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Fähnchen mit dem Logo der AfD

© dpa/Daniel Karmann

AfD und Identitäre Bewegung: Wie Rechte die Propaganda gegen den Migrationspakt organisieren

AfD, rechte Blogs und andere Populisten Hand in Hand: Bei der Kampagne gegen den Migrationspakt wurden auch Bündnisse mit Polen und Österreichern geschmiedet.

Es ist ein kalter Tag im Januar, als Matthias Moosdorf durch Zufall über ein Dokument der Vereinten Nationen stolpert. Moosdorf, ein Mann mit voluminösen, grauen Locken und randloser Brille, arbeitet im Büro des bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Hebner. Je länger er den Text liest, desto aufgeregter wird er.

Folgt man seiner Erzählung, dann war das der Moment, an dem die rechte Kampagne gegen den globalen Migrationspakt seinen Lauf nahm. Kommende Woche wird das Abkommen in Marrakesch verabschiedet. Der Pakt soll die weltweite Migration besser steuern. Doch nachdem 192 Staaten an den Verhandlungen teilnahmen, sind in den vergangenen Monaten immer mehr Länder aus dem Abkommen ausgestiegen. Nun wird sogar die CDU auf ihrem Parteitag über den Pakt abstimmen. Niemand rechnet damit, dass sie ihn ablehnt. Aber dass es überhaupt so weit kam, ist Folge einer Dynamik, die AfDler wie Moosdorf und Hebner nicht allein in Gang gesetzt, zu der sie aber zumindest ihren Teil beigetragen haben.

Regierungspolitik beeinflusst

„Am Beispiel Migrationspakt zeigt sich, wie groß die Propagandamacht des rechtspopulistischen Spektrums mittlerweile ist“, sagt der Politikberater Johannes Hillje, der ein Buch über die Kommunikationsstrategie der AfD geschrieben hat. Rekonstruiert man, wie AfD, Identitäre Bewegung und sogenannte Alternativmedien gegen den Pakt mobil gemacht haben, zeigt sich, wie es dem rechten Spektrum möglich war, nicht nur den Diskurs, sondern sogar die Regierungspolitik zu beeinflussen.

Ab April tingeln Hebner und seine Mitarbeiter mit einer nur wenige Seiten kurzen Powerpoint-Präsentation etwa in die bayerische und ostdeutsche Provinz. Sie schüren Angst vor einer „geplanten Umsiedelung“ nach Deutschland. Europa werde arabisch-islamisch.

Im April beschäftigt sich auf Antrag der AfD auch der Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit dem Migrationspakt. Moosdorf platziert einen Gastbeitrag in der neu-rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Er schreibt, der Migrationspakt sei „bindend für die Unterzeichner“, Ziel der Staaten die „Niederhaltung von Kritik“ und warnt vor einer „Völkerwanderung“ in die Sozialsysteme Europas.

Treffen mit dem polnischen Botschafter

Tatsächlich ist der Migrationspakt rechtlich unverbindlich. Ziel ist es auch, „Faktoren zu minimieren, die Menschen daran hindern, in ihren Herkunftsländern eine nachhaltige Existenzgrundlage aufzubauen“.

Seit Mai sind Hebner und seine Mitarbeiter mit Gleichgesinnten in Europa in Kontakt: Sie stimmen sich mit Andrzej Przylebski, dem polnischen Botschafter in Deutschland, ab. Sie reisen zu den Rechtspopulisten der SVP in die Schweiz, nach Italien und zur FPÖ in Wien.

Identitäre Bewegung macht mobil

In der AfD selbst dringen Hebner und Moosdorf mit dem Thema zunächst nur schwer durch. Zwar beschäftigt sich etwa sein Fraktionskollege Markus Frohnmaier mit dem Pakt, aber dem Bundesvorstand ist dieser als Kampagnengegenstand zunächst zu sperrig. Erst im September bekommt das Thema Priorität – mit eigener Website, Plakaten, Aufklebern, Ansteckern und Flyern.

Zu dieser Zeit nimmt die Kampagne gegen den Pakt auch in Österreich Fahrt auf. Das Land hatte für die EU-Staaten die Verhandlungsführung zum Migrationspakt inne. Im September beginnt die völkische Identitäre Bewegung unter ihrem Chef Martin Sellner massiv mobil zu machen. Er sammelt in einer Petition Stimmen gegen das Abkommen, kommt so an Kontaktdaten. „Die Leute wurden dann in mehreren Phasen per E-Mail oder per Telegram motiviert, aktiv zu werden und Politiker anzuschreiben“, sagt Sellner. Die rechtspopulistische FPÖ, die an der Regierung beteiligt ist, gerät unter Druck durch ihre Anhänger. Auch rechtspopulistische Medien in Österreich wie unzensuriert.at schießen gegen den Pakt. Ende Oktober gibt die österreichische Regierung ihren Ausstieg aus dem Pakt bekannt, andere europäische Länder folgen.

Nun wird das Thema auch in Deutschland breit diskutiert, die Bundesregierung beginnt gezielt zu informieren – laut Politikberater Hillje viel zu spät. „Information muss schneller sein als Desinformation“, sagt er. „Die Deutungshoheit bei dem Thema liegt bei den rechtspopulistischen Akteuren, weil sie als erste über den Pakt gesprochen haben.“ Sogar CDU-Politiker übernehmen die Interpretation der AfD, wonach durch den Pakt womöglich mehr Menschen nach Deutschland kommen.

Für AfD-Mitarbeiter Moosdorf ist es ein Schlüsselmoment, als AfD-Anhänger die Chefredakteure von ARD und ZDF bei einem Gespräch im Oktober nach dem Pakt fragen. Denn die wissen damit kaum etwas anzufangen. Im Publikum kommt höhnisches Gelächter auf.

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