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Zerwürfnis mit den USA: Diese Epochenwende ist eine Chance für Europa
Europäische Werte sind Donald Trump egal, für ihn zählen nur Deals und Dollars. Es steht viel auf dem Spiel. Aber es gibt auch große Chancen.

Stand:
Der Rauschmiss von Wolodymyr Selenskyj am Freitagabend im Weißen Haus trifft nicht nur die Ukraine bis ins Mark. Donald Trump hat an diesem Abend dem gesamten westlichen Wertesystem die Tür gewiesen. Was Trump und seine Entourage so ungeheuer erbost, ist ja nicht die Standhaftigkeit des ukrainischen Präsidenten allein. Es ist die bisher klare Haltung des Westens gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin insgesamt, die auf einem klaren Wertesystem basierte.
Für diese Werte soll es keinen Platz mehr geben in Trumps Welt. Ihm ist Putin näher als Macron, Starmer oder Merz.
Putin hat die Ukraine angegriffen, weil er das alte Sowjetreich wiederherstellen will. Daraus hat er keinen (großen) Hehl gemacht. Die ukrainischen Bestrebungen, in die Nato aufgenommen zu werden, dienten ihm nur zur Rechtfertigung. Wie weit sich dieses Reich ausdehnen soll, weiß nur er allein. Die baltischen Staaten sind sicher dabei. Und Polen? Ostdeutschland?
Genau deshalb verteidigt die Ukraine nicht nur sich selbst, sondern den Westen, seine Werte und obendrein die europäische Integrität.
Für Trump zählt nur der Deal
Doch mit Trump ist das vorbei. Sein Wertesystem ist ein anderes. Für ihn zählt nur der Deal. Ihm ist die Ukraine egal, ihn interessieren nur ihre Rohstoffe. Von einem Deal mit Putin erhofft er sich vor allem wirtschaftliche Vorteile. Und da stehen ihm Selenskyj und die Europäer nur im Weg.
Die Welt soll zwischen den USA, Russland und China aufgeteilt werden, eine Ordnung, die weitere Deals und Dollars bringen soll.
Und was bedeutet das für uns? In Deutschland? In Europa? Auch hierzulande werden sich einige Anhänger von AfD und BSW gefreut haben über den Eklat. Denn ihnen ist Selenskyj ein Dorn im Auge. Die ganze Kohle für den Komiker, der nur im Weg steht für eine gute Beziehung mit Russland.
Fällt die Ukraine, ist Europa ausgeliefert
Was für ein Irrglaube. Fällt die Ukraine – im Krieg oder einem Scheinfrieden auf Putin und Trumps Gnaden, ist Europa ausgeliefert. Es wäre ein US-Freifahrtschein für die weitere russische Expansion Richtung Europa. Der vielleicht sogar inszenierte Eklat hat den Schlussstrich gezogen unter die bisherigen transatlantischen Beziehungen. Und Europa ist, das muss man einfach sagen, aktuell nicht in der Lage dagegenzuhalten. Die europäischen Staaten werden in den kommenden Jahren wohl erstmal zum Spielball.
Denn es wird dauern, Jahre, bis man militärisch in der Lage wäre, sich ohne US-Hilfe zu wehren. Und politisch tut sich gerade niemand hervor, das westliche, freiheitliche Vakuum zu füllen, das Trump eröffnet hat. Macron? Eine Lame Duck. Starmer? Noch zu frisch und durch den Brexit ohne ausreichend Vernetzung mit der EU. Merz? Wird erstmal genug damit zu tun haben, Deutschland nach vorne zu bringen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer könnte Donald Tusk sein, weil die Polen einen Draht aufbauen könnten zu Trump.
Die einzige Chance ist es, die Zeit der Machtlosigkeit zu verkürzen durch maximale Geschwindigkeit. Deutschland muss alles daran setzen, mehr Geld für die eigene Verteidigung auszugeben, mehr europäische Geschlossenheit herzustellen, wirtschaftlich unabhängiger zu werden von den USA. Dabei kommt es am Ende vielleicht gar nicht auf das finale Ergebnis an. Aber in einer Welt der politischen Symbole, der brutal zur Schau gestellten Macht, kann ein erster wichtiger Schritt schon sein, die eigene Entschlossenheit und Souveränität deutlich zu demonstrieren. Das gemeinsame Treffen in London ist ein erstes wichtiges Signal der europäischen Geschlossenheit.
Ja Deutschland, Europa ist militärisch unterlegen, aber der Wirtschaftsraum EU ist groß, mit vielen Chancen. Und Selbstbewusstsein zeigt man durch Zusammenhalt. Darauf kommt es jetzt an. Und darauf zu zeigen, dass man sich auch andere Partner sucht. Vielleicht auch solche, die einem politisch nicht genehm sind.
Wenn der Beginn des Ukraine-Krieges eine Zeitenwende war, dann ist das, was wir jetzt erleben, eine Epochenwende. Und das muss für Europa nicht von Nachteil sein. Denn vielleicht ist diese politische und wirtschaftliche Einheit jetzt gezwungenermaßen in die Situation versetzt, die Chancen, die sie haben in der Welt nun endlich auch zu nutzen und einzusetzen.
Dazu gehören die wirtschaftliche Kraft, das kreative Potenzial, ja, die vorhandene politische und kulturelle Freiheit zu nutzen. Auch um Menschen anzuziehen, die sich bald auch in den USA eingeschränkt fühlen werden. Die EU hat fast genauso viele Einwohner wie die USA und Russland zusammen. Und sie ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Hinzu kommen muss die eigene Verteidigungsfähigkeit. Boris Pistorius hat recht. Deutschland muss kriegstüchtig werden, aber nicht, um Krieg zu führen, sondern um ihn zu verhindern. Es steht viel auf dem Spiel. Aber es gibt auch große Chancen.
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