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Hadert mit dem Kurs von CDU-Chef Friedrich Merz: der langjährige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach.

© picture alliance / Karlheinz Sch/Karlheinz Schindler

Update

„Das fällt uns jetzt vor die Füße“: CDU-Urgestein Bosbach rechnet mit Merz-Kurs ab

Die AfD hat die Union erstmals in einer Umfrage eingeholt. Beide Parteien stehen nun bei 24 Prozent. In CDU und CSU macht sich Unruhe breit – auch bei Wolfgang Bosbach.

Stand:

Sechs Wochen nach der Bundestagswahl liegt die AfD zum ersten Mal gleichauf mit der Union. Beide Parteien kommen in einer aktuellen Umfrage auf jeweils 24 Prozent. Laut Sonntagstrend von Insa für die „Bild“-Zeitung musste die Union zwei Prozentpunkte abgeben. Die AfD legte um einen Prozentpunkt zu.

Die SPD liegt in der Umfrage unverändert bei 16 Prozent. Die Grünen geben einen Zähler ab auf 11 Prozent, die Linke gewinnt einen Punkt dazu und kommt ebenfalls auf 11 Prozent. BSW und FDP liegen in der Erhebung weiterhin unter der 5-Prozent-Hürde.

„Selbst bei der Ampel-Regierung gab es eine Anfangseuphorie. Eine schwarz-rote Regierung mit Friedrich Merz an der Spitze würde mit einer Umfrage-Krise beginnen“, sagte Insa-Chef Hermann Binkert der „Bild“. Bei vielen Wählern sei der Eindruck entstanden, die Union habe sich in den Koalitionsgesprächen bislang nicht durchgesetzt.

„Die Union legt einen dramatischen Absturz hin. So einen Zustimmungsverlust gab es noch nie in der Zeit zwischen Bundestagswahl und Regierungsbildung“, zitierte die Zeitung Insa-Chef Binkert.

Dass die Union in den aktuellen Umfragen abgerutscht ist, wundert mich nicht.

Wolfgang Bosbach (CDU)

„Dass die Union in den aktuellen Umfragen abgerutscht ist, wundert mich nicht“, sagte CDU-Urgestein Wolfgang Bosbach dem Tagesspiegel. Im Wahlkampf habe man immer betont, an der Schuldenbremse festzuhalten. „Aber schon wenige Tage nach dem Wahltermin klang alles völlig anders.“

Der Bundestag habe im Eiltempo ein gewaltiges Schuldenpaket beschlossen, ohne dass die Spitzen von CDU und CSU diese plötzliche Kurskorrektur hinreichend begründet hätten. „Das hat viele Anhänger der Union irritiert und enttäuscht.“ Von diesem enttäuschten Vertrauen profitiere vor allem die AfD.

Dass sich CDU-Chef Friedrich Merz nun in dieser schwierigen Lage befindet, führte Bosbach auf allzu vollmundige Versprechen im Wahlkampf zurück. CDU und CSU hatten den Wählern nicht nur die Einhaltung der Schuldenbremse zugesagt, sondern auch eine Erhöhung von Pendlerpauschale und Mütterrente sowie eine ermäßigte Umsatzsteuer für die Gastronomie in Aussicht gestellt.

„Das fällt uns jetzt vor die Füße“, sagte Bosbach. Im neuen „Deutschlandtrend“ von Infratest dimap bescheinigen 68 Prozent der CDU, bei dem Kurswechsel „nicht glaubwürdig“ zu wirken.

Es darf kein ‚Weiter-so‘ geben.

Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär

„Es darf kein ‚Weiter-so‘ geben“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann der „Bild“. Die Umfragewerte zeigten, „dass es jetzt nicht nur auf einen guten Koalitionsvertrag ankommt, sondern vor allem auf die Taten der neuen Regierung.“ Die Menschen hätten „keine Ampel 2.0 gewählt, sondern einen Politikwechsel“.

CDU-Kreisverbände berichten von zahlreichen Austritten

Viele Kreisverbände der CDU berichteten in den vergangenen Tagen von ungewöhnlich vielen Austritten aus der Partei. Im Rhein-Sieg-Kreis bei Bonn hat der CDU-Chef Oliver Krauß seit der Bundestagswahl bereits 32 Austritte registriert. „Die CDU-Mitglieder haben ein feines Gespür dafür, dass etwas nicht rundläuft“, sagte der Vorsitzende des bundesweit zweitgrößten Kreisverbands der CDU.

