zum Hauptinhalt
Israelis demonstrierten auch in Deutschland gegen die Reform. Hier am 23. Juli 2023 in Berlin.

© AFP/ADAM BERRY

Update

Beunruhigung wegen Justizreform in Israel: Die Bundesregierung ist in „großer Sorge“

Das Auswärtige Amt sowie Politiker von SPD, CDU und FDP zeigen sich von der Regierung Netanjahu enttäuscht. „Alle, die es gut meinen mit Israel, müssen ihren jetzt ihre Stimme erheben“, fordert Reinhold Robbe.

| Update:

Die Bundesregierung betrachtet die jüngsten Entscheidungen der israelischen Regierung zum Umbau des Staatswesens mit Bedauern. „Aus tiefer Verbundenheit mit Israel und seinen Menschen blicken wir mit großer Sorge auf die sich vertiefenden Spannungen in der israelischen Gesellschaft“, heißt es im Auswärtigen Amt. Auch Politiker von CDU, SPD und FDP zeigen sich besorgt.

„Wir bedauern sehr, dass die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition unter Vermittlung von Staatspräsident Isaac Herzog vorerst gescheitert sind“, teilte das von Annalena Baerbock (Grüne) geführte Außenamt mit.

Berlin hofft auf einen „neuen Konsens“

Nach der Verabschiedung des ersten Teils des geplanten Justizumbaus bleibe es wichtig, „dass einer breiten gesellschaftlichen Debatte ausreichend Zeit und Raum gegeben wird, um einen neuen Konsens zu ermöglichen.“ Berlin forderte die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf, entsprechend aktiv zu werden. „Dazu müssen alle Seiten, insbesondere auch die Regierung, ihren Beitrag leisten“, so das Auswärtige Amt.  

Kritisch äußerte sich auch Justizminister Marco Buschmann (FDP). „Israel war immer ein Leuchtfeuer für Demokratie und Rechtsstaat im Nahen Osten. Viele Freunde Israels haben die Sorge, dass dieses Licht nun nicht unbedingt heller scheint“, sagte Buschmann dem „Spiegel“.

CDU-Politiker ruft zu Gespräch mit Botschafter auf

CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter forderte: „Aus Deutschland sollten mehr als klare Worte erfolgen.“ Es könne „beispielsweise das Gespräch mit dem israelischen Botschafter gesucht und dabei erwogen werden, wie wir die Zivilgesellschaft Israels unterstützen können“, sagte Kiesewetter dem Tagesspiegel. Es reiche „nicht aus, nur seine Besorgnis auszudrücken, da wünsche ich mir deutlichere Worte von der Bundesregierung“. 

Der Beschluss der Knesset sei „bitter“, sagte der CDU-Abgeordnete. Es sei „ein herber Schlag für alle, die seit Tagen auf Großdemonstrationen gegen die Justizreform demonstrieren“. 

Der FDP-Außenpolitiker Ulrich Lechte sagte, unter Freunden müsse man darauf hinweisen, dass Israel mit der Justizreform einen falschen Weg einschlägt.“ Zur Demokratie gehöre „die Gewaltenteilung und die Beschränkung der Macht der Regierung“.

„Kerbe auf dem Holz des Benjamin Netanjahu“ 

Gerade wenn eine Regierung im Begriff sei, gegen individuelle Freiheits- und Minderheitenrechte zu verstoßen, dann werde die Justiz als Korrektiv gebraucht. „Mit der Justizreform werden diese Möglichkeiten massiv eingeschränkt und so Israel leider etwas weniger demokratisch“, sagte Lechte, Obmann der FDP im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, dem Tagesspiegel: „Das Land ist politisch gespalten, umso unverständlicher, warum man solch eine umstrittene und unnötige Reform gegen eine breite Front von Demonstranten durchsetzen muss. Eine weitere Kerbe auf dem Holz des Benjamin Netanjahu.“ 

Seitdem Netanjahu mit vorbestraften und rechtsradikalen Extremisten eine Regierung bildete, war das Ergebnis abzusehen.

Reinhold Robbe (SPD), Ex-Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

Der frühere Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe (SPD), zeigte sich enttäuscht, wenn auch nicht verwundert. „Seitdem Netanjahu mit vorbestraften und rechtsradikalen Extremisten eine Regierung bildete, war das Ergebnis abzusehen, deshalb darf niemand überrascht sein“, sagte Robbe dem Tagesspiegel.

Die Entmachtung des Obersten Gerichtes hat Robbe zufolge zwei Ziele: Für die Ultraorthodoxen und Rechtsradikalen sei es der Einstieg in einen totalitären „Gottesstaat“, der in eine Diktatur zu münden drohe. „Und Netanjahu ist jedes Mittel recht, um eine Anklage wegen Korruption und Machtmissbrauch abzuwenden“, sagte Robbe.

„Die Holocaust-Überlebenden und deren Nachkommen haben in 75 Jahren eine vorbildliche Demokratie entwickelt, die von Netanjahu jetzt mit Füßen getreten wird“, sagte Robbe. Erstmals in der Geschichte Israels drohten jetzt Zehntausende Soldatinnen und Soldaten damit, der Netanjahu-Regierung ihren Dienst zu verweigern. „Das würde eine noch nie dagewesene Gefährdung der Existenz Israels bedeuten.“

„Herzbluten, Hilflosigkeit und Wut“

Seit 50 Jahren engagiere er sich in der deutsch-israelischen Freundschaftsarbeit, sagte Robbe, „und verfolge mit Herzbluten, Hilflosigkeit und Wut die Entwicklung in Israel“. Notwendig ist jetzt eine massive Unterstützung der Demokratie-Aktivisten in Israel.

Er vermisse dabei einen glaubwürdigen „Aufschrei aller Anständigen“ in der freien westlichen Welt, ebenso in der liberalen jüdischen Gemeinschaft – insbesondere den USA, sagte der frühere Wehrbeauftragte des Bundestages dem Tagesspiegel: „Alle, die es gut meinen mit Israel, müssen ihren jetzt ihre Stimme erheben.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false