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Meinung: Was der Moral dienen muss

Israel zahlt für den Gefangenaustausch einen bedenklich hohen Preis

Gedrückte Stimmung in Israel nach dem Gefangenenaustausch, Triumphgeheul über die internationale Aufwertung bei der Hisbollah, verhaltener Stolz der deutschen Vermittler auf ihren guten Draht zu den iranischen Paten der Hisbollah in Teheran – und eine düpierte Palästinenserführung. Den potenziellen Verhandlungspartnern im Friedensprozess hatte Scharon diesen Erfolg verweigert. Die aber dürfen sich ihren Zorn nicht anmerken lassen; schließlich jubeln viele Palästinenser mit, weil die Hisbollah den Satan Israel in die Knie gezwungen habe.

Darf man einen solchen Deal überhaupt gutheißen, der die Terrororganisation belohnt, schlimmer noch: ihr Aussicht auf dauerhafte Mitsprache im Nahostkonflikt eröffnet, was den Frieden nicht näher bringt? Der Bundesregierung sind keine Vorwürfe zu machen. Sie hat ihre Kontakte – wie 1996 das Gespann Kohl/Schmidbauer – zur Verfügung gestellt, weil sie gebeten wurde. Warum soll sie Bedenken haben, die Israel nicht hat?

Nur warum lässt die Regierung Scharon sich auf das Geschäft ein, ein so unvorteilhaftes dazu? Sie gibt 435 (vorwiegend palästinensische) Gefangene frei und übergibt 60 Leichname arabischer Gefallener – für die Leichen von drei Soldaten, die im Herbst 2000 an der Grenze zum Libanon verschwunden waren und mühsam durch Genanalyse identifiziert werden mussten. Ja, es wurde auch ein lebender Israeli freigelassen: der Geschäftsmann Elhanan Tannenbaum, der drei Jahre Geisel der Hisbollah war. Aber der war nicht ausschlaggebend – was man schon daran sieht, dass er vom feierlichen Empfang in Tel Aviv ausgeschlossen blieb. Die Umstände seiner Reise in den Libanon damals sind dubios, Gerüchte wollen von versuchten Drogengeschäften des bankrotten Ex-Obristen der israelischen Armee wissen.

Hinter dem makabren Deal steckt das Versprechen, das nur Demokratien ihren Soldaten geben, wenn sie sie in Lebensgefahr schicken: Was immer passiert, wir holen euch da raus, bringen euch nach Hause, fast um jeden Preis. Es gilt über den Tod hinaus. Das mag in Konflikten, die so menschenverachtend ausgetragen werden wie der im Nahen Osten, heroisch-naiv anmuten. Aber es ist auch der Versuch, ein Minimum an Werten und Würde zu retten. Und zeigt den Unterschied in der Wertschätzung des einzelnen Menschen in der arabischen Welt und der westlichen, zu der auch Israel gehört. Insbesondere die USA und Israel unterhalten hoch spezialisierte Rettungsteams, die Vermisste in feindlichem Gelände aufspüren und bergen. Notfalls kaufen sie Gefangene (oder deren Leichen) frei und beugen sich auch Erpressungen, von Vietnam bis zu den durch den Staub geschleiften US-Leichen in Somalia – damit es wenigstens ein würdiges Begräbnis gibt.

Gewiss, in der Praxis kommt eine Portion politisches Kalkül hinzu. Mit den Bildern der Rückholung verschaffen sich Regierungen neuen Rückhalt in der Bevölkerung – als moralische Sieger, allen politischen Rückschlägen zum Trotz. Im Irakkrieg hat die Bush-Regierung die Mär von der angeblich heldenhaften Befreiung der Soldatin Jessica Lynch aus irakischer Gefangenschaft inszeniert.

Scharon zielt mit dem aktuellen Gefangenenaustausch auf einen zweiten Deal, der in Israel einem Triumph gleichkäme: die Herausgabe des seit 17 Jahren vermissten Navigators Ron Arad, der als Held verehrt wird.

Gerade deshalb wird die Hisbollah taktieren, für jede Information über Arad neue Freilassungen verlangen und weitere Israelis als Geiseln nehmen. Einer der mörderischstens Feinde Israels hat sich an den Verhandlungstisch gebombt, gemordet und entführt. Scharons moralischer Sieg hat einen so hohen Preis, dass er einer politischen Niederlage nahe kommt.

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