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Beschimpfung von Spitzenkandidaten im Wahlkampf: Noch nie war Politiker-Beleidigung so strafbar wie jetzt
Robert Habeck kämpft am stärksten gegen kriminelle Hass-Postings, doch Alice Weidel bekommt derzeit die meisten ab – offenbar gibt es Fehlvorstellungen darüber, was erlaubt ist.
Stand:
Erst der Bruch der Ampelkoalition, dann ein mehrwöchiger Wahlkampf – Politikerinnen und Politiker sehen sich derzeit einer Flut von mutmaßlich strafbaren Beschimpfungen im Internet ausgesetzt, wie es sie noch nicht gegeben hat.
Nach Angaben der beim Bundeskriminalamt eingerichteten Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (BKA ZMI) sind im Januar 2025 rund 1190 Politiker-Beleidigungen erfasst worden, mehr als doppelt so viele wie noch im Dezember vergangenen Jahres, als sich bereits ein drastischer Anstieg abgezeichnet hatte.
Nach Paragraf 188 Strafgesetzbuch (StGB) sind „Personen des politischen Lebens“ gegen Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede besonders geschützt. Schon wegen einer einfachen Beleidigung drohen bis zu drei Jahre Haft oder Geldstrafe.
In anderen Fällen wird Frau Weidel als ,Nazihure’ bezeichnet.
Das Bundeskriminalamt zu den häufigsten Beleidigungen gegen Weidel – nach „Nazischlampe“
Der vor vier Jahren verschärfte Straftatbestand war in die Diskussion geraten, da wegen der Bezeichnung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als „Schwachkopf Professional“ eine Hausdurchsuchung stattfand. Mit ausdrücklichem Bezug auf entsprechende Strafverfahren in der Bundesrepublik erklärte US-Vizepräsident J. D. Vance kürzlich: „Jemanden zu beleidigen, ist kein Verbrechen“.
Die Zahlen bei der AfD-Chefin sind förmlich explodiert
Dem BKA ist es nach eigenen Angaben bisher technisch nicht möglich, die Verfahren nach betroffenen Politikern zu filtern. Anders ist es bei der Meldestelle „Hessen gegen Hetze“, die vom hessischen Innenministerium betrieben wird. Sie ist einer der Haupt-Kooperationspartner des BKA und liefert nach eigener juristischer Prüfung Hinweise an die Zentralstelle in Wiesbaden. Das BKA prüft diese erneut und leitet sie an die zuständigen Landeskriminalämter weiter, wenn Wohnanschriften der Verdächtigen ermittelt werden konnten.

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Nach den Zahlen von „Hessen gegen Hetze“ steht vor allem AfD-Chefin Alice Weidel im Visier von Hasskriminalität. Zu ihrer Person seien seit November 559 Hinweise betreffend Paragraf 188 StGB an das BKA abgegeben worden. Mit weitem Abstand folgt Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (134) vor Bundeswirtschaftsminister und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck (34). BSW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht traf es 32 Mal, erst dann kommen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit 19 und FDP-Chef Christian Lindner mit neun Hinweisen.
An den Zahlen für Weidel fällt auf, dass die Verfahren seit Dezember förmlich explodiert sind. Lag die AfD-Chefin im November mit 15 Hinweisen noch fast gleichauf mit Habeck (14) und Merz (12), stieg die Zahl im Folgemonat auf 195 und dann im Januar sogar auf 349.
Bei Merz gab es im Dezember einen starken Anstieg (102), dann fiel die Zahl auf 20. Zu beachten ist bei solchen Statistiken aber auch das Meldeverhalten in der Bevölkerung. So ist nicht ausgeschlossen, dass AfD-Unterstützer im Wahlkampf aus politischen Motiven besonders viele Posts als strafbar angezeigt haben, die sich gegen Weidel richten.
Unabhängig davon zeigt sich beim Inhalt der gemeldeten Hinweise ein einheitliches Bild. Nach Angaben des BKA liege der Schwerpunkt der Fälle auf der Bezeichnung der Politikerin als „Nazischlampe“, mitunter mit Zusätzen „lesbische Nazischlampe“, „erbärmliche Nazischlampe“, „dumme Nazischlampe“ oder „arrogante selbstgefällige Nazischlampe“. Alle Beispiele stammten von der Plattform „X“, hieß es.
Offenbar halten viele Internetnutzer derartige Beschimpfungen für einen zulässigen Ausdruck ihrer politischen Meinung. Tatsächlich gab es 2017 einen Beschluss des Landgerichts Hamburg, der „Nazischlampe“ als politische Kritik einordnete. Damals wies das Gericht einen Unterlassungsantrag Weidels gegen den NDR zurück (Az.: 324 O 217/17).
Der Moderator einer Satiresendung hatte sich über Weidels Angriffe auf eine vermeintliche politische Korrektheit lustig gemacht. Wörtlich sagte er in der Sendung: „Jawoll, Schluss mit der politischen Korrektheit! Lasst uns alle unkorrekt sein, da hat die Nazischlampe doch recht. War das unkorrekt genug? Ich hoffe!“
Damit stand nach Ansicht des Gerichts nicht die persönliche Diffamierung der Politikerin im Vordergrund, sondern eine politisch-satirische Auseinandersetzung mit dem Thema.
Weidel sagt nichts, Habeck auch nicht
Dass die Bezeichnung Weidels als „Nazischlampe“ damit generell unter die Meinungsfreiheit fällt, lässt sich jedoch aus der Gerichtsentscheidung nicht folgern. Diese gilt nur für den konkreten Zusammenhang, in dem die Aussage fiel.
Das BKA stuft „Nazischlampe“ hingegen offenbar durchgehend als strafbar nach Paragraf 188 StGB ein. Anklagen oder Verurteilungen deswegen sind noch keine bekannt geworden. Theoretisch hätte Weidel die Möglichkeit, solche Verfahren durch ihren Widerspruch zu verhindern, wenn Polizei oder Justiz dazu mit ihr Kontakt aufnehmen – was in solche Fällen regelmäßig geschieht.
Wie Weidel dann reagiert, ist unbekannt. Da ihre Partei die Abschaffung von Paragraf 188 StGB fordert, müsste sie konsequenterweise widersprechen. Fragen des Tagesspiegels dazu lassen Weidel und ihre Partei unbeantwortet. Ähnlich wie Robert Habeck, der auf Anfragen zum Thema schon seit Wochen keine Rückmeldung mehr gibt.
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