von Härte oder Lautstärke einschüchtern zu lassen.

Argumente entfalten ihre eigene Kraft, wenn Bürgerbeteiligung operationalisiert wird. Bürgerräte sind so ein Beispiel. Der Bundestag setzt sie ein – mehr davon.

Der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton fuhr mit dem Bus durchs Land, der Bundespräsident kommt zu „Ortszeiten“ ins Land. Regieren vor Ort, reden mit den Menschen am Ort. Will sagen: Das Kabinett kann auch auf Tour gehen.

Meinungsaustausch ist in jeder Hinsicht mehr als ein Wort. Und ein paar Worte mehr in einer richtigen, einer offenen Debatte mit Für und Wider erleichtern die politische Entscheidung, die den Bürgern wirklich hilft.

Das diszipliniert, nach innen, in die politische Klasse hinein, nach außen in die politisierenden Blasen. Ein Autokrat kommt uns so ganz gewiss nicht ins Haus. Jedenfalls nicht in unser Hohes Haus. Oder als Präsident ins Bellevue.

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