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Rettungsweste und dann? Viele deutsche Kommunen bieten Aufnahme von Geretteten an.

© Boris Niehaus/dpa

Asyl in Europa: Dürfen Städte Flüchtlingspolitik machen?

120 deutsche Städte sind inzwischen Mitglieder des "Seebrücke"-Bündnisses. Sie streiten mit dem Innenminister um ein Recht auf eigene Flüchtlingspolitik

In die Frage der Seenotrettung und der Aufnahme Geretteter in Deutschland könnte Bewegung kommen. Am 28. Januar wollen sich erstmals Vertreterinnen und Vertreter des Bundesinnenministeriums und des Städtebündnisses der "Seebrücke" treffen. In dem Bündnis haben sich inzwischen 120 Kommunen von der Großstadt Berlin bis zur Insel Sylt organisiert, die bereit sind, deutlich mehr Menschen aufzunehmen als sie nach dem bundesweiten Verteilschlüssel müssten. Von 37 Kommunen, sogenannten "Sicheren Häfen", gibt es konkrete Zusagen. Bisher hatte dies noch keine praktischen Folgen, weil die Entscheidung über die Aufnahme Sache des Bundes, also des Bundesinnenministeriums, ist.

Warum Malta nicht funktioniert

In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Bürgermeister der sizilianischen Stadt Palermo, Leoluca Orlando, appellierten Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert und Miriam Koch, die Abteilungsleiterin für Migration und Integration der Stadt Düsseldorf, am Montag an die Bundesregierung und die europäischen Partnerländer, rasche Lösungen zuzulassen. Die Einigung von Malta im Herbst, bei der sich Deutschland, Italien, Malta und Frankreich darauf verständigten, Dramen um Flüchtlingsschiffe künftig zu vermeiden, die Mittelmeerhäfen für sie offen zu halten und die Schiffbrüchigen rasch untereinander zu verteilen, habe bisher nicht geholfen. Die Schuld daran trügen sowohl die Mittelmeeranrainer als auch Aufnahmeländer wie Deutschland, sagte Luise Amtsberg, Sprecherin der Grünen-Fraktion für Flüchtlingspolitik. So sei bisher erst die Hälfte jener Menschen aufgenommen, für die Deutschland dies zugesagt hat. Die lange Überstellungszeit etwa von Malta nach Deutschland führe dazu, dass die Menschen dort lange bleiben müssten, was “ein Hemmnis bedeutet für die Bereitschaft, Schiffen sichere Häfen zuzuweisen, um es freundlich zu formulieren”, sagte Amtsberg. Auch bleibe unklar, wer aufgenommen werde, welche Länder sich noch beteiligten werden und wie lange die Übereinkunft von Malta überhaupt gelten solle.

Potsdam und Düsseldorf: Mehr Flüchtlinge überfordern uns nicht

Unüberwindbare rechtliche Probleme von Aufnahme und Verteilung auf die aufnahmewilligen deutschen Städte und Gemeinden sehen Koch und Schubert nicht: “Die rechtlichen Voraussetzungen sind da”, sagte der Potsdamer OB, dessen Stadt auch Koordinatorin des Städtebündnisses ist. Zudem seien “Bundesgesetze keine Naturgesetze”, sie ließen sich anpassen. Koch verwies auf das Dublin-System über die EU-weiten Zuständigkeiten für Schutzsuchende. Schon dies erlaube den “Selbsteintritt” eines Landes, wenn es mehr tun wolle, als seine asylrechtlichen europäischen Pflichten erfüllen. Das System müsse zwar reformiert werden, jetzt gehe es aber um “eine akute Notlage”. Dass das Innenministerium könne, wenn es nur wolle, bestritt wenig später Stephan Mayer, der Parlamentarische Staatssekretär von Minister Seehofer. Partnerinnen des Bundes seien nach "Recht und Gesetz"die Länder, nicht die Kommunen, sagte der CSU-Politiker während eines anschließenden Fachgesprächs über kommunale Verantwortung in der Flüchtlingspolitik, zu dem die Bundestagsgrünen eingeladen hatten. Und deutete an, dass über die Länder vielleicht ein Weg führe, dem Drängen der willigen Kommunen nachzugeben: "Das Bundesinnenministerium hat noch nie einem Land ein Aufnahmeprogramm verweigert." Ein solches Programm legte zum Beispiel das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg für Frauen der verfolgten jesidischen Minderheit in Syrien auf.

Die beiden Kommunalpolitiker Koch und Schubert traten der Ansicht entgegen, dass mehr Flüchtlinge die Kommunen überfordern würden – dies meinen alle drei kommunalen Spitzenverbände, die politische Interessenvertretung von Städten und Gemeinden. Selbst wenn alle 40.000 auf den griechischen Inseln Gestrandeten nach Deutschland kämen, sagte Koch, wären das laut dem Königsteiner Schlüssel, nach dem die Lastenverteilung bundesweit errechnet wird, für ihre Stadt Düsseldorf ein paar hundert Menschen.  “Das haben wir 2015 in zwei Wochen gemacht.” Es genüge im Übrigen, erst einmal die Kommunen einzubeziehen die dazu bereit seien, ergänzte Schubert. Alle Mitglieder des Städtebündnisses hätten die “Lasten sehr wohl geprüft”, die durch ein Mehr an Geflüchteten auf sie zukämen. Es sei “ein Novum in der Geschichte der deutschen Kommunalverfassung, dass die, die eine Leistung erbringen müssen, sagen, sie wollten mehr tun, und der Bund sagt: Ich will aber nicht.”

Palermos OB: Nur Menschenrechte garantieren Sicherheit 

Diplomatisch äußerten sich beide über die ganz andere Haltung der Städtelobby, die drei Spitzenverbände: Die müsse ja die Städte und Gemeinden “in ihrer Breite vertreten”, sagte Schubert. Koch sagte: “Je mehr Städte sich am Städtebündnis beteiligen, desto leichter wird es den Verbänden gemacht, eine positivere Haltung einzunehmen.”

Das Bündnis “Seebrücke" gibt es seit 2018, es wurde zusammen mit den Städten von der “Seebrücke” ins Leben gerufen, jenen Initiativen, die sich auch in der Seenotrettung im Mittelmeer engagierten. Formell ist vorerst die deutsche Zusammenarbeit, aber auch europaweit haben Städte in Ost und West ihre Bereitschaft erklärt mitzuarbeiten, etwa Montpellier oder Barcelona. Das Bündnis wuchs rasch, im Sommer waren erst 80 Städte und Gemeinden dabei. Auf der Pressekonferenz in Berlin appellierte Palermos Oberbürgermeister Leoluca Orlando – auch seine Stadt gehört zur Koalition der Willigen – an Europas Politik, Seenotrettung als Verwirklichung elementarer Menschenrechte wie Leben und Bewegungsfreiheit zu sehen: “Es gibt nur einen Weg, Sicherheit zu haben. Das ist der Respekt für die Menschenrechte.”

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