Bei den Themen Bürgergeld und Migration erwartet der Düsseldorfer Landtagsabgeordnete Krauß jetzt in den Koalitionsverhandlungen echte Erfolge. Bisher hätten die Christdemokraten an der Basis den Eindruck, dass sich die SPD in entscheidenden Fragen durchsetze.

Einen Vertrauensvorschuss für Merz gibt es laut Krauß nicht. Zwar hat der Kreisvorsitzende seit der Bundestagswahl auch 40 Eintritte registriert, aber die führt Krauß auf die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im Herbst zurück – nicht auf die Freude über einen baldigen christdemokratischen Kanzler. Euphorie löst Merz auch in seiner Heimat im Hochsauerlandkreis nicht aus. In dem mitgliederstärksten Kreisverband überhaupt registrierte die CDU seit der Wahl 44 Eintritte und 41 Austritte.

Merz habe bereits jetzt Vertrauen verspielt, sagte Krauß: „Im Nachhinein war es ein Fehler, dass Merz eine Reform der Schuldenbremse so kategorisch ausgeschlossen hat.“ Etwas mehr Offenheit in dieser Frage hätte nicht zu einem schlechteren Wahlergebnis geführt, ist er überzeugt.

In seinem Umfeld nimmt Krauß die Sorge wahr, dass die CDU nicht liefern könnte. „Dann wird die AfD immer stärker. Das passiert ja schon in Umfragen.“

Die Stimmung unter den CDU-Mitgliedern erlebt auch Wolfgang Bosbach als angespannt. „Die Basis wartet mit Spannung darauf, ob in einem Koalitionsvertrag deutlich die Handschrift der Union zu sehen ist.“ Konkret wünscht sich Bosbach „eine Beendigung der zu hohen irregulären Migration, Förderung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, eine deutliche Senkung der Energiekosten, Entbürokratisierung – und bloß keine Steuererhöhungen“.

Freudige Erwartung bei der AfD

In der CDU macht sich bereits seit einigen Tagen wegen der schlechten Umfragewerte Unruhe breit. „Ich möchte mir nicht ausmalen, was das für die öffentliche Debatte und die Stimmung in der Partei bedeutet, wenn wir vielleicht demnächst mal eine Umfrage erleben, wo die AfD sogar die Nase vorne hat“, sagte Dennis Radtke, Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, am Freitag im Deutschlandfunk.

In der AfD nimmt man den Gleichstand in den Umfragen mit Genugtuung auf. „Die Bürger wollen keine weitere Linksregierung, in der sich CDU/CSU die Politik von SPD und Grünen diktieren lassen“, schrieb die Parteivorsitzende Alice Weidel bei X. Es sei Zeit für eine wirkliche bürgerliche Politikwende.

Für Beatrix von Storch, Fraktionsvize im Bundestag, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die AfD die Union überholt. „Noch eine Woche Lügen, linke Kompromisse und Realitätsverweigerung weiter und die AfD ist stärkste Kraft“, schrieb sie bei X.

Rückendeckung für Merz ausgerechnet aus Berlin

Worte, die viele in der Union nur schwer ertragen dürften. Dennoch erhält Merz für seinen Kurs an der Basis auch Rückendeckung. „Wir diskutieren über ungelegte Eier“, sagte der frühere CDU-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger, dem Tagesspiegel. Solange die Koalitionsverhandlungen liefen, könne man noch keine Bilanz ziehen.

„Die Tatsache, dass die Verhandlungen so zäh verlaufen, zeigen, dass die Union hart verhandelt.“ Der Kurs von Friedrich Merz, die Schuldenbremse wegen der Bedrohung durch Russland für Verteidigungsausgaben aufzuweichen, sei absolut richtig und müsse konsequent weitergeführt werden.

Die Worte des Mitglieds des Abgeordnetenhauses sind bemerkenswert, gilt der Berliner Landesverband doch seit Jahren als besonders Merz-kritisch. So setzte sich der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) vor der Bundestagswahl besonders hartnäckig für eine Reform der Schuldenbremse ein – entgegen der Linie von Friedrich Merz.

In der Berliner CDU ärgern sich denn auch weiterhin viele, dass Merz die absehbare Kehrtwende bei der Schuldenbremse nicht kommunikativ besser vorbereitet hat. Stattdessen machte er im Wahlkampf weitreichende Versprechen, sodass er die Erwartungen nun fast nur enttäuschen konnte. (mit lam, AFP)

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