
© Imago/Thomas Trutschel
„Auch eine Frage der Gerechtigkeit“: Spahn pocht auf komplette Streichung des Bürgergelds für Job-Verweigerer
Die Koalition will die Sozialleistung reformieren. Unklar ist, wie massiv die Einschnitte werden sollen. Die Chefs von Kanzleramt und Fraktion zeigen die Linie von CDU/CSU auf. Die SPD hält dagegen.
Stand:
Die schwarz-rote Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) will angesichts der Milliarden-Lücken im Haushalt die Sozialsysteme reformieren. Im Fokus steht dabei auch das Bürgergeld.
Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, diese staatliche Leistung in eine „neue Grundsicherung für Arbeitssuchende“ zu ändern. Wie groß die Einschnitte sein sollen, ist in der Koalition aber umstritten. Merz hatte die Reform gerade zur Chefsache erklärt.
„Deutschland muss runderneuert werden, um seinen Wohlstand zu sichern und die sozialen Versprechen auch in Zukunft erfüllen können“, sagte Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) dem Tagesspiegel: „Das ist nur zu schaffen, wenn diejenigen, die arbeiten können, für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen.“ Zwar solle niemand in Not geraten, wenn er seinen Job verliere. Wer aus eigener Kraft nicht für sich selbst aufkommen könne, solle zudem auch weiter die Gewissheit haben, dass die Gemeinschaft helfe. Und doch sagt Frei: „Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, dass die Mittel zur Unterstützung auf das Notwendige begrenzt sind.“
Jens Spahn (CDU) ging am Wochenende darüber hinaus. Der Unions-Fraktionschef pocht darauf, Job-Verweigerern die gesamte Hilfe zu streichen.
Die Zahl der Bezieher muss in einer neuen Grundsicherung deutlich niedriger ausfallen.
Jens Spahn, Unions-Fraktionschef (CDU)
„Wer arbeiten kann und einen Job nicht annimmt, sollte künftig kein Bürgergeld mehr bekommen – das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit“, sagte Spahn der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „In diesem Herbst gehen wir die Abschaffung des Bürgergeldes an. Die Zahl der Bezieher muss in einer neuen Grundsicherung deutlich niedriger ausfallen.“
DGB-Chefin Fahimi sieht Verstoß gegen das Grundgesetz
Wenn jemand eine Stelle ausschlage, könne das nur heißen, dass er keine Unterstützung brauche, betonte Spahn. In der Industrie seien zwar viele Jobs weggefallen, aber in der Gastronomie oder im Paket- und Zustellgewerbe seien sehr viele Stellen offen.
Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe dazu, diese Forderung verstoße gegen das Grundgesetz und gehe am Kern des Problems vorbei: „Wir müssen diejenigen in den Fokus nehmen, die arbeiten könnten, aber immer wieder daran scheitern, wirklich im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.“
Zahl der Totalverweigerer ist gering
Das Portal Statista wies Anfang August unter Bezug auf Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) darauf hin, dass es sich bei den sogenannten „Totalverweigerern“ nur um eine sehr kleine Gruppe handele. „So waren im Jahr 2024 nur 0,6 Prozent bzw. rund 23.000 Menschen von Leistungsminderungen betroffen, die aufgrund von Verweigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit gegen sie verhängt worden sind. In den Jahren davor bewegte sich dieser Anteil auf einem ähnlich niedrigen Niveau.“
Merz hatte als Ziel ausgegeben, zehn Prozent der jährlichen Bürgergeld-Ausgaben von rund 50 Milliarden Euro einzusparen. Die SPD ist allerdings skeptisch, ob Einsparungen in dieser Höhe möglich sind.
Spahn forderte nun zudem Kürzungen bei Miet- und Heizzuschüssen für Bezieher von Bürgergeld. „Der Regelsatz soll unberührt bleiben. Aber an Mieten und Heizzuschüsse müssen wir ran.“ Zurzeit würden die Mietkosten im ersten Jahr noch voll übernommen, egal, ob sie angemessen seien oder nicht. „Diese Regelung muss ersatzlos gestrichen werden“, forderte Spahn.
In der Diskussion um die Bürgergeld-Reform gab es zuletzt Empörung über einen organisierten Sozialbetrug. „Die EU-Freizügigkeit wird ausgenutzt. Die Menschen werden von organisierten Banden in Schrottimmobilien zu überteuerten Mieten gesteckt und arbeiten ein paar Stunden, oft nur formal in Scheinarbeitsverträgen, beziehen daneben aber Bürgergeld“, sagte Spahn dazu. „Wir sollten zügig eine EU-Initiative starten, um diesen Missbrauch zu beenden.“
Bas zu Grundsicherung: „Andere wollen dieses System schreddern“
Auch Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD), die Merz gerade beim Bürgergeld widersprochen hatte, hatte den Betrug zuletzt angeprangert. Auf dem Landesparteitag der Bayern-SPD am Samstag bekräftige Bas ihre Forderung, bei Sozialleistungsmissbrauch und Schwarzarbeit nicht wegzusehen. „Wir müssen diese Geschäftsmodelle beenden, denn sonst wird es ungerecht für alle“, sagte die SPD-Chefin in Landshut. Auf Spahns Forderung ging Bas nicht ein. Das Bürgergeld erwähnte sie in ihrer rund 25-minütigen Rede mit keinem Wort, sprach stattdessen von der Grundsicherung.
„Es ist unbestritten, dass die Grundsicherung mittlerweile von allen Seiten in Grund und Boden geredet wird“, sagte Bas. Sie selbst sprach von einem Dreiklang von Maßnahmen: Zwar brauche es Reformen und eine wirksame Bekämpfung von Missbrauch. Doch man müsse den Sozialstaat auch stärken. „Vorneweg gilt es, den Menschen zu helfen, die diese Hilfe brauchen“, sagte Bas und fügte hinzu: „Dafür steht die SPD, während andere dieses System schreddern wollen.“
Sozialbetrug beim Bürgergeld hält offenbar an
Die Bundesagentur für Arbeit verzeichnet einem Bericht der „Augsburger Allgemeinen“ zufolge eine anhaltend hohe Zahl von Verdachtsfällen eines bandenmäßigen Betrugs beim Bürgergeld. Demnach wurden bis zum August dieses Jahres 293 Verfahren neu eingeleitet, in 151 Fällen wurde bereits Strafanzeige gestellt.
Damit liegt die Zahl der internen Verfahren in den ersten acht Monaten umgerechnet auf ähnlich hohem Niveau wie im Vorjahr. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, berichtete die Zeitung unter Berufung auf die Arbeitsagentur.
Der ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering hat seine Partei bei den anstehenden Reformen des Sozialstaats zu Mut aufgefordert und bei Rente und Bürgergeld Korrekturen angemahnt. „Langfristig können Sozialreformen der SPD nur helfen“, sagte Müntefering der „Süddeutschen Zeitung“. „Bevor der Wagen in den Graben fährt, muss man auch lenken“, sagte Müntefering weiter mit Blick auf langfristige Finanzierungsprobleme des Sozialstaats.
Mit Blick auf das von der SPD-geführten Vorgängerregierung eingeführte Bürgergeld äußerte sich Müntefering skeptisch. „Einen Fehler würde ich meiner Partei nicht vorwerfen“, sagte er zwar. „Aber ich hätte es nicht gemacht.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: