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In der Lamstoahalle zu Frasdorf im Chiemgau feiern Einheimisch und Asylbewerber ein Kennenlernfest. Zünftig bajuwarisch. Und einander zugewandt.

© Chr. Tramitz

Bayern: Die fremden Freunde von Frasdorf

Vor 250 Jahren entflohen auch Deutsche der wirtschaftlichen Not. Heute ist Bayerns Flüchtlingspolitik rigoros. Doch ein paar Dörfer machen da nicht mit. Sie helfen in Eigeninitiative. Erfolgreich.

Der junge Mann, er hat erkennbar keinen bajuwarischen Stammbaum, hat sich am Buffet bedient und Salami und Schinken aufgeladen. Er hat sich als Goodluck vorgestellt und ist, aus Nigeria kommend, vor ein paar Tagen mit dem Boot glücklich und heil in Europa angekommen und nun in Bayern gelandet.

Ihm gegenüber sitzt eine ältere Dame, sie hat hörbar urbayerische Wurzeln und lächelt Goodluck an. „Sie, Sie wiss’n scho, gei, des is a Schweinefleisch. From the pig.“ Goodluck lächelt und haut rein, zwischendurch nimmt er einen Schluck bayerischen Bieres, es schmeckt ihm sichtlich.

Und genau deswegen sind sie ja alle hier an diesem Frühlingstag in der Lamstoahalle von Frasdorf, die etwa 60 Flüchtlinge aus acht Nationen, überwiegend aus Syrien, Eritrea, Somalia – und die etwa 400 bayerischen Ureinwohner: „Mir helf’n zsamm und wollen uns kennenlernen“, steht auf dem Einladungsplakat zum „Kennenlernfest“.

Frasdorf ist eine kleine Gemeinde mit 2995 Einwohnern am 31. Dezember 2013. Sie befindet sich im Chiemgau, nahe dem Chiemsee gelegen. Sie ist nicht gerade die Perle dieses von Klima und malerischer Natur verwöhnten Landstriches, eher ein stinknormales Dorf. Es hat, natürlich, wir befinden uns im katholischen Bayern, eine zentrale Kirche, es hat einen Metzger mit eigener Schlachtung, ein Sägewerk, ein paar andere Läden, zwei Gaststuben mit, natürlich, wir befinden uns im hedonistischen Bayern, angeschlossenen Biergärten, hat einen Tierarzt und eben die Lamstoahalle. Am Eingang sagt ein Bayer zum anderen Bayern: „Wann host du die Halle das letzte Mal so voll g’sehn?“ „I woaß net, scho lang nimmer“, antwortet der Spezi.

Um das noch einmal deutlich zu sagen, wir befinden uns in Bayern. Dem Bundesland, das politisch gegenüber Flüchtlingen eine ganz andere Sprache spricht, wohl die härteste und schärfste in Deutschland.

Ministerpräsident Horst Seehofer spricht immer wieder davon, die Grenzen dicht zu machen, und Heimatminister Markus Söder meint, dass man den finanziellen Anreiz senken müsse, um die Attraktivität Deutschlands zu mindern. Da ist unschwer die Denke dahinter zu erkennen: Sind ja eh alles nur Wirtschaftsflüchtlinge. Was dann auch CSU-Generalsekretär Anderas Scheuer so sieht, der „massenhaften Asylmissbrauch“ erlebt.

Veranstalter des Kennenlernfestes hingegen ist die Politik von unten, die Gemeinde Frasdorf. Am Eingang hängt ein Dankeschön an zehn örtliche Sponsoren und ein „besonderes Dankeschön an die Frasdorfer Musikanten“. Die Wirtschaft von unten und das Brauchtum sprechen also auch nicht die Sprache ihrer politischen Führung.

Die Mär von den Wirtschaftsflüchtlingen

An den Wänden der Halle hängen Fotos der Flüchtlinge, darunter ihr Werdegang aus Kriegs- und Hungerregionen hierhin, wo sie ein Leben erhoffen statt den Tod in der Heimat. Man ist gehalten, die Fotos nicht zu fotografieren, weil die abgebildeten Menschen auch hier Angst vor Repressionen haben. Da hängt zum Beispiel ein Foto von Savan. Sie ist ein16-jähriges Mädchen aus Somalia. Sie ist auch anwesend im Saal, sie humpelt leicht. Aber das ist die geringste Folge einer Vergewaltigung, nach der sie mit Benzin übergossen und angezündet wurde, in ihrer Heimat. Dort hätte sie nach Meinung vieler Menschen in Deutschland gefälligst bleiben sollen. Die Brandmale im Gesicht sind unübersehbar. Später wird eine Betreuerin berichten, dass Savans ganzer Körper derart entstellt ist. Von dem Mädchen wird noch die Rede sein.

Wirtschaftsflüchtlinge. Das ist inzwischen ein Schimpfwort geworden, eine Kampfparole gegen die vermeintlichen Schmarotzer, die hierherkommen, um unser Geld zu krallen und das Asylrecht massenhaft zu missbrauchen.

Die Söders und Scheuers haben, als sie ihr Vorbild Franz Josef Strauß anbeteten, offensichtlich nicht aufgepasst im Geschichtsunterricht. Oder verdrängt, dass im 19. Jahrhundert kein Krieg in Deutschland, Irland, Italien tobte, als die Menschen in Scharen auf heillos überfüllten Schiffen in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierten. Sie hätten auch gar nicht so weit zurückblicken müssen, sondern sich nur an die 40-jährige Geschichte der DDR zu erinnern brauchen, die auch nicht im Kriegszustand war und aus der zahllose Menschen trotzdem fliehen wollten. Im Grunde genommen ist die Argumentation der Scheuers und Söders auch eine postume Verhöhnung der Mauertoten.

Zurück in die Lamstoahalle. Es herrscht Bierzelt-Stimmung. Die Einheimischen und die, die möglichst bald einheimisch werden wollen, sitzen gemeinsam an langen Tischen, an einer Seite ist das große Buffet aufgebaut, das alle zusammen mit Kulinarik aus Bayern und Afrika bestückt haben, oben auf einer Bühne sitzen in der Ecke drei Musikanten, die zwischendurch Blasmusik spielen. Noch wird viel geradebrecht, eine Mischung aus ein paar Brocken Deutsch, ein wenig Englisch, viel Gebärdensprache. Aber an einem Stand steht der Lehrer Wieland Abt und erklärt, wie zu helfen ist, um die Sprachbarriere zu überspringen, und wirbt um Helfer. Er selber, Pensionär, erteilt an sieben Tagen in der Woche Deutschunterricht. „Bei einigen bin ich schon im Passiv und im Perfekt“, sagt er.

Auf dem Podium treten Honoratioren auf, man kann ihre Begrüßungsworte als Sonntagsreden abhaken. Oder sie ernst nehmen, weil Frasdorf nicht die einzige Gemeinde in diesem reichen Teil Bayerns ist, in denen gleich erfolgreiche Projekte laufen. In Ambach am Starnberger See etwa, oder in Prien, einem Tourismusort der Extraklasse, oder ein paar Kilometer von Frasdorf entfernt in Chieming am Chiemsee. Es mag eine Marginalie sein, eine Banalität, aber bei einem Spaziergang am See beobachtete der Berichterstatter einheimische Jugendliche, die gemeinsam und fröhlich mit Flüchtlingsjugendlichen Steine über den See flitschten. Das allein ist gewiss noch keine Integration, aber ganz sicher auch kein Ausdruck von Ressentiment.

"Müssen wir Angst haben?"

Auf dem Podium tritt nun der Polizeichef der Priener Wache auf und beantwortet die Fragen. Es sind Fragen der Ängstlichkeit, vor allem aber Fragen der Unsicherheit und Unkenntnis. „Müssen wir Angst haben?“ „Wie verhalten sich die Flüchtlinge im Straßenverkehr?“ „Hat sich die Zahl der Straftaten erhöht?“ Nein, hat sie nicht, erklärt der Polizist. So auf dem Papier lesen sich solche Fragen latent rassistisch, hier im Saal sind am Tonfall und der Gelassenheit Interesse und der Wunsch nach Aufklärung zu hören.

Und es tritt die örtliche Wirtschaft auf und berichtet von ersten Erfolgen. Der Sternekoch Heinz Winkler, der im benachbarten Aschau ein Spitzenrestaurant betreibt, hat einen jungen Somalier als Lehrling angestellt. Ein Schmiedemeister arbeite „mit viel Erfolg und Begeisterung“ mit einem Eriträer als Praktikanten zusammen, ein Glaser hat eine Anstellung gefunden, etliche Jugendliche gehen zur Schule und Hana, eine junge Somalierin, hat binnen Kurzem perfekt Deutsch gelernt und einen Schulabschluß geschafft. Und im Straßenbild der Gemeinden – die meisten Unterkünfte, es sind kleine Unterkünfte, keine großen Camps, befinden sich im Ortszentrum –, im Straßenbild vermischen sich Einheimische und Asylbewerber. Es hat etwas Rührendes und, angesichts der Situation in anderen Teilen Deutschlands, etwas sehr Tröstliches, wenn einem ein Afrikaner auf dem Fahrrad entgegenradelt und auf Bayrisch „Grüß Gott“ und „Pfiati“ zuruft.

Dreht sich die Stimmung im Lande hin zur Toleranz?

In der Lamstoahalle zu Frasdorf im Chiemgau feiern Einheimisch und Asylbewerber ein Kennenlernfest. Zünftig bajuwarisch. Und einander zugewandt.
In der Lamstoahalle zu Frasdorf im Chiemgau feiern Einheimisch und Asylbewerber ein Kennenlernfest. Zünftig bajuwarisch. Und einander zugewandt.

© Chr. Tramitz

Es gibt Ausfälle, wenn etwa am Stammtisch von „Negern“ geredet oder Unverständnis darüber geäußert wird, „dass die frei rumlaufen dürfen“. Und im Zusammenhang mit Ausfällen muss auch noch einmal von Savan erzählt werden, der schwer traumatisierten Somalierin. Die war dieser Tage bei Dr. Otto Steiner, einem renommierten Arzt in Prien, um ihre vernarbten Wunden heilen oder zumindest die Schmerzen lindern zu lassen. Dr. Steiner, der kürzlich mit einem Priener Chor zur Papstaudienz reiste, gilt in Helferkreisen als engagierter Arzt, und vielleicht hatte er an diesem Tag nur einen besonders schlechten Tag. Auf jeden Fall behandelte Dr. Steiner Savan an diesem Morgen nicht mit der gebotenen christlichen Nächstenliebe und wohl auch kaum mit der ärztlichen Sorgfaltspflicht. Auf Nachfrage des Tagesspiegels bestätigte Dr. Steiner, „ja, da war gestern so eine Asylantin da“. Nein, Dr. Steiner, da war ein junges Mädchen da, die im Status einer Asylbewerberin ist. „Die hat nur eine Sehnenverkürzung im Fuß, so einen kosmetischen und plastischen Eingriff würde man nicht einmal bei Einheimischen vornehmen.“ Nicht einmal, Dr. Steiner? „Woher haben Sie denn die Information, ich will wissen, wer Ihnen die Information gegeben hat?“ Nein, Dr. Steiner, schon einmal etwas von Informantenschutz gehört? Dr. Steiner wurde lauter am Telefon. „Ich wende mich jetzt an die Polizei und die Politik!“

Um das abzuschließen: Dr. Otto Steiner empfahl Savan gegen die Brandwunden – Niveacreme.

„Es ist eine mühselige, aber dankbare Kleinarbeit“, sagt Christine Domek-Rußwurm. Sie ist sozusagen die Spirita Rector der Gegenbewegung in der Flüchtlingspolitik des Landkreises Rosenheim. Als feststand, dass Flüchtlinge in großer Zahl in den Chiemgau kämen, hatte sie, CSU-Ortsvorstand in Frasdorf, das Amt als Flüchtlingsbeauftragte. „Es gab zunächst große Berührungsängste bei der Bevölkerung“, erzählt sie, „unfassbare Vorurteil, etwa weil die Flüchtlinge doch alle möglichen Krankheiten einschleppen würden und die einheimischen Kinder noch nie einen Schwarzen gesehen und Angst vor ihnen hätten.“

Sie hat Überzeugungsarbeit leisten müssen, unter anderem mit dem sehr schlüssigen Argument, dass „wir diese Menschen abholen müssen“. Und das haben sie dann getan. Kleinigkeiten seien das zunächst gewesen, erster Deutscherwerb und das Einstudieren bestimmter deutscher Verhaltensweisen. Pünktlichkeit etwa.

„Wenn unsere Helfer einen Termin um zehn Uhr ausgemacht haben, mussten wir den Flüchtlingen klarmachen, dass das deutsche zehn Uhr gemeint ist und nicht das dehnbare zehn Uhr von Somalia.“

Freundlichkeit. „Hier in den dörflichen Gemeinschaften ist es üblich, dass man sich grüßt, es muss ja nicht ,Grüß Gott‘ sein, ein Servus‘ reicht auch.“

Dergleichen kommt an bei den Einheimischen. Als im Frühjahr in Aschau der Maibaum aufgestellt wurde, der fast eine Hundertschaft von Trachtenträgern erfordert und um die sechs Stunden dauerte, bestaunten und beklatschten Einheimische, Touristen und Flüchtlinge in schöner Eintracht das Spektakel.

„Es ist die gewachsene Dorfgemeinschaft, die einen Zusammenhalt möglich macht“, sagt Daniele Siebeck, die Koordinatorin des Priener Helferkreises. Eine gewachsene Dorfgemeinschaft gibt es in Freital in Sachsen allerdings auch. Dort aber bündelt sich die Dorfgemeinschaft in blankem Hass. Vielleicht hilft auch der Reichtum des Chiemgaus der Selbstverständlichkeit einer humanen Aufnahme der Menschen, die Schlimmstes mitgemacht haben, auf die Sprünge. Möglicherweise muss hier niemand die irrationale Angst haben, die Flüchtlinge könnten ihnen ihren Wohlstand wegnehmen oder die Arbeitsplätze. „Und wir haben hier ein realtiv hohes Bildungsniveau“, sagt Christine Domek-Rußwurm, „vielleicht ermöglicht das Weitsichtigkeit und Offenheit und Interesse.“ Nun ja, um es mal intolerant auszudrücken, im Rest des Landes galt der Bayern eher als Bierdimpfl.

Dreht sich die Stimmung im Lande hin zur Toleranz? „Hier schon“, sagen beide Koordinatorinen. „Aber es gibt auch Gegenbewegungen“, sagt Domek-Rußwurm. Da seien zunächst durchaus berechtigte und keineswegs böswille Fragen, wie es denn angesichts der neuesten Zahlen von 800 000 aufzunehmenden Flüchtlingen weitergehe. Da seien aber auch offene Ressentiments zu spüren. „Wir hatten in diesen Tagen in der Frasdorfer Schule wieder ein Zusammentreffen von einheimischen Schülern und Jugendlichen aus den Unterkünften.“ Alle, etwa 150 Schüler, hatten sich in der Aula versammelt. Es wurde über die Verfassung gesprochen.

Es sei sehr engagiert zugegangen, drei Asylbewerber hätten in schon sehr gutem Deutsch von ihrer Heimat erzählt, „bis sich auf einmal eine Frau zu Wort meldete und gegen die angeblichen Vorzeigeexemplare, so nannte sie die Jugendlichen wirklich, wetterte. In der Aula allerdings gab es einen Aufstand der Schüler, die buhten und pfiffen die Frau aus, der Rektor verwies sie der Schule.“ Ihre Beschwerde beim Schulamt gegen den Verweis hatte Pegida-Format: „Man wird doch wohl noch seine Meinung sagen dürfen.“ Ausnahmen, Ausfälle – steht zu hoffen, dass sie es bleiben und die private Flüchtlingspolitik des Chiemgaus vorbildlich sein wird fürs ganze Land. Die offizielle Politik hält sich weiterhin raus. Die Helferkreise arbeiten alle ehrenamtlich. Es gibt keine Gelder, allenfalls mal ein paar Spenden. „Nicht einmal Deutschkurse werden bezahlt, Integration ist unerwünscht“, sagt Domek-Rußwurm. Auch andere Hilfe nicht. In Frasdorf haben sie einen jungen Eriträrer, Vater zweier Kinder. Die sind zusammen mit der Mutter in Dresden untergebracht. Weil das Ehepaar keine Heiratsurkunde vorweisen konnte, wurden die beiden getrennt, eine Zusammenführung ist nicht erwünscht.

Noch einmal zurück in die Lamstoahalle. Goodluck, der 19-jährige Nigerianer mit dem Faible für Schinken, Salami und Bier, wird gefragt, ob er denn noch eine Maß möge. Es gefalle ihm ja sehr gut hier, sagt er, er fände auch die Blasmusik sehr schön, und die Leute, die alle sehr nett seien. Und er sei auch sehr glücklich, hier in Frieden sein zu können. „Aber noch eine Maß, nein, nein. Ich muss morgen früh raus, ich fahre nach München, da singe ich im Kirchenchor.“ Brotzeit, Bier und Kirche, man kann das wohl gelungene bajuwarische Integration nennen.

